Ritter von der traurigen Gestalt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 26.05.2006, 23:12

Mit dem Bleistift bewaffnet,
kämpfe ich gegen die
Riesen der Erinnerung.
Ich banne sie aufs Papier.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 27.05.2006, 00:02

Sorry Paul

aber für dieses Bild bin ich nicht schlau genug :mrgreen: .

LyrIch kämpft gegen die Riesen der Erinnerung, will sie also vernichten oder eindämmen wie Don Quichotte die Windmühlen. Indem er sie auf Papier bannt, macht er sie jedoch dauerhaft präsent und ein Vergessen unmöglich. Die Komponente der Verarbeitung sehe ich den Zeilen auch nicht, die Worte geben nicht wieder, dass das lyrIch die Riesen erobern, ihrer Herr werden will. Die Riesen VERbannen geht auch nicht. So kann ich es nur so verstehen, dass die Riesen der Erinnerung auf Papier festgehalten werden und damit konserviert werden ...

...oder macht dieses Vorgehen das lyrIch zum Ritter mit der traurigen Gestalt?

Rätselnde Grüße

Jürgen

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 27.05.2006, 00:03

Also, mir sind diese Ritter lieber als die mit den Rüstungen und Lanzen...

Genau, so ist es! Bei mir jedenfalls aauch, obwohl ich mich nicht zu den Rittern zähle. Man kann sie bannen, die Riesen. Bleistifte sind nicht die schlechtesten Waffen.

Das lässt auch hoffen für Dich: Mag man sich auch nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können, sich aus dem Sumpf zu schreiben, das geht.
Liebe Grüße
leonie

P.S. Ich hoffe, carl bekommt jetzt nicht wieder seine Münchhausenkrise (tolle Wortschöpfung übrigens, carl!)...

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 27.05.2006, 10:28

Hallo Gurke,

Don Quichote kämpft gegen Windmühlen, weil er sie für echte Gegner hält. Wäre er kein Ritter von der traurigen Gestalt, würde er sich vielleicht mit ernst zu nehmenden Gefahren auseinandersetzen.

Ähnlich geht es wohl dem schreibenden Ritter. Der erschafft sich seine Probleme eben auch selbst und konserviert sie - da hast Du Recht - beim Schreiben.

Wir bewegen uns hier in Leonies Fachbereich, also müssen wir vorsichtig auftreten. Aber ich glaube, der Ritter in diesem Bild kämpft gegen die berühmten self-fulfilling prophecies an.

Das Münchhausen Bild kommt aus einem ähnlichen Bereich. Es ziert eine schöne Pieper-Ausgabe eines Buches von Paul Watzlawick, mit dem er diese Theorie in Deutschland popularisiert hat. Watzlawicks Idee: drehen wir unsere Prophezeiungen doch einfach um! Wenn wir uns selbst in den Schlamm reiten können, dann müssen wir doch auch die Fähigkeit besitzen, uns da wieder herauszuziehen.

Unser Ritter hier hat das aber noch nicht geschnallt: Er ist - ganz wie der spanische Edelmann - ein Antiheld. Oder, um es mit den Worten eines englischen Journalisten zu sagen, der gerne ein Buch über Don Quichote schreiben würde: But that's bravado covering a broken heart.

Beste Grüße

Paul Ost

Louisa

Beitragvon Louisa » 27.05.2006, 11:14

Hallo Paul,
kämpft man wirklich gegen die Erinnerung? Kämpft man nicht eher für die Erinnerung?

Wenn man nichts aufschreibt, erinnert sich auch niemand daran.

Ansonsten sehr gut!

grüßlein, louisa

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 27.05.2006, 11:40

Hallo Paul,
ist es Absicht, dass es Ritter von der traurigen Gestalt heißt? (ihr Ritter) Wenn nicht, dann wäre: Ritter von trauriger Gestalt vielleicht schöner...?

ich kann den Ritter sehr gut verstehen, ich finde das kurze Gedicht sehr gelungen und habe einen schreibenden Ritter vor mir, der eine ähnliche Rüstung trägt wie der Ritter in der verfilmung von einem gedicht von Trakl:

Bild

Es kommt auf die (leider kaum erkennbaren) Blumen an, die Teil der Rüstung sind....

Der Schauspieler ist übrigens der kleine mann aus Grass' Blechtrommel.

Ich glaube, wenn mand ein Autorenportrait gelesen hast (ob dieser Paul Ost nun erfunden ist oder nicht), dann versteht man dieses Gedicht noch besser. wer auch immer Euterpe und Diotima sind (Diotima übrigens von Bruno ganz das allerallerbeste gelesene Wort, dass es ich je gehört hat..er schafft es JEDEN Vokal des Namens zu betonen, sodass es brennt..)

