Am Strand

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 23.07.2022, 00:21

Es war ein langer Weg, und in der Mitte
die Sonne schon leicht über dem Zenit
da lenkte ich zum Strand hin meine Schritte,
wo kaum meine Auge Meer und Himmel schied.

Zwei Liegen standen dort, es war die eine
der anderen zum Händehalten nah
dazwischen eine dritte, eine kleine
die bunt und voller Sand und Muscheln war.

Ich legt' mich auf die linke, sah aufs Meer,
das Wellenspiel und auch der Möwen Treiben
die beiden Plätze neben mir war'n leer
und ich begriff: sie werden es wohl bleiben.
Zuletzt geändert von Mnemosyne am 24.07.2022, 15:14, insgesamt 2-mal geändert.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 24.07.2022, 13:17

Hallo Mnem,

ich mag Reime nicht, weil da meistens sowas rauskommt:

wo kaum meine Auge Meer und Himmel schied.

Davon ab finde ich das Liegenbild ganz ganz großartig. Mit wenigem Zeigen so viel erzählt… diese Strophe trägt für mich den Text, lässt mich nicht bereuen, ihn gelesen zu haben.
Die letzte Strophe ist mir zu selbstmitleidig.

Schön mal wieder was von dir zu lesen, nachdem ich immer noch auf die Weihnachtsgeschichte warte :-)
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 24.07.2022, 15:12

Hallo Nifl,
danke für den Kommentar! Ich gebe dir Recht, dass Texte unter Reimen leiden, wenn sie sich von ihnen beherrschen, ggf. sogar den Inhalt aufzwingen lassen. Dass Du zielsicher die Zeile identifiziert hast, mit der ich auch selbst am wenigsten zufrieden bin, weist klar darauf hin, dass das hier passiert ist. Das ist aber m.E. kein Einwand gegen Reime, sondern nur dafür, mehr daran zu arbeiten: Wenn es dann wirklich zwanglos passt, ist das jedenfalls für mich immer ein Genuss.
(So ganz beliebig ist diese Zeile aber auch nicht: Der Text beschreibt ja eine Einsicht, dass das LyrIch zu Beginn Meer und Himmel -- also das noch erreichbare, bodenhafte und das entrückte "luftige" nur schwer auseinanderhalten kann, hat also schon seinen Sinn. Aber ja, schön ist anders, "kaum mein Auge" ist mir auch zu schmalzig -- ich nehme nochmal das Schmirgelpapier zur Hand...)

"Mit wenigem Zeigen so viel erzählt… diese Strophe trägt für mich den Text, lässt mich nicht bereuen, ihn gelesen zu haben."

Das freut mich.

"Die letzte Strophe ist mir zu selbstmitleidig."

Warum das? Da realisiert eben jemand in der Mitte seines Lebens, dass die Zeit für eine Familiengründung allmählich vorbei geht und gewisse Türen sich geschlossen haben/schließen. Das ist keine allzu schöne Erkenntnis, aber Selbstmitleid erkenne ich da nicht. Kannst Du mir sagen, woran Du das festmachst?

"Schön mal wieder was von dir zu lesen, nachdem ich immer noch auf die Weihnachtsgeschichte warte"

Mea culpa! Es gab zwar einen Weihnachtstext, den ich aber nach kritischer Erwägung nicht salonwürdig fand. Das wird dieses Jahr hoffentlich anders, ich bin jedenfalls schon dran. :-)

Liebe Grüße
Merlin

Nifl
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Beitragvon Nifl » 24.07.2022, 20:00


Warum das? Da realisiert eben jemand in der Mitte seines Lebens, dass die Zeit für eine Familiengründung allmählich vorbei geht und gewisse Türen sich geschlossen haben/schließen. Das ist keine allzu schöne Erkenntnis, aber Selbstmitleid erkenne ich da nicht. Kannst Du mir sagen, woran Du das festmachst?

hm, schwierige Frage, vermutlich, weil ich die Liegenstrophe als pures Glück empfinde. Und dieses meint LyI nicht mehr „belegen“ zu können. Das kann aus meiner Perspektive nicht neutral geschehen, schon gar nicht mit so einem Blick auf derartige Liegen.
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birke
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Beitragvon birke » 25.07.2022, 10:07

hi mnemosyne,

vom inhalt her finde ich das ganz wunderbar, dieses bild der liegestühle ist klasse und aussagestark, auch am ende lese ich kein selbstmitleid heraus, vielmehr ein nüchternes, vielleicht natürlich ganz leicht wehmütiges, realisieren.

mit den reimen tu ich mich allerdings auch schwer, weil es die sprache an manchen stellen unnnötig verdreht und "unschön" macht, was dem gedicht vieles nimmt, wie ich finde, zb hier:
da lenkte ich zum Strand hin meine Schritte
,

wo kaum meine Auge Meer und Himmel schied.

wohl eher "unterschied"? und: entweder "mein Auge" oder "meine Augen"?

lg, birke
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 25.07.2022, 13:29

Hallo Merlin,

schön etwas von dir zu lesen! Ich finde die Form und die Reime hier sehr passend, weil sie einen Rahmen geben, das Lesen lenken wie die Schritte. Und zu meiner Überraschung habe ich das gerade auch einfach genossen, mal wieder so ein Gedicht zu lesen. Das Bild der Liegen ist klasse und bleibt hängen. Ich lese hier vor allem ein noch nicht wissen, wie das Gefühl dazu ist, eine Leere, die da auftaucht und spürbar wird in diesem Moment. Das Begreifen auch im körperlichen Sinn.

Bei der zweiten Zeile haut es mich allerdings schon raus, weil ich nicht so recht weiß, wo ich betonen soll. Was dann auch die Reime „auffälliger“ macht.
Flüssiger wäre für mich, wenn dort stünde: die Sonne stand schon leicht überm Zenit ?

da lenkte ich zum Strand hin meine Schritte - finde ich anders als Birke dagegen sehr schön und bildhaft und auch klingend

Bei Zeile 4 bin ich gespannt, was dein Feilen ergibt. Inhaltlich finde ich das wunderbar, auch das „schied“ weil es sowohl das selbst bewusste Trennen, als auch das nicht unterscheiden können in sich trägt. Für dein Auge mal .-)
Mein Blick kaum zwischen Meer und Himmel schied.

Ich legt' mich auf die linke, sah aufs Meer,

Hier frage ich mich, warum auf die Linke … ist das wichtig? Fällt wahrscheinlich durch das „legt‘“ besonders auf. Herzseite? Ist es ein bewusstes sich hinlegen, sich in diese Bild begeben, was dann tatsächlich für mich etwas „selbstmitleidiges“ in sich trägt, oder eher ein sich plötzlich da (darin) wieder finden?
Dann lag ich auf der Linken, sah aufs Meer

So viel habe ich schon lange nicht mehr über ein Gedicht nachgedacht. Danke!

Liebe Grüße
Ylvi
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


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