Zusammen gehen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Klara
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Beitragvon Klara » 12.07.2018, 10:57

3. Fassung, offenbar muss eine Liebe erst vertrocknen, ehe die Zeilen über sie stimmen:


Zusammen liegen

Da kam ich zu dir wie ein gestrandetes Tier
ohne zu wissen, wer ich mit dir war
oder wo, und warum

Du nahmst mich und wusstest nicht
was du mit mir anfangen sollst
bis wir uns erlegten

Doch ließen einander
links liegen
und ich legte dich zu den inneren Akten

Dann kamst du zurück
Du hast deine Federn um mich gelegt
als wüsstest du nicht wie ich, dass alles zu Ende geht

Da liegst du bei mir wie ein gestrandetes Tier
Eine Möwe vielleicht oder ein Phantasievogel
Bevor du am Morgen mich lässt




Aus dem lyrische Dialog heraus habe ich an einem Text gearbeitet bzw. mich am Thema GEHEN abgearbeitet. Funktioniert er so? Sollte ich die letzte mit der vorletzten "Strophe" tauschen? (Et)Was streichen?


2. Fassung:

Angetrieben

Ich kam zu dir wie ein gestrandetes Tier
ohne zu wissen, wer ich mit dir war
Oder wo, und warum

Du nahmst mich und wusstest nicht
was du mit mir anfangen sollst
Während deine Augen mich unwillig liebten
Und Hände nach Händen suchten

Wir ließen einander
Links liegen
eine lange hilflose Weile, du schnapptest
nach Luft, und ich legte dich
zu den inneren Akten

Dann kamen wir aufeinander zurück
Du hast meine Ängste glatt gestrichen
Die Flügel um mich geschlungen
als wüsstest du nicht wie ich
dass alles zu Ende geht

Nun treibst du zu mir wie ein gestrandetes Tier
Eine Möwe vielleicht oder
ein Phantasievogel
und zitterst wie ich bei jeder Welle

Doch bis jetzt gelingt es dir
mich nicht gehen zu lassen, und mir,
nicht nach morgen zu fragen




1. Fassung


Zusammen gehen


Ich ging zu dir wie ein gestrandetes Tier
Nasse Federn, gerupft, fluglos
Ohne zu wissen, wer ich mit dir war
Oder wo, und warum

Du nahmst mich, ohne zu wissen
was du mit mir anfangen sollst
Während deine Augen mich unwillig liebten
Und deine Hände nach meinen suchten

Wir ließen einander
Links liegen, eine lange hilflose Weile
Du schnapptest nach Luft, und ich
ging dir nicht in den Weg, legte dich
zu den inneren Akten

Dann gingen wir aufeinander zurück
Du hast meine Ängste glatt gestrichen
Deine Flügel um mich geschlungen
Wie ein Vater
mein Freund, als wüsstest du nicht wie ich
dass alles zu Ende geht
und wie wenig die gängigen Bahnen taugen

Nun gehst du zu mir wie ein gestrandetes Tier
Eine Möwe vielleicht oder ein
Phantasievogel
Du hast die Verantwortung für dein Bunt
wie ich
dich halte und zittere bei jedem Schritt
den ich mit dir gehe

Doch bis jetzt gelingt es dir
mich nicht gehen zu lassen
und mir
nicht nach morgen zu fragen
Zuletzt geändert von Klara am 27.07.2018, 09:39, insgesamt 13-mal geändert.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 12.07.2018, 23:02

Hallo Klara,
ein Bekenntnis zu einer wechselhaften Beziehung, das mir gefällt. Aber warum hast Du Dich so intensiv dem Wort "gehen" verschrieben?
"Ich kam zu dir wie ein gestrandetes Tier" (können die noch gehen?)
"Ich trat dir nicht in den Weg"
"Dann kamen wir auf einander zurück"
"Nun kommst du zu mir wie ein gestrandetes Tier"
In der letzten Strophe möchte ich "mir" durch "mich" ersetzen, aber zu diesem Missverständnis komme ich wohl nur, weil Du die Satzzeichen zu oft weglässt.
"Kommen" ist das Schlüsselverb für das Gedicht, deshalb solltest Du vielleicht den Titel andern.
"The Second Coming"? Die Wiederkunft?
Gruß Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 13.07.2018, 08:54

Ich schließe mich Quoth an.

Klara
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Beitragvon Klara » 13.07.2018, 09:46

Danke euch!
Hab noch mal ein bisschen geändert, bin aber noch lange nicht zufrieden.
Mit dem "gehen" wollte ich spielen, weil es sowohl das grundschulverliebte "willst du mit mir gehen" , als auch das "Weggehen" als ständige Möglichkeit mit sich führt.

second coming bzw. Wiederkunft wäre eine hübsche Idee - wenn nicht erstens die religiöse Konnotierung drin wäre, zweitens Yeats so ein Furchtbares damit beschrieb.

Herzlich
Klara

Klara
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Beitragvon Klara » 27.07.2018, 09:39

Versuch einer weiteren Fassung steht oben.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 29.07.2018, 13:08

"Das geht nicht zusammen", überlege gerade, ob man das nur hier sagt in der Allgemeinheit der Aussage.
Toller Text, die inneren Akten finde ich großartig. Ich mag die erste Fassung am liebsten, die dritte wirkt auf mich unehrlicher und fast manieriert mit seinen strengen "da du doch dann da" Anfängen, auch fehlt das narrativ Schweifige, aber bei diesem Text halte ich es für wichtig, ich glaube am Vergleich dieser Strophe versteht man was ich meine?


Dann gingen wir aufeinander zurück
Du hast meine Ängste glatt gestrichen
Deine Flügel um mich geschlungen
Wie ein Vater
mein Freund, als wüsstest du nicht wie ich
dass alles zu Ende geht
und wie wenig die gängigen Bahnen taugen


Grüße
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Klara
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Beitragvon Klara » 29.07.2018, 14:37

Dank dir, Nifl.
Ich glaube du hast recht.

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birke
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Beitragvon birke » 29.07.2018, 15:22

ich stimme nifl auch zu.
die erste fassung ist für mich die stimmigste.
es ist oft so, dass ein gedicht zu viel bearbeitung nicht gut verträgt... oft verrennt man sich dann, kürzt, formuliert um... da ist dann nur noch die ratio beteiligt. aber eher selten wird's dann wirklich besser. vielleicht weil man das gefühl für den text verliert...?
lg
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Klara
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Beitragvon Klara » 29.07.2018, 16:10

Danke für deine Zeilen, birke.
Bei mir ist es diesmal, fürchte ich, so gewesen, dass ich zu feige war, die Kontrolle (über das Geschriebene bzw. das zu Schreibende) abzugeben. In der ersten Fassung habe ich sie noch losgelassen, die Worte. Habe sie laufen, gehen, zusammen gehen lassen. Dann hab ich Angst vor der eigene Courage bekommen, wollte vorher wissen, dass das passiert, was passiert: das zwingend eintretende Ende (des Gedichts, der Begegnung). Als hätte ich dann "etwas draus gemacht". Etwas "Rundes". Aber aus etwas Eckigem darf ich nichts Rundes feilen! Ich habe die Ambivalenz und die Hoffnung weggeschnitten (letzte Fassung), und das funktioniert weder bei Texten noch im Leben: Dann kommt Stroh raus :) Selbst da, wo man GENAU WEISS, dass es nichts wird, hält sich die Hoffnung, man könne etwas draus machen (aus dem Gedicht, aus der Begegnung).
So gesehen, stimmt die Feilerei für mich sehr. Und welche der Versionen, wenn überhaupt, für mich Bestand haben wird, werde ich irgendwann entscheiden. Vermutlich verwrfe ich sie allesamt und wende mich neuen Zeilen zu :)

Herzlich
klara

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birke
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Beitragvon birke » 29.07.2018, 17:34

interessant, klara, wie du die analogie vom text selbst zur textarbeit ziehst! ja, verstehe.
auch bringt einen das feilen manchmal näher zum kern natürlich.
spannend :)
herzlich
birke
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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