liebe amanita,
was "effekthascherische sprache" angeht, würde ich meinen, dass die meisten literarischen texte auch auf das erzielen von effekten hin orientiert sind, oder ihre gewünschte wirkung zumindest mit im blick haben - meine nicht weniger als deine, oder eben auch massentaugliche literatur. es sind erstens nur unterschiedliche effekte, die 'erhascht' werden. und gibt zweitens sehr unterschiedliches sich-dessen-bewusstsein, was die eigene sprache und wortwahl angeht.
wenn du noch mal nachliest, was ich in meinem vorkommentar geschrieben habe, wirst du auch merken, dass ich dir die "effekthaschende sprache von boulevardberichten" gar nicht unterstellt habe. ich sprach davon, dass ich sie assoziere - stellte eine vermutung an, vielleicht aufgrund einer erinnerung an diese sprache zurückzuschrecken.
und das kommt so: z.b. nochmal zum ausdruck "am ende" - er gefiel mir an dieser stelle nicht, weil ich ihn hier dramatisierend, überhöhend fand: welches "ende" denn bitte genau? - wohl kein unmittelbar bestimmtes - sondern 'man sagt eben so'. dieses 'so sagen' ist aber mit emotionalem begleiteffekt verbunden - unterschwellig wird ein 'ende' evoziert - etwas endgültiges, dramatisches. wenn ich diesen (pathetischen) effekt nicht bewusst unterstützen / anwenden will, formuliere ich eben ein wenig anders.
natürlich ist das subtil, und fällt auch letztlich in die geschmacksdiskussions-kategorie: man könnte ja auch sagen - "zuletzt" ? welches "letzte" soll denn jetzt damit heraufbeschworen werden? das ist ja pathetisch!
- dann ließe sich schwerlich weiterdiskutieren, außer eben geschmacksbegründet: >>" das empfinde ich nicht so - mir gefällt es gerade deshalb besser, weil es es informeller, ruhiger bei mir ankommt als als ein explizit genanntes und substantivisch repräsentiertes 'ende' - um das es inhaltlich dabei gar nicht geht."
auch dir gefällt es besser - möglicherweise im einklang mit derselben kritischen einstellung, die dich sagen lässt - "denn Pathos lehne ich in meinen Bildern, Texten und Alltagen rundweg ab." (diese aussage überzeugt mich im übrigen noch nicht, aber ich glaube dir.)
doch zum einen - wo beginnt pathos? - für mich eventuell anderswo als für dich, weil ich vielleicht generell verstärktes interesse darauf richte, 'gebrauchsformulierungen' zu hinterfragen und dann oft aufzulösen, statt mich ihrer nutznießend zu bedienen für meine jeweilige erzählerische absicht - die mit solchen 'spitzfindigkeiten' vielleicht wenig am hut hat, ihnen ggf. übertrieben ausgeliefert ist, schlimmstenfalls sogar durch sie gehemmt wird - "Ich bin praktisch und unprätentiös und würde mich nicht woandershin verrenken können und wollen." - das hast du jetzt nicht darauf bezogen gemeint - und wir stimmen ja auch in unserem empfinden überein, dass "zuletzt" hier etwas besser passt - aber man könnte es auch auf derartige fälle beziehen: ein aram hält an solcher stelle irritiert inne: "welches ende denn?", ein bertram denkt sich dazu vielleicht: was hat er denn? kann er kein gebräuchliches deutsch?
und zum anderen - vieles passiert eben nicht bewusst. wir begegnen oft bildern, ohne uns klar zu machen, womit wir es zu tun haben - bei weitem nicht alle leser werden z.b. bewusst wahrnehmen, dass es sich bei "in die psychiatrie sperren" um eine gleich zweifache metapher handelt - weder "psychiatrie" noch "sperren" verstehen sich im eigentlichen wortsinn. (letzteres wäre noch annähernd möglich, so es sich um eine geschlossene abteilung für gefährder handelte, die physisch durch versperrte ausgänge am verlassen gehindert sind - aber von psychiatrischen patienten ist hier gar nicht die rede - sondern von gedichten. - fällt fast nicht auf, oder? .-) - weil man mit 'in die psychiatrie sperren' sofort menschliche opfer assoziert - in diesem fall w.. diese bedeutungsübertragung ist hier auch bewusst gewollt und vorausgesetzt, würde ich meinen - was ich gar nicht bemängle, aber aufzeigen möchte)
jeder einzelne bildbestandteil ist schon für sich genommen geeignet, dramatische assoziationen hervorzurufen. beide zusammen erst recht, und in der implizierten bedeutungsübertragung noch mal extra - und all das, in mehrfacher unterstreichung, soll gar nichts mit pathos zu tun haben?
unabhängig davon, ob das so gefällt oder nicht, ist es natürlich ok es zu schreiben, wenn es so gewollt ist - an irgendeiner stelle muss es sich für mich aber beißen, ein solches bild bewusst zu verwenden, und gleichzeitig zu sagen "pathos lehne ich in meinen bildern, texten und alltagen rundweg ab."
wenn ich dazu sage: "das glaube ich dir", meine ich: auf deine ehrliche absicht bezogen glaube ich es dir. in der praxis geht es für mich dann aber nicht auf - entweder aufgrund zwischen uns stark unterschiedlichem begriffsverständnis von 'pathos', unterschiedlich bewusster wort- und bildwahl, oder beidem.
bitte - verstehe das nicht als persönliche abwertung oder angriff - ist es überhaupt nicht. es ist nicht gegen dich als autorin oder gegen den text, sondern auf bewussten austausch und erkenntnisgewinn gerichtet - spielerisch. (in einem meiner texte -"einige fragen zu w.s besagtem ende" findet sich die verszeile: "wann ergriff das pathos der lochfraß?", und diese frage - bemüht natürlich selber eine pathetische metapher .-)
..was bewusstes schreiben angeht - vor kurzem las ich ein interview mit einer erfolgreichen autorin, das ich bemerkenswert fand - auch wenn ich keineswegs in der lage wäre, zu meiner zufriedenheit mit montagestücken, stereotypen und untiefen so gewandt umzugehen, wie sie es offenbar vergnügt praktiziert:
https://www.derstandard.at/story/300000 ... wort-genau