Die Würgschaft

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
amira

Beitragvon amira » 25.07.2006, 23:26

Die Würgschaft
oder:
Freundschaft und andere Unsinnigkeiten


In tiefer Nacht zu einem Mädchen schlich
sich Mäxchen in leichtem Gewande
doch einer entdeckte die Schande.
"Was wolltest du von meiner Freundin? Sprich!"
schrie sein bester Freund Erich.
"Ich wollte um Isabella freien."
"Das sollst du noch bitter bereuen!"

"Für sie bin ich zu sterben bereit,
bitte dich jedoch um mein Leben.
Du musst sie mir freiwillig geben.
Du liebtest sie die längste Zeit,
nun ihr Herz nach dem meinen schreit.
Sonst hol' ich sogleich den Jürgen,
er soll dich sogleich erwürgen."

Da grinst Erich voller List
und spricht ohne nachzudenken:
"Gar nichts werd' ich dir schenken!
Sobald Jürgen gekommen ist
gönn' ich euch keine Galgenfrist,
ihr beide werdet erblassen.
Du wirst von meiner Freundin lassen!"

So ruft Max nach dem Freunde Jürgen.
Er solle ihm schnell zu Hilfe eilen
nicht länger im Bette verweilen,
notfalls sich für ihn verbürgen
und alle Nebenbuhler erwürgen.
Jürgen, der groß ist, wie ein Schrank
ist schon zur Stelle - dem Handy sei Dank!

Es ist eben Verlass auf den treuen Freund,
der stellt sich gegen den Tyrannen,
Max zieht mit Isabella von dannen.
Und ehe das erste Morgenrot scheint
haben sie sich schon wieder vereint.
Indes kümmert um die betrog'ne Seele
sich der Freund, was ich jetzt erzähle.

Es gießt unendlicher Regen herab
als die beiden wilden und hellen
Köpfe sich dem Kampfe stellen.
Sie rumpeln beide im Schlamm bergab
halten sich ganz schön in Trab
kommen im Bachbett zu liegen,
keiner konnt' den and'ren besiegen.

Sie kämpfen sich an des Baches Rand
immer wilder werden die Blicke.
"Schau, wie ich dich zur Hölle schicke!"
schreit Erich, doch schon spült vom Strand
die nächste Sturmflut ihn weit ins Land
ach, wenn nur das Wetter nicht wär',
der Fluss bringt ihn mitten auf's Meer.

An Teibholz geklammert weint und fleht
Erich, zum Herrgott da oben:
"Hör' auf so schrecklich zu Toben!
Ehe die Sonne ganz oben steht
hat meine Liebste der Wind schon verweht
und ich kann sie nicht mehr erreichen.
ich würde für immer erbleichen!"

Doch es verstärkt sich des Meeres Wut
kein Jürgen ist rundum zu sehen.
Was ist mit ihm bloß geschehen?
Da fasst Erich neuen Mut,
kämpft an gegen die wilde Flut
schwimmt mit kräftigen Armen
an's Land – und Gott hat Erbarmen.

Er erreicht die Küste und läuft davon
hat großes Glück, wie es scheint,
doch schon stürzt hervor, sein alter Feind
ihn zu lynchen, der Freundschaft zum Lohn,
und stürzt sich auf ihn - welch' ein Hohn.
"Du kommst an mir nicht vorbei!"
verkündet er, mit wildem Geschrei.

"Was willst du von mir?" brüllt Erich ganz bleich,
"Schön Isabella ist mein Leben!
Ich kann sie Mäxchen nicht geben!"
Die Angst macht ihn an Kräften reich
und so überwältigt er Jürgen sogleich.
Dieser bleibt zaudernd zurück,
soll er versuchen, sein eig'nes Glück?

Des Tages Hitze setzt Erich in Brand
zu viel war die große Mühe
ihm schmerzen der Kopf und die Kniee.
Und er verflucht das trockene Land,
das er zuvor nicht hat gekannt.
"Oh Gott, lass mich hier nicht sterben!
Ich muss doch um meine Liebste werben."

Doch plötzlich hört er's Rauschen
von einer nahen Quelle,
schleppt sich hin ganz schnelle,
lässt sich vom Wasser berauschen,
wie gut, die Natur zu belauschen.
Die kurze Rast tut der Seele gut,
er schöpft wieder Kraft und neuen Mut.

Da kommen zwei Wand'rer vorbei
und erzählen von zwei Erwählten,
die sich im Ort bald vermählten,
dass Max und Isabella das Pärchen sei
ist Erich natürlich nicht einerlei.
Ihm verkrampft sich der Magen,
doch noch will er nicht verzagen.

Von der Angst beflügelt nimmt er den Steig
den die Wand'rer ihm gewiesen.
Den Bund wird das Paar nicht schließen.
Zur Stadt ist es nicht mehr weit,
und er ist in Rage zu allem bereit.
Noch vor des Himmels Abendrot
ist Mäxchen vielleicht schon tot.

"Zurück!" schreit's plötzlich aus der Hecke
als Erich die Stadtmauer stürmt,
Jürgen ist's, der sich auftürmt.
"Nicht länger ich meine Gefühle verstecke
du, mein Nebenbuhler, verrecke."
Was Jürgen noch hier her trieb?
Es war heiße, heimliche Lieb'.

Zu spät ist es Gott sei Dank noch nicht
das wissen die verliebten Beiden,
die sich nun lauthals um Isabella streiten.
Diese überhört das Schimpfen nicht
hat noch nicht erfüllt, der Verlobten Pflicht.
Auch Mäxchen ist nicht weit
und beteiligt sich an dem Streit.

Als die Sonne hinterm Horizont versinkt
zanken sie sich noch immer
mit jeder Minute wird's schlimmer
bis es der Schönen gehörig stinkt
und ihre Geduld im Boden versinkt.
"Da bleib ich doch lieber alleine,
eh' ich mich mit einem von euch vereine."

Erstaunt blicken die drei umher
tief sitzt in jedem der Schreck
Isabella stolziert davon, ganz keck.
Sie klagen und wimmern tränenschwer,
denn sie haben keine Liebste mehr.
Die Männerfreundschaft ist auch dahin.
Das hat doch alles keinen Sinn!

Die Verwunderung ist eine große,
sie trauen ihren Augen kaum,
was sie dann noch beschau'n.
Hängt sich tatsächlich das Weib, das lose,
an eine völlig wildfremde Hose.
Streiten sich drei, was die Maid verwirrte,
freut sich anscheinend immer der Vierte.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 26.07.2006, 09:35

Liebe(r) amira,

das gefällt mir sehr gut. Schiller einmal ganz anders und doch tief empfunden. Dein Schluss lässt mich an eines meiner allerliebsten Theaterstücke von Max Frisch denken: "Biographie. Ein Spiel". Schon gelesen? Wenn nicht, dann rate ich Dir dringend dazu.

Beste Grüße

Paul Ost

amira

Beitragvon amira » 26.07.2006, 10:58

Lieber Paul!

Freut mich, dass es dir gefällt.

"Biographie. Ein Spiel" ist mir nicht bekannt. Danke für den Tipp. Mal sehen, ob das bei uns erhältlich ist.

lg, amira

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 26.07.2006, 14:18

Liebe amira,
Einfach witzig und gelungen! Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in der Schule die Bürgschaft auswendig lernen musste, sei mir nicht böse, wenn ich es bei der „Würgschaft“ nicht mache!
Liebe Grüße
leonie

amira

Beitragvon amira » 26.07.2006, 14:55

Liebe leonie!

Auch ich musste sie auswendig lernen, wie auch den Zauberlehrling.

Die Würgschaft auswendig lernen? Nein... das wäre zu viel verlangt. Außerdem möchte ich mich nicht mit Herrn von Schiller messen.

lg, amira

scarlett

Beitragvon scarlett » 26.07.2006, 15:08

Gelungen und wirklich zum Schmunzeln!
Was Schiller heut wohl dazu sagen würde??? :-)

Gruß,

scarlett

amira

Beitragvon amira » 26.07.2006, 20:32

Hallo scarlett!

scarlett hat geschrieben:Was Schiller heut wohl dazu sagen würde??? :-)


Das werden wir Gott sei Dank nie erfahren. :-) :pfeifen:

Danke für das Lob.

lg, amira

Benutzeravatar
Mnemosyne
Beiträge: 1252
Registriert: 01.08.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mnemosyne » 02.08.2006, 15:14

Ach, der Mann hatte sicher Humor :mrgreen:
Das Gedicht ist ein echtes Monumentalwerk! In Strophe 2 stehen zwei "sogleich" sehr nahe beieinander, ansonsten ein echter Herumzeiger, der sicher noch einige meiner Bekannten erfreuen wird.
Merlin

amira

Beitragvon amira » 02.08.2006, 15:30

Hallo Merlin!

Das hoffe ich!

Zwei sogleich's... noch dazu untereinander... wie konnte ich das übersehen? Die letzte Zeile in Strophe 2 war eine meiner letzten Überarbeitungen. Urspünglich hatte ich stehen "er soll dich statt meiner erwürgen" was mir letzten Endes nicht so gefiel.

Ich werde diese Zeile noch einmal überdenken.

Danke für das "Monumentalwerk" und den Hinweis.

lg, amira

Gast

Beitragvon Gast » 03.08.2006, 08:37

Liebe amira,

jetzt hast du so viel poitives Echo auf deine "Würgschaft" bekommen, dass ich denke du verträgst auch einmal "Textkritik".
Auch ich finde die Idee witzig und glaube nicht, nicht dass Schiller da etwas ein zu wenden hätte, so er könnte, aber beim Metrum... da hätte er gemeckert, ganz sicher.
Damit der Sprachrythmus irgendwie zu Stande kommt muss ich an vielen Stellen Worte ungewöhnlich, bzw. falsch betonen...
Auch ich musste die "Bürgschaft" auswendig lernen und habe den Rythmus so verinnerlicht, dass man mich nachts wechen könnte und ich würde ihn klatschen ;-)
Du könntest durch Umstellungen erreichen, dass der Sprachfluss besser wird, hier einige Beispiele:

Was wolltest du von meiner Freundin? Sprich!"
schrie sein bester Freund Erich.

besser wäre:

schrie laut sein Freund, der gute Erich.
Bei deiner Version müsste ich È - rich betonen, damit es irgenwie hinkommt,
noch besser wäre, nicht "Erich" auf "sprich" zu reimen.

Allerdings hinkt Zeile 1 auch ein wenig, eine Silbe (wolltest) zu viel, du könntest das "von"weg lassen

noch ein Beispiel:

"Für sie bin ich zu sterben bereit,
bitte dich jedoch um mein Leben.
Du musst sie mir freiwillig geben.

Z. 2
durch eine Umstellung wird er Rythmus stimmiger:

jedoch - bitte ich um mein Leben,
aus freien Stücken sie mir zu geben


Liebe Grüße
Gerda

amira

Beitragvon amira » 03.08.2006, 14:38

Liebe Gerda!

Vielen herzlichen Dank für deine Textkritik und deine Vorschläge.

dass ich denke du verträgst auch einmal "Textkritik".


So eine Kritik vertrage ich allemal (egal wie viel Lob ich bisher bekommen hab), ist ja nix beleidigendes oder persönliches an deinen Worten.

Ich weiß, dass der Rhythmus dort und da etwas ruckelt, aber das kann er - finde ich - bei einer Ballade ruhig tun, zumal sie ja ein Gemisch darstellt, bin jedoch für jeden Hinweis dankbar. Selbst große Dichter hielten sich bei Balladen nicht immer daran. ;-)

Ich finde gerade die Betonung auf E-rich witzig und gibt dem Ganzen gute Würze... aber das ist sicherlich meine persönliche Vorliebe und mag dem ein oder anderen nicht so schmecken. Aber hier kann ich mich mit deinem Vorschlag gar nicht anfreuden.

In der anderen zitierten Textstelle kann ich nichts schlechtes erkennen, außer ev., dass Z2 mit einer Hebung beginnt, dicht gefolgt von einigen Senkungen ehe wieder eine Hebung kommt. Könnte das etwas ausbügeln in dem ich Bitt' dich... schreibe.

Erstmal belasse ich alles so wie es ist. Trotzdem vielen Dank. ;-)

lg, amira

Benutzeravatar
Mnemosyne
Beiträge: 1252
Registriert: 01.08.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mnemosyne » 03.08.2006, 14:58

so eine art von fehlbetonung wird ja auch zuweilen bewusst als komisches stilmittel eingesetzt; mein lieblingsbeispiel:


Joseph Freiherr von Eichendorff

Mandelkerngedicht

In einem geselligen Kreis bei Gelegenheit einer verlorenen Wette


Zwischen Akten, dunklen Wänden
bannt mich Freiheitbegehrenden
nun des Lebens strenge Pflicht,
und aus Schränken, Aktenschichten
lachen mir die beleidigten
Musen in das Amtsgesicht.

Als an Lenz und Morgenröte
noch das Herz sich erlabete,
o du stilles heitres Glück!
Wie ich auch nun heiß mich sehne.
Ach, aus dieser Sandebene
führt kein Weg dahin zurück


Als der letzte Balkentreter
steh' ich armer Enterbeter
in des Staates Symphonie,
ach, in diesem Schwall von Tönen
wo fänd ich da des eigenen
Herzens süße Melodie?

Ein Gedicht soll ich euch spenden:
Nun, so geht mit dem Leidenden
nicht so strenge ins Gericht!
Nehmt den Willen für Gewährung.,
kühnen Reim für Begeisterung,
diesen Unsinn als Gedicht !

grüsse

merlin

amira

Beitragvon amira » 03.08.2006, 22:47

Hallo Merlin!

Ich bin begeistert!!! :banana5:

Genau das meinte ich.

Dass du ein Beispiel, noch dazu von Herrn von Eichendorf bringst (den ich immer wieder gerne lese) find ich klasse.

Liebe Grüße,
amira


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 12 Gäste