Fernbeziehung (Mirjams Abschied) (2 Versionen)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 01.06.2006, 17:01

Version II

Erst sonntags, Geliebter,
bist Du mir nicht
mehr fremd.

Wenn die Zeit
verrinnt, die uns
noch bleibt,

die letzte Stunde
einer Ewigkeit,
will ich Dir
schenken,
was ich Dir
morgen schon
verwehren muss.

Erste Fassung

Erst sonntags, Geliebter,
bist Du mir nicht
mehr fremd.

Wenn die Zeit
verrinnt, die uns
noch bleibt,

die letzte Stunde
einer Ewigkeit,
will ich Dir
schenken,
was morgen Dir
nicht mehr
gehört.
Zuletzt geändert von Paul Ost am 27.10.2006, 21:22, insgesamt 2-mal geändert.

Dita

Beitragvon Dita » 01.06.2006, 21:17

Hallo Paul,

kann ich gut nachvollziehen. Kurz bevor man zum Bahnhof muss, ins Auto steigt, das Taxi nimmt, will man nochmal alles geben und nehmen. Wenn die Zeit knapp wird, will man alles intensiv erleben, damit man über die Woche kommt.
Liest sich flüssig und macht sich klar.
Mir gefällts!

Dita

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 01.06.2006, 22:02

Lieber Paul Ost,
Was mich an vielen Deiner Gedichte fasziniert, ist, wie Du verschiedene Themen miteinander verbindest. Hier die Liebe und die Zeit.
Aber ich stoße mich an dem Wort „gehört“. Mir scheint, an ihm wird deutlich, dass der Text aus der Perspektive des lyrDu geschrieben ist.(Würde eine Frau wirklich sagen, das gehört Dir (nicht mehr)? Ich jedenfalls nicht) Vielleicht täusche ich mich da aber auch und es gibt andere, für die das kein Problem ist.
Ich vermute, Du hast das Wort korrespondierend zu „schenken“ gewählt. Trotzdem ist für mich die Frage, ob man einander jemals gehört und ab dieses „Schenken“ nicht immer wieder neu geschieht.
Ich habe überlegt, ob es heißen könnte „was morgen nicht mehr zu dir gehört“, das würde für mich die Beziehung besser ausdrücken. Es geht meiner Meinung nach ja nicht um Besitzansprüche. Oder bei den beiden doch? (So gut wie Du kenne ich sie ja nicht).
Es nimmt aber vielleicht das endgültige Ende zu sehr vorweg.
Grübelnd
leonie

Herby

Beitragvon Herby » 01.06.2006, 23:08

Hi Paul,

dein Gedicht hat mich sehr angesprochen, weil du die Situation sehr einfühlsam und nachvollziehbar in Worte fasst.

Und auch ich blieb beim letzten Wort hängen, und zwar wegen seiner Endgültigkeit. Bleibt da noch Raum für Hoffnung?

LG Herby

Louisa

Beitragvon Louisa » 01.06.2006, 23:16

Hallo Paul,
ich finde das eigentlich ganz schön. Auch das Ende gefällt mir, ich kann mir vorstellen das Frau das sagt.

(Keine Verhütungsmittel, keine F-Worte...er kann ja auch anders.)

Es erinnert mich ein wenig daran:

http://francais.agonia.net/index.php/poetry/130419/index.html

Am Ende wäre vielleicht: "was Dir Morgen / schon nicht mehr..." besser.

Ansonsten sehr schön!

Nächtliche Grüße, louisa

PS: Herr Ost, was ist mit unserem erotischen Wettbewerb? Sie haben nicht auf meine letzten Fragen geantwortet... Bekommen sie Angst?

-Ich bin dafür, dass die Gedichte untereinander ausgestellt werden und dann eine Stimmvergabe abläuft (die ich verlieren werde, aber der Gedanke zählt). Ich lasse Ihnen auch (höflicher Weise) den Vortritt O:) .

Haben sie denn schon etwas Erotisches geschaffen?

Iris

Beitragvon Iris » 01.06.2006, 23:30

Hallo Paul,

vielleicht könnte man schreiben: was morgen schon zur erinnerung gehört oder
was morgen noch nicht zum vergessen gehört ...

dann würde mich gehört und das besitzproblem, wo ich genau wie leonie ins grübeln kam, nicht mehr stören.

grüße iris

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 01.06.2006, 23:30

Hallo zusammen,

vielen Dank für die zahlreichen Kommentare.
@leonie: Auch ich lerne häufig Dinge, die mich überraschen. Das Wort in der letzten Zeile ist wohl das Echo einer Stimme, die nicht meine ist.

@dita: Genau darum geht's. Ich habe mit Absicht nicht den Titel "Berlin II (Miriams Abschied) gewählt, obwohl der natürlich besser zu meinem "Gesamtkunstwerk" auf den Seiten des Blauen Salons passen würde.

@Herby: Keine Hoffnung :sad: Es ist Miriams Abschied. Der ist endgültig. Deshalb muss ich schreiben (s. Autorenporträt).

@Louisa: Was den Wettbewerb angeht, fehlt es mir zur Zeit ein wenig an Muße. Gerade in der nächsten Woche werde ich heftigst ausgebildet, gequält und gefoltert. Der Wettkampf ist nicht vergessen. Wir sollten nur eine längere Laufzeit vereinbaren: Beispielsweise bis zum 15. Juli oder so.
Was die Verhütungsmittel angeht, kann ich nur sagen, dass jetzt gerade eine HIV-Konferenz in den USA läuft. Gewisse Themen können ruhig ins Bewusstsein gebracht werden... Aber den erzieherischen Anspruch muss ich nicht in jedem Gedicht verfolgen.
Die Stellung des zweiten "Dir" muss ich mir noch genauer überlegen. Ich finde es so gar nicht schlecht. Es wird dadurch betont.

Es grüßt

Gerührt ob der zahlreichen Kommentare

Paul Ost :wub:

Louisa

Beitragvon Louisa » 01.06.2006, 23:44

Hallo Paul!

Ich glaube der 14. Juli (sozusagen als Sturm auf die Leiber) wäre besser gewählt.

Es fehlt Dir an Muße? Du kannst ja aus Deiner Vorstellungskraft schöpfen...aber Du möchtest lieber gequält und gefoltert werden?

-Ich werde mich nicht in diese Praktiken einmischen.

(Ich habe mir das Gedicht aber auch einfacher vorgestellt, als es ist...)

Ich wünsche Dir viel "Spaß" bei Deinen musischen Beschäftigungen.

Gute Nacht, louisa

PS: Ich wollte nichts gegen Verhütungsmittel sagen. Im Gegenteil: man sollte sie preisen! O:)

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 01.06.2006, 23:58

@ Louisa: Das Gedicht von Brecht kannte ich noch gar nicht! Es ist großartig. :grin: Übrigens will ich gar nicht gequält und gefoltert werden, es ist nur die Logik meiner nicht enden wollenden Ausbildung, dass ich immerzu gerädert werde.

Gute Nacht

Paul Ost

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 03.06.2006, 13:25

Lieber Paul Ost,
die neue Fassung setzt einen ganz anderen Akzent, viel aktiver. Ich habe nur das „muss“ nicht verstanden, „was ich dir morgen schon verwehre“ wäre für mich einleuchtender.
Viele Grüße

leonie

P.S. Versuch es, auch als Wettkampf zu sehen und Dich nicht quälen zu lassen! In jedem Fall wünsch ich Dir, dass es gut über die Bühne geht!

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 03.06.2006, 13:34

Liebe Leonie,

Miriam scheint sich selbst ausgeliefert zu sein. Sie handelt unter Zwängen, die sie nicht verstehen kann. Warum sie das tut, ist ihr selber nicht klar. Sie könnte ja auch sagen: Okay, ich bleibe hier. Offensichtlich gibt es aber ein Muss, das größer ist als die Liebe: Erfolg, Beruf, Sicherheit, ein anderer Mann? Denk's Dir selbst.

Grüße

Paul

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 03.06.2006, 16:13

Lieber Paul Ost,
nicht schlecht, so ein Muss, das einem die Verantwortung abnimmt und dem Gegenüber noch dazu die Angriffsflache für Aggressionen entzieht....Na, wenn das so ist, dann denke ich mir einen lukrativeren Anbieter im Hintergrund. Was sie vermutlich niemals zugeben würde....

Liebe Grüße
leonie

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 03.06.2006, 17:06

Liebe Leonie,

wir wollen aber auch nicht zu gemein über Miriam urteilen. Stell Dir einfach vor, sie möchte eine moderne, selbstbewusste und unabhängige Frau sein. Da heutzutage alle unbedingt - im Namen der Wirtschaft - flexibel sein müssen, wenn sie keinen gesellschaftlichen Absturz erleben wollen, hat sie eben keine Wahl, als zu gehen, wenn sie muss.

Globalisierung bedeutet eben auch, dass es oft sinnvoller zu sein scheint, sich gleich in jeder neuen Stadt eine neue Partnerschaft zu suchen. Der Traum vom späteren Zusammenleben, muss eh' oft unerfüllt bleiben, wenn beide Ansprüche an sich selbst haben. Das ist eine Aporie, in der sich heute viele junge Frauen (und Männer) befinden, kein Gehirngespinst meinerseits.

Grüße

Paul Ost

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 03.06.2006, 22:07

Lieber Paul Ost,
das ist ein sehr pragmatischer Ansatz mit leicht zynischer Note. Wenn schon Abschied und Neuanfang, dann gleich auf allen Ebenen.
Es mag nicht immer möglich sein, aber ich kenne viele Menschen, die Wege gefunden haben, ein gemeinsames „Später“ zu verwirklichen. Ich denke, das Wort „Kompromiss“ hat da seinen Platz. Es ist natürlich auch eine Frage der Prioritäten. Aber oft gibt es da Spielräume für eigene Entscheidungen. Es ist nicht nur das „Muss“...
Viele Grüße
leonie


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 128 Gäste