Variationen für zwei Phasen einer Beziehung

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Rala

Beitragvon Rala » 21.08.2006, 16:58

Variationen für zwei Phasen einer Beziehung

I
Oh, du gottgleiches Wesen! Wie du mich entzückst,
Mit deinen Augen blau und blank
Mir tief in meine Seele blickst
Unendlich sei den Göttern Dank!
Die Sonn' erleuchtet hell dein glänzend Haar,
Ich wüsst' nicht, dass es jemals schöner war;
Auf deinen blassen kalten Wangen liegt ein sanfter roter Hauch,
Und ich seh', in deinem Herzen glüht es auch.
Oh, wie ich es genösse,
Zuzusehn, wenn himmlisch süßer Trank in deinen edlen Mund jetzt flösse
Wenn deine sanften Lippen jetzt die meinigen berührten
Und mich zu zartem Liebesspiel verführten ...


II
Oh, du schrottgleiches Wesen! Wie du mich erschreckst,
Mit deinen Augen, grau und krank,
Mir Schatten auf die Seele hext
Unendlich sei den Göttern Zank!
Die Sonne grell brennt auf dein strähnig Haar,
Ich wüsst' nicht, dass es jemals schöner war;
Auf deinen nassen Faltenwangen liegt ein gelber Fleck vom Rauch,
Und ich seh', in deinem Innern raucht es auch.
Oh, wie ich es genösse,
Zuzusehn, wenn gallenbittres Gift in deinen eklen Mund jetzt flösse
Wenn deine harten Rippen jetzt das Fenstersims berührten
Und mich zu einem simplen Fallbeispiel verführten ...

lichelzauch

Beitragvon lichelzauch » 21.08.2006, 17:06

:totlach: :mrgreen: :totlach:

Herzlich willkommen im Blauen Salon liebe Rala! :welcome:

Gefällt mir sehr, vor allem II... das Fallbeispiel ist wirklich ein herrliches Ende.
Bin auch ziemlich beeindruckt über die Kunstfertigkeit, die hier hinter steckt, sowohl Reime, Silbenlänge, Metrum und sogar bestimmte Stellen gleich zu lassen (ich denke besonders an: "Ich wüsst' nicht, dass es jemals schöner war;" was man ja in der Tat so und so verstehen kann).

Gelungen!

Gruß,
lichelzauch

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 21.08.2006, 17:10

Hallo Rala,

die Idee mag ich; besonders das Vexierspiel mit "ich wüßt nicht, daß sie jemals schöner waren" und "oh, wie ich es genösse"; auch das "Fallbeispiel" wird mir durch seinen morbiden Doppelsinn im Gedächtnis bleiben. Hier und da könnte man noch am Versmaß etwas feilen, allerdings ist es wohl ziemlich schwierig, die rhytmische Isomorphie zwischen den Strophen aufrechtzuerhalten - aber der Versuch würde sich sicher lohnen.

Viele Grüsse

Merlin

P.S.: In dem Zusammenhang scheint mir mein Lieblingsbeispiel eines doppeldeutigen Satzes passen:
"Ein Junggeselle ist ein Mann, dem zum Glück noch die Frau fehlt" :-)

Degenhardt

Beitragvon Degenhardt » 21.08.2006, 18:49

Ein hervorragendes Poem.
Sehr gelungen!

Vielen Dank!

Gast

Beitragvon Gast » 21.08.2006, 19:42

Ach ja - und wann fängt für gewöhnlich das Leben an?
Im Mutterleib?
Mit der Geburt?
oder doch dann, wenn der Ehemann stirbt? :totlach:

Ich bin doch hier bei Humor und werde jetzt nicht gelyncht. :rolleyes:


Hallo Rala und herzlich Bild
Ich finde diese Gegenüberstellung gut gelungen - ziemlich krasses Fallbeispiel ;-)
Aber in Teil II ist noch etwas wo ich mich frage, muss nicht das "schöner" ersetzt werden durch z. B. öder , stumpfer, matter oder fett'ger etc... denn sonst ist der Sinn (die Umkehrung) doch verfehlt

Die Sonne >grell <brennt auf dein strähnig Haar, ( ><umstellen)
Ich wüsst' nicht, dass es jemals stumpfer war;

Liebe Grüße
Gerda

Rala

Beitragvon Rala » 21.08.2006, 21:26

Freut mich, dass das so gut ankommt ... mit so viel Lob hatte ich gar nicht gerechnet :banana_1:
Gerda, das mit der Umstellung passt wirklich besser, danke; was das "schöner" betrifft, finde ich, dass dieser Satz durchaus zweideutig ist - wie lichelzauch ja auch festgestellt hat - und daher in beiden Zusammenhängen verwendet werden kann.

Liebe Grüße,
Rala

Degenhardt

Beitragvon Degenhardt » 22.08.2006, 00:31

Rala hat geschrieben:Freut mich, dass das so gut ankommt ... mit so viel Lob hatte ich gar nicht gerechnet :banana_1:
Gerda, das mit der Umstellung passt wirklich besser, danke; was das "schöner" betrifft, finde ich, dass dieser Satz durchaus zweideutig ist - wie lichelzauch ja auch festgestellt hat - und daher in beiden Zusammenhängen verwendet werden kann.

Liebe Grüße,
Rala


Er sollte nicht nur verwandt werden können.
Gerade diese Gegenüberstellung durch Wortgleichheit macht hier den Reiz aus.


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