Jenseitig

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Kurt
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Beitragvon Kurt » 07.04.2018, 21:11

Jenseitig

Auf dem Friedhof stehen nur die Namen der Toten,
in Steintafeln gemeißelt, über leeren Gräbern.
Eine Hecke aus Thujabäumchen bildet die
Trennungslinie zu den Lebenden in der Stadt;
deren Namen stehen neben den Klingelknöpfen;
die gleichen sind es, von Angehörigen, in deren
Herzhöhlen die Toten begraben sind, lebend.
Zuletzt geändert von Kurt am 19.04.2018, 00:19, insgesamt 2-mal geändert.
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 07.04.2018, 21:33

Hallo Kurt,

eine ähnliche Thematik treibt mich ja auch immer wieder um, daher kann ich viel mit Deinen Gedankengängen anfangen.

Aber als Gedicht finde ich sie (die Gedanken) noch nicht "rund" genug ausformuliert.

Dass die Gräber leer sind ... okay, genauso wirst Du das sehen, ich kann es allerdings nicht nachvollziehen.

Und die Thujabäumchen sind vielleicht nicht nur eine Grenze zu den Lebenden, sondern sie stehen doch auch zwischen den einzelnen Gräbern, oder?

Last not least: Das Bild mit den "gleichen" Namen finde ich nicht schlüssig.

Ich glaube, da musst Du nochmal ran zwecks Feinschliff ...?

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 07.04.2018, 21:43

Grabsteine des Friedhofs zu vergleichen mit den Klingelschildern der Stadt in Bezug auf die Menschen dahinter -- diese Idee finde ich gut.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 07.04.2018, 22:04

Ja, diesen Gedanken finde ich auch gut!

Kurt
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Beitragvon Kurt » 07.04.2018, 22:10

Amanita, der Name bezeichnet ja die Person. Von der befindet sich aber nur ein Häuflein Asche unterirdisch. Als Person kann sie sich nur in einem lebenden Gehirn befinden. Friedhöfe sind also überflüssig. In Sachsen, glaube ich, kann man auch die Urne zu Hause aufbewahren.

Was die Linie der Lebensbäume angeht: Wir befinden uns hier in einem Gedicht. Und ich möchte an den Disput Platon - Aristoteles erinnern, wo es um die Abbildung der Wirklichkeit geht.

Pjotr, Danke.

LG Kurt
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birke
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Beitragvon birke » 07.04.2018, 23:15

lieber kurt, das ist ein text, den ich von vorne bis hinten nachvollziehen kann.
er bringt vieles auf den punkt, die (gleichen) namen, die lebensbäume, die leeren gräber: denn die toten sind viel eher in den herzen der zurückgebliebenen zu finden.
für mich sehr gelungen!
lg
birke
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Kurt
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Beitragvon Kurt » 08.04.2018, 10:35

Danke, Birke. Ja, eigentlich ist es auch „makaber“ ein Schild aufzustellen „Hier ruht Willi Wasweißich“. Man könnte ja eher aus dem Kohlenstaub einen Diamanten fertigen lassen oder einfach die Asche in alle Winde zerstreuen. Ein bestatteten Leichnam nach einer längeren Zeit auf dem Friedhof zu besuchen stelle ich mir auch ziemlich ekelhaft vor, von Maden zerfressen, blutrünstig wie von einer Meute Hunde. :haare:

LG Kurt
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Klimperer

Beitragvon Klimperer » 08.04.2018, 23:12

Nach einer längeren Zeit ist es nicht mehr so ekelhaft.


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