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 27.05.2006, 12:28

Hallo Paul Ost,

na, da hast Du’s mir ja ganz schön gegeben. Tastaturen sind auch hübsche Waffen. Offensichtlich habe ich Dein Gedicht komplett falsch verstanden. Tut mir leid.
Was Watzlawick dazu sagt, weiß ich nicht: Ich bevorzuge allerdings die direkte Art der Kommunikation.
Viele Grüße
leonie

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 27.05.2006, 13:30

Liebe Leonie,

ich wollte "es Dir nicht geben". Vielmehr habe ich Deine wohlwollenden Ratschläge für mich verarbeitet. Nach wie vor dienst Du mir also als Muse, was aber nun wahrlich keine Schande ist! Außerdem haben wir unser Gespräch über die self-fulfilling prophecies und die doppelte Kontingenz ja noch gar nicht beendet. Diese Gedanken leben ja in mir weiter; sie arbeiten in mir. Da wir sie nicht bei einer Tasse :coffee: besprechen können, wähle ich eben diesen Weg.

Liebe Lisa,

herrlich! Wer ist Diotima! Diotima ist die Seele der Parallelaktion, würde ich mal sagen. Sie bringt alles ins Rollen. Fast könnte man behaupten, sie sei die Hauptakteurin, um die herum sich alle anderen gruppieren müssen. Meine Spitznamen sind aber wirklich nicht böse gemeint! §blumen§

Was den Namen betrifft: Ich dachte immer "Don Quichote" hätte auf Deutsch grundsätzlich den Beinamen "Der Ritter von der traurigen Gestalt" mit bestimmtem Artikel. Das habe ich jetzt aber nicht nachgeprüft.

Das Bild ist großartig. Leider habe ich nicht so schöne Haare. Auch fehlt es mir an einer vergleichbaren Nase...

Wer ist jetzt Bruno?

Grüße

Paul Ost

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 27.05.2006, 15:25

Hallo Paul,
was meine Textkritik angeht hast du wieder einmal tieferes Wissen als ich :grin:

Das ist Bruno:

Bild

Mein Lieblings- und einziger Schauspieler (primär Theater), den ich wirklich schätze (und kenne . Spielte im Himmel über Berlin. Und wie es der Zufall will: gestern in Bochum sah ich ihn das erste mal live ("Schändung", sehr zu empfehlen).

Sieht er nicht wunderschön aus? :wub:

Lisa

PS: Leider weiß ich noch immer nichts mit der Figur Diotima nazufangen, aber ich habe zu meinem jetzigen geburtstag wie es der Zufall2n will, ein Buch zu ihr bekommen (Hölderlin und Diotima), dann weiß ich ja bald bescheid...

Bis dann,
dein Ritter gefällt mir immer noch,
Lisa

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 27.05.2006, 16:19

Liebe Lisa,

herzlichen Glückwunsch nachträglich. An Hölderlins Diotima habe ich gar nicht so sehr gedacht. Da könnten Missverständnisse aufkommen. Obwohl ich natürlich schon zu gerne mal wieder einen Bellarmin hätte...

Nein, ich meinte die Diotima aus Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" und außerdem die Ur-Diotima aus Platons "Symposium".

Beste Grüße

Paul Ost

Louisa

Beitragvon Louisa » 27.05.2006, 16:41

Hallo Lisa,
kennst Du den Film "Brot und Tulpen" hieß er, glaube ich (oder so ähnlich...irgendetwas mit Tulpen).

Er lief einmal auf arte, es ist eine Lebens- und Liebesgeschichte in Italien, die ich sehr schön fand. In diesem Film hat mir "Bruno" auch gefallen.

Hier spielen sie "Schändung" auch im Theater von Botho Strauß, aber da wird er wohl nicht mitspielen oder?

Grüßlein, louisa

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 27.05.2006, 16:58

In Berlin? Aber nicht im Berliner Essemble,oder? Dort soltle die Inszenierung nämlich eigentlich stattfinden aber mein liebster Herr Ganz hat sich mit der regie oder dem Indendanten zerstritten...das wäre schon krass, dass sie es trotzdem aufführen :grin:
Ich glaube sie spielen also nur hier in Bochum MIT dem Ganz.

den Film kenne ich natürlich (vorallem, weil dort meine andere LieblingsschauspielerIN, Martina Gedeck (mehr Schauspieler kenne ich wirklich nicht) mitspielt...sehr schöner Film..habe die Musik sogar hier...

Cornelia

Beitragvon Cornelia » 28.05.2006, 00:06

Lieber Paul Ost,

ich könnte dieses Gedicht genau so geschrieben haben, allerdings hätte ich es anders genannt (wohl nur, weil ich kein Ritter bin)

....übersetzt heisst das, es gefällt mir sehr

Liebe Grüße
Cornelia

Louisa

Beitragvon Louisa » 31.05.2006, 19:51

Hallo Lisa,
doch, im Berliner Ensemble. ich wollte mir das auch anschauen, aber dann ist es leider ohne Ganz. Ich kann ja berichten wer seine "Rolle" eingenommen hat.

Du hast die Musik von diesem Film? Willst Du sie mal in der Kunst-Ecke ausstellen? Ich kann mich nämlich nicht mehr daran erinnern.

Der Film war wirklich schön. Hach, ja...

Liebe Grüße, louisa


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 102 Gäste