Wunderheilung

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 23.10.2023, 22:23

verwundet im Wochenbett –
alles reißt wieder auf:
in den blutigen Spalten
wohnt unsere Symbiose
sprich /
sonst sind meine Worte allein
sie kämpfen mit der Natur
sprich nur /
wie liebe ich deine Stimme
hell wie die Sonnenblüten
an deinem Fenster
nur ein Wort /
Kraft die mir fehlt
sprich nur ein Wort /
bete ich während des Tages
und in der Nacht
wenn meine Wunden
laut sind und brennen
sprich nur ein Wort /
so wird meine Seele gesund

jondoy
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Beitragvon jondoy » 30.10.2023, 21:30

hallo amanita,
wirkt irgendwie wie ne betrachtung,
ne betrachtung der eigenen lage durchs lyrische ich,
von der art her wie ne rosenkranzbetrachtung, nur in einen anderen religiösen ´kontext´ transferiert,
bei der nach jeder betrachtung ein neuer wortstein hinzugefügt wird,
ein bischen wie aus der zeit gefallen,
aber das ist kein merkmal, dass Bedeutung hat,
ich frag mich, ob dieses ´im Wochenbett´ reine Metapher ist,
oder tatsächlich im Wortsinne gemeint sein könnte,
wodurch sich das mögliche biologische Lebensalter des lyrischen Ichs in zeitliche maßstäbe einordnen liese,
- wie liebe ich deine Stimme
hell wie die Sonnenblüten
an deinem Fenster -
wäre losgelöst von den umständen, fast ne Liebeserklärung.
vom zeitgefühl her wirkt der text, hier einbetettet, so anders
wie kurz sonst der text,
wie lang die betrachtung.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 31.10.2023, 16:56

Hallo jondoy, danke für Deine Reaktion.

Meinst Du, der zitierte Teil fällt zu sehr heraus ("so anders")?
Klar, ich wollte natürlich unbedingt mit Brüchen arbeiten, auch: diesen religiösen Text in den Alltag holen und damit sehr verändern ... um dann aber doch wieder die Kurve zu etwas "Heiligen" zu kriegen.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 31.10.2023, 23:26

bevor du dazu meine meinung erfahren könntest,
müsste ich erst einmal ein längeres gespräch mit dir führen,
um mir deine intension erklären zu lassen,
was dir beim schreiben dieser zeilen durch den sinn gegangen ist,
das finde ich sehr wichtig,
wenn mich was interessiert,
dann will ich mehr darüber wissen,

das kann natürlich ein online-forum nicht bewerkstelligen,
dort bleibt das allermeiste eine momentaufnahme,
irgendwie oberflächlich,
deswegen kann ich dir auch nur eine oberflächliche antwort geben.

nein, amanita (wenn ich dich richtig verstehe),
der von mir zititierte teil fällt meiner auffassung nach nicht zu sehr heraus,
ich vermute, da hast du mich missverstanden

ich find den text gar nicht schlecht,
um es vielleicht für dich deutlicher auszudrücken,
ich find ihn richtig gut, ungewöhnlich, und auch rund,
ich könnte dir deshalb keine stelle in dem text nennen, die ich sofort ändern würde,
und das gibt es ganz selten, bei deinen texten, wenn ich sie lese,
mit deinen texten tue ich mich meist richtig schwer,
ich würde fast bei jedem intervenieren,
sie liegen mir nicht, weil sie mir meist zu "schwer" sind,
aber ich nehme sie beim lesen ernst, weil ich weiss, dass du wirklich etwas damit ausdrücken willst,
dir gehts nicht ums provozieren,

natürlich schreckt mich beim lesen der Titel des Textes ´Wunderheilung´ ab,
da schrillen bei mir die Alarmglocken, meine Skepsis lässt mir da keine Wahl,
doch den Titel lass ich links liegen,

ich hab das mit dem "wirkt so anders" folgendermaßen gemeint.

der religiöse text, den du da ausgewählt hast,
das in der heutigen zeit,
den du da in den alltag holen und verändern wolltest,
ist natürlich nicht gerade der unbekannteste text,
außer für Kulturvollpfosten,
der, wenn man ihn aufsagt, genau so lange dauert, bis er ausgesprochen ist.
hier aber - in diesen text eingebettet - wirkt er auf mich beim Lesen plötzlich so anders,
weil er halt eingebettet ist in eine rahmenhandlung,
die ihn plötzlich lang erscheinen lässt (...nicht allein wegen der Wiederholungen, das verstärkt vielleicht die Wirkung)
insofern ist dein Vorhaben, ihn zu verändern, ohne ihn zu verfälschen, voll gelungen,
nur tue ich mir schwer, den überhaupt in den Alltag zu verorten,
da bin ich vielleicht nicht der richtige dafür,

beim Lesen des Textes stelle ich mir vor, denke ich an einen Menschen, der sich in einer schwierigen, für ihn sehr bedrückenden Situation befindet,
in einer, wo gute Sprüche ihren Wert verlieren, nichts mehr wert sind,
wo dann gerne gehadert wird, jemand anders schuld sein soll an der eigenen Lage,
wie beispielhaft dieser Steve Jobs, warum ausgerechnet er,
wer weiss, vielleicht liegt dieser Mensch tatsächlich im Wochenbett,
kommt mir eben in den Sinn,
ist vielleicht noch jung und voller Liebe und Tatendrang
und dennoch auf sich selbst zurückgeworfen,
fast jede Nacht läuft beschissen für ihn,
ich kann das ´und in der nacht, wenn meine wunden laut sind und brennen' richtig gut nachvollziehen,
und dann kommen ihm diese Worte in den Sinn,
und wenn es augenblicklich eintreten würde,
wäre es in diesem Moment tatsächlich eine Art Wunderheilung,

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 02.11.2023, 09:46

Lieber jondoy,

hab herzlichen Dank für Deine ausführliche Interpretation, bei der ich mich sehr verstanden, "zu Hause" fühle.
Als "abgebrochene Theologin" – nein, ich habe nur ein paar Semester studiert, ohne einen Abschluss anzustreben, habe vielmehr auf meine künstler. Aufnahmeprüfung "warten" müssen – interessiert mich immer wieder die Verbindung Theologie und Alltag, interessieren mich "Glaubensreste", mögliche Um- und Neudeutungen usw. Und natürlich auch die Frage, was "uns" heute so fremd ist, dass sich die Menschen scharenweise als areligiös empfinden und die Kirchen verlassen.
Aber wenn das in meinen Gedichten angetippt wird, möchte ich da gar kein Riesenfass aufmachen. Manchmal "spiele" ich einfach mit Traditionen wie hier, hole das "Heilige" vom Sockel in den schnöden Alltag, um ihm dann aber doch wieder eine besondere Rolle zukommen zu lassen (denn es sind eben doch kraftvolle Texte, diese Überlieferungen).

Eine Frage hätte ich noch: Meine Texte sind Dir zu schwer ... zu schwermütig oder zu schwierig?
Ersteres könnte ich mir vorstellen, ich bin ein Mensch, der irgendwie alles ernst nimmt (schon immer, schon als Kind), und so schreibe ich dann auch. Vielleicht ist zuviel Authentizität auch wieder blöd ... ich weiß es nicht. Bin dazu noch ein westfälischer Sturkopp, den ich natürlich nicht wegkriege. Aber das ist ein anderes Thema!

jondoy
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Beitragvon jondoy » 04.11.2023, 10:25

Liebe Amanita,
sehr aufmerksam von dir, dass du mir so erklärend und auf diese Art und Weise geantwortet hast, seit rund zehn Jahren lese ich im Blauen sporadisch, aber regelmäßig Texte von dir, darunter auch verborgene, diese Antwort hat mich überrascht.

Ich bin schon relativ früh mit dem Christentum in Berührung gekommen, ich glaub, da war ich so ungefähr eine Woche alt, damals haben meine Eltern, da sie große Sorge um mich hatten, mich in einer Krankenhauskapelle (not-) taufen lassen.
Schon bevor ich lesen und schreiben konnte, habe ich zahlreiche Erzählungen aus dieser Sammlung überlieferter Geschichten, die später in umstrittenen Konzilen kanonsiert wurde und in sich sprachlich sehr unterscheidenden Versionen nacherzählt werden , gekannt, da sie mir als kleines Kind vorgelesen wurden.

Ich bin nicht aus meiner Konfession ausgetreten. Ich bin Christ. Aber nicht so, wie sich das manche vorstellen. So nebenbei.

Deine Frage vermag ich schwer zu beantworten.
Was soll ich dazu sagen.
Deine Texte wirken auf mich oft ...schwierig trifft es nicht, da gibts andere Texte.
Das Wort "schwermütig" triffts aber auch nicht richtig.
Vielleicht ein hilfloser Versuch.
Die Sprache deiner Texte wirkt auf mich häufig "herb", obgleich sie sehr bilderreich ist.
Hab vor ein paar Tagen zufällig den Film über Anselm Kiefer gesehen. Dem seine Art von Kunst bringst du - im übertragenen Sinne - gewissermaßen in lyrischer Form mitunter zu "Papier".
Er bohrt gern an Stellen, die Menschen gerne verdrängen.

Ich finde, das Leben ist schon schwer genug. Wer die Augen aufmacht, weiss, es geschehen viele harte Sachen. Schwermütige Texte vertrage ich nur in wohldosierten Dosen. Ich brauch das zum Überleben.
Vergiss nicht, meine Meinung ist nur eine Einzelmeinung.
Deine Texte haben tausend Facetten.
Und ich schätze Authentizität.

Herzliche Grüße
j

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 05.11.2023, 11:44

Hallo jondoy, DANKE, das hilft mir alles weiter.
Ja, "herb und bildreich" sind meine Gedichte, das sehe ich auch so (und nicht nur ich). Aber ich muss wirklich versuchen, nicht ständig das Schwerlastige zu pflegen.


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