Kollektives Fallen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.09.2006, 23:50

Kollektives Fallen

stürmischer herbstwind
anker gelöst
bäume geschüttelt

blätter segeln
im kollektiven farbenrausch
zur erde
um wieder zu erde zu werden


ein schwarzes blatt
schließt sich an

nicht der wind
seine anker löste
ergebenheit seines geistes
lässt es fallen

doch

sein weg führt nicht zur erde

© Gabriella Marten Cortes
Zuletzt geändert von Mucki am 05.10.2006, 12:22, insgesamt 1-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 10.09.2006, 17:52

Liebe Magic,

erst einmal Willkommen im Salon!

Ich finde den Herbst ein sehr inspirierendes Gedichtthema (einzig wundert mich, dass wir schon seit Mitte August Postings zum Thema Herbst haben, demnach muss es bald mit den Weihnachtsgedichten beginnen ;-) ).

Auffallend an Deinem Gedicht finde ich vor allem dass schwarze Blatt, das ein ungewöhnliches Bild ist, allerdings auch eines, dessen Sinn sich mir im Kontext des Gedichts nicht ganz erschließt und der gelöste Anker, der nolens volens sogar zweinmal innerhalb des Gedichts gelichtet wird. Habe ich ihn Strophe 1 noch als Zeichen des Aufbruchs gelesen und fand die Verbindung von Herbst und Aufbruch originell, so muss ich zugeben, dass ich mit der Strophe

nicht der wind
seine anker löste
ergebenheit seines geistes
lässt es fallen


große Versctändnisprobleme habe. Ist das "seine Anker löste" wirklich auf den Wind bezogen und wieso heißt es dann nicht "löste sein Anker" (die Wortfolge klingt hier unnatürlich und gedrechselt) ist "seines Geistes" immer noch der Wind und wie kann dann Ergebenheit des Windes (nicht etwa des Baumes) das Blatt fallen lassen. Vielleicht kann ich mich dem Gedicht bei etwas mehr Erläuterungen noch besser nähern.

Liebe Grüße
max

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.09.2006, 19:24

Hallo Max,

erst einmal Willkommen im Salon!


Danke dir:)

Ich finde den Herbst ein sehr inspirierendes Gedichtthema


Ja, finde ich auch, weil er, wie man ja auch an den verschiedenen Gedichten sieht, so Vieles ausdrücken kann und große Symbolik enthält.

Auffallend an Deinem Gedicht finde ich vor allem dass schwarze Blatt, das ein ungewöhnliches Bild ist,


Genau DAS soll es sein. Dieses schwarze Blatt ist anders als die anderen, geht einen anderen Weg.

so muss ich zugeben, dass ich mit der Strophe

nicht der wind
seine anker löste
ergebenheit seines geistes
lässt es fallen


große Versctändnisprobleme habe. Ist das "seine Anker löste" wirklich auf den Wind bezogen und wieso heißt es dann nicht "löste sein Anker" (die Wortfolge klingt hier unnatürlich und gedrechselt) ist "seines Geistes" immer noch der Wind und wie kann dann Ergebenheit des Windes (nicht etwa des Baumes) das Blatt fallen lassen. Vielleicht kann ich mich dem Gedicht bei etwas mehr Erläuterungen noch besser nähern.



ich schreibe die Worte gerne anders herum, finde das poetischer. Es ist nicht die Ergebenheit des Windes, sondern des Blattes. Dieses Blatt ist das LyrIch. Es ergibt sich ohnmächtig seinem Schicksal (das möchte ich mit "Ergebenheit seines Geistes" ausdrücken. Und mit "sein Weg führt nicht zur Erde", meine ich, dass das LyrIch aufgibt. Es ist ein sehr schwermütiges Gedicht.
LG
Magic

Nihil

Beitragvon Nihil » 11.09.2006, 08:17

Und es ward Herbst. ;-)

Nihil

Max

Beitragvon Max » 12.09.2006, 21:25

Liebe Magic,

Du schreibst

ich schreibe die Worte gerne anders herum, finde das poetischer


Ich muss sagen, dass ich das ein wenig anders seh. Ich denke, dass die poetische Kraft aus der Wortwahl und den Bildern entspringen sollte, die veränderte Worstellung fine ich (im vorliegenden Fall) ein wenig gedrechselt, aber ich will daraus hier auch keine Grundsatzdiskussion machen.

Außerdem schreibst Du

Und mit "sein Weg führt nicht zur Erde", meine ich, dass das LyrIch aufgibt. Es ist ein sehr schwermütiges Gedicht.


Das kehrt lustigerweise auch die üblichen "Interpretationsrichtungen" um (Umkehrungen scheinst Du wirklich zu mögen ;-) ) - natürlich wäre ja eher "nach unten" die depressive Richtung.

Liebe Grüße
Max

Gast

Beitragvon Gast » 12.09.2006, 23:42

vielleicht geht es darum, dass das lyrich sich nicht "erden" kann...

nur mal so eingeworfen
LGG

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.09.2006, 00:05

@ Max:

Und mit "sein Weg führt nicht zur Erde", meine ich, dass das LyrIch aufgibt. Es ist ein sehr schwermütiges Gedicht.


Das kehrt lustigerweise auch die üblichen "Interpretationsrichtungen" um (Umkehrungen scheinst Du wirklich zu mögen ) - natürlich wäre ja eher "nach unten" die depressive Richtung.


Stimmt, im herkömmlichen Sinne. Die Depression zeigt sich hier aber gerade darin, dass das Blatt eben nicht zur Erde will, sondern weg aus der Welt, ins Nirvana.

@ Gerda:

stimmt, das Blatt, welches das LyrIch darstellt, kann und will sich nicht erden. Es will einfach nur weg.

Saludos
Magic

Max

Beitragvon Max » 16.09.2006, 18:14

Liebbe Magic,

Du schreibst

Die Depression zeigt sich hier aber gerade darin, dass das Blatt eben nicht zur Erde will, sondern weg aus der Welt, ins Nirvana.


Hm, damit habe ich erst recht Schwierigkeiten. Zum einen scheint mir das Blatt gar keine Chance zu haben "weg aus der Welt zu fallen", zum anderen scheint mir die Bedeutung des Nirvana nun nicht in einer Depression (und auch nicht in einem Glücksgefühl) zu bestehen, sondern in dem völligen Fehlen von Gefühlen.

Liebe Grüße
Max

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.09.2006, 19:32

Lieber Max,

man muss hier unterscheiden zwischen dem Nirvana selbst, also, was es bedeutet, nämlich das "Nichts". Dass im Nirvana selbst keine Gefühle sind, ja, da gebe ich dir Recht, da gibt es überhaupt nichts (so stellt man es sich jedenfalls vor) doch hier geht es um den Willen des Blattes, eben dorthin zu gelangen, weil das Blatt die Gefühlswelt im Hier nicht mehr erträgt.

Zum anderen will dieses Blatt ins Nirvana, ins "Nichts", und das ist ja ein Gefühl. Dieses Wegwollen aus der Welt, das Fliehen ins Nichts. Und das will dieses Blatt, weil es depressiv ist. Es mag sich nicht reinkarnieren, erden, um wieder zu Erde zu werden, sprich ein "Neues Leben" beginnen, deshalb schrieb ich Nirvana.

Warum, meinst du, dass das Blatt keine Chance hