erst kommen die versteppungen dann die verwüstungen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Werner
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Beitragvon Werner » 28.02.2022, 17:56

die spielenden augen der kinder
das gras war schon fort

das zittern in der stimme kommt
von den einschlägen
erklärt er uns
in der stadt wächst die angst

fluchtgedanken nur wenige
wollen bleiben und sterben

es ist ein bisschen wie früher
im winterkrieg
nur dass der schnee langsam taut
die angreifer einmal brüder und schwestern waren

der wald bietet keine
verstecke mehr

sagt er uns und wendet den blick
zu boden
der einmal muttererde hieß
und alle ernährte

wir könnten singen schlägt er uns vor
aber das hilft nicht gegen sterben

und auf einmal singen wir
vom himmel über den kornfeldern
von den kosaken
die ihre mädchen verließen

falken flogen über die dörfer
und schlugen tauben

schöne hinter den bergen hinter dem meer
leuchtet die freiheit
und die augen der kinder spielen weiter
mit dem lange verschwundenen gras

jondoy
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Beitragvon jondoy » 03.03.2022, 22:25

im Winterkrieg

bei 'winterkriegˋ denke ich an finnland

...eines schönen herbstes hat russland, umstrahlt von einer satellitenmondeunion, das mächtige finnland mit gebietsforderungen in der karelischen landenge konfrontiert, ihm das messer an die brust gesetzt und dies mit unabdingbaren sicherheitsinteressen begründet, ein seinerzeitiger putin wollte sich ganz finnland einverleiben.

nachdem die finnen diese forderungen ablehnten, sind russische streitkräfte am 30. November beauftragt worden, in die finnmark einzufallen.
der angriff wurde von den zahlen- und materialmäßig weit unterlegenen finnischen streitkräften zunächst gestoppt, ein eisiger winter mit der schneekönigin im gefolge kam ihnen entgegen. erst nach umfassenden umgruppierungen und verstärkungen konnte die angreifer die finnischen stellungen durchbrechen....

am 13. märz erkaufte sich finnland einen "friedensvertrag" durch abtretung großer teile kareliens, eines großen gebietes zwischen salli und kayraly (fin. kairala), der fischerhalbinsel im polarmeer (so ne art nordische krim) und mehrerer kleiner, strategisch interessanter inseln im finnischen meerbusen, nen haufen reperationszahlungen musste es natürlich auch leisten,

in der finnmark wurde auf gebäuden trauerbeflaggung gehisst, was passiert war, realisierten die finnen erst später,

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Werner
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Beitragvon Werner » 03.03.2022, 22:36

danke für die ausführlichen ergänzenden erläuterungen zum gedicht ... Hej, Sokoły ... A jak umrę pochowajcie / Na zielonej Ukrainie / Przy kochanej mej dziewczynie.

Nikolaus
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Beitragvon Nikolaus » 04.03.2022, 00:37

Hallo Werner!
Das finde ich sehr einfühlsam geschrieben. Das berührt.
Das wort "schöne" in dem letzten Absatz bekomme ich allerdings nicht zugeordnet.
Gut wurzelnde Bilder von dir über diesen schlimmen Wahnsinn!
Danke für deine Worte.

Herzliche Grüße - Niko
Ich lese Lyrik. Das spart Zeit.

(Marilyn Monroe)

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Werner
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Beitragvon Werner » 04.03.2022, 09:30

Vielen Dank für die Zustimmung ... schöne ist eigentlich Schöne, die Schöne hinter den Bergen, so ähnlich wie Schneewitchen mit ihrem ebenholzschwarz haar ... hier wird eine Schöne in einer weiten Ferne (hinter den Bergen, hinter dem Meer, also ganz weit weg wie ein Sehnsuchtsort) angesprochen ... durch die Kleinschreibung und ohne satzzeichen kann es verwirren, macht aber auch nix, wenn es mehre deutungen zulässt ... die Schöne könnte vielleicht die Ukraine sein ... ja, die dichtung ist die einzige kunst, die schlimmes und schreckliches auch irgendwie ein bisschen abmildern, besser überhaupt erträglich machen kann? und sie sollte auch hoffnung geben, wie beschwörungen, anbetungen, wünsche an eine gute fee

Nikolaus
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Beitragvon Nikolaus » 04.03.2022, 12:17

Lyrik ist die Verschlüsselung von Gefühl im Wort.
Ich lese Lyrik. Das spart Zeit.

(Marilyn Monroe)


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