O ihr ...

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Epiklord
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Beitragvon Epiklord » 27.01.2022, 01:09

O ihr lichten Gedanken,

Späher des Geistes,
ausgesandt zu erkunden
das Dunkel der Nacht.

O ihr Lichtgeschwindten,
wie Angeln ausgeworfen,
ins fraglose Meer;
verloren gingt ihr mir,

aufgesessen den Götterboten,
entführt ins Niemandsland,
bodenlos, verfallen der Ewigkeit,

irrt nun wahrscheinlich
herum hinterm Horizont,
mit zappelnder Beute,

ohne Wiederkehr.
Zuletzt geändert von Epiklord am 27.01.2022, 23:15, insgesamt 1-mal geändert.

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birke
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Beitragvon birke » 27.01.2022, 13:00

Epiklord hat geschrieben:O ihr lichten Gedanken,

Späher des Geistes,
ausgesandt zu erkunden
das Dunkel der Nacht.

O ihr Lichtgeschwindten,
wie Angeln ausgeworfen,
ins fraglose Meer;
verloren gingt ihr mir,

aufgesessen den Götterboten,
entführt ins Niemandsland,
bodenlos, verfallen der Ewigkeit,

verstreut habt ihr euch,
irrt herum hinterm Horizont,
mit zappelnder Beute,

ohne Wiederkehr.



für mein empfinden etwas sehr pathetisch, lieber epiklord, aber der inhalt, die idee gefällt mir gut. die form mutet beinahe wie ein sonett an, weshalb die gehobene sprache vielleicht sogar passt hier…
ja, manche gedanken schwinden einfach dahin, wohin …? und - o, was ist denn ihre beute und woher weiß denn das lyr-ich davon?
das fraglose meer mag ich besonders!
lg, birke
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

Epiklord
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Beitragvon Epiklord » 27.01.2022, 13:45

Ja, Birke, woher weiß das LyrIch? Der Lyriker hat “Ahnung”; der
Wissenschaftler “weiß”, hat aber keine Ahnung von dem was der Lyriker ahnt. Deshalb liest er Lyrik. ;-)))

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 27.01.2022, 14:48

Naja, "wissen" tun nur die Dogmatiker und Verschwörungserzähler -- das ist keine Wissenschaft. Wissenschaft ist eine Methode. Sie ist eine Methode, anhand derer man versucht, der Wahrheit näher zu kommen, und zwar durch ständiges Zweifeln, Testen und Theorienbauen. Das ist nicht Wissen. Das ist Denken, Prüfen, Ahnen. Das einzige, was seriöse Wissenschaftler sicher wissen, ist, dass sie sich jederzeit irren können.

Ehrliche Frage: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen "ahnen" und "Ahnung haben"?

Epiklord
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Beitragvon Epiklord » 27.01.2022, 22:40

Wissenschaft orientiert sich an bereits gesichertem Wissen, legt Wert auf Falsifizierbarkeit (Popper). Lyrik ist offen, unterliegt nicht solchen Kriterien zur Wahrheitsfindung, zeichnet sich durch Intuition, Phantasie und Eingebung aus.

aram
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Beitragvon aram » 27.01.2022, 23:13

die nicht nur von mir geschätzte dichterin ruth weiss - über ihre flow-texte und performances als 'jazz poet' und 'beat goddess' bekannt geworden - pflegte auf die frage, was sie jungen autoren in sachen schreiben guter lyrik raten könnte, zu antworten: "mathematik studieren."

orientierung an bestehenden theorien, wissen und methodik gegen intuition, kreativität, ahnung etc. auszupielen halte ich für unsinn - sowohl für wissenschaft als auch für lyrik braucht es offenheit in beiden sphären.
Zuletzt geändert von aram am 27.01.2022, 23:25, insgesamt 1-mal geändert.

Epiklord
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Beitragvon Epiklord » 27.01.2022, 23:22

Ja, Birke, habe es nochmals gelesen und bin auch drüber gestolpert: Woher LyrIch es weiß. Habe nun differenziert und "wahrscheinlich" geschrieben, also ich vermute ... Hinterm Horizont bedeutet natürlich gleichzeitig, dass die Gedanken ins Unbewusste sich verloren haben.

Aram, ich fand den Spruch von Karl Kraus top, Als er sagte, sinngemäß: Die Psychoanalyse ist jene Krankheit für deren Therapie sie sich hält. (so ähnlich jedenfalls, kann mich nicht präzise erinnern.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 27.01.2022, 23:38

Epiklord hat geschrieben:Wissenschaft orientiert sich an bereits gesichertem Wissen, legt Wert auf Falsifizierbarkeit (Popper).

Nö, Wissenschaft orientiert sich an Theorien, die falsifizierbar sind, also die überprüfbar sind. Theorien sind nie gesichert. Sie sind nur mehr oder weniger "robust", wie Popper das nannte.


aram hat geschrieben:orientierung an bestehenden theorien, wissen und methodik gegen intuition, kreativität, ahnung etc. auszupielen halte ich für unsinn - sowohl für wissenschaft als auch für lyrik braucht es offenheit in beiden sphären.

Sehe ich auch so.

Epiklord
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Beitragvon Epiklord » 28.01.2022, 00:06

Ach, Pjotr, was sagt denn ein Philosoph, der seine neue Theorie vorstellt. Er stellt seine gegen die von Kant oder Heidegger beispielsweise, aber doch nicht gegen die eines Lyrikers. Da orientiert sich doch kein Wissenschaftler dran. Und aus heiterem Himmel fallen ihm wohl eher selten Theorien zu. Ein Lyriker kann seine Phantasie auslassen, ein Wissenschaftler Kreativität.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 28.01.2022, 07:01

Lord, ich stimme Euch darin zu, dass das Fach Lyrik eine andere Aufgabe hat als das Fach Wissenschaft. (Eine philosophische Theorie übrigens -- was Ihr jetzt als drittes Fach einführt -- ist wiederum keine wissenschaftliche Theorie; Philosophie steht separat da und denkt nach über die Aufgabe der Wissenschaft oder der Lyrik.) Meine Kommentare oben bezogen sich nur auf das eine Detail, Wissenschaft arbeite mit gesichertem Wissen. Gesichert ist nichts.

Ich spüre Euer episches Anliegen, Lord. Ich würde den Unterschied der beiden Fächer nur anders ausarbeiten. Es ist ein feiner. Nicht so ein radikaler, der zudem auf einer falschen Prämisse fußt. Kreativität und Phantasie sind in beiden Fächern nötig.

Epiklord
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Beitragvon Epiklord » 28.01.2022, 08:16

Werter Herr, es gibt gesicherte Schränke, man nennt sie Tresore, sichere Geldanlagen, Keuschheitsgürtel. Sicher ist das alles nicht, aber ziemlich.
Meinen Verse ist Monolog zu eigenen Gedanken, die einem manchmal entgleiten, als flüchtig empfunden werden, aus dem Unbewussten aufsteigen und wieder verschwinden, gefühlt, kein gesichertes Wissen, mehr erahnt. Das Wort ahnen eignete sich hier gut als lustige Wortspielerei, und ich habe ja auch einen Smiley dahinter gesetzt. Und der Spruch unter Prosa, den kann ich trotz deiner Bedenken, weiterhin vertreten und stehenlassen. Ahnung bezieht sich hier ja unter anderem auf das umgangssprachliche “Ahnung haben”.


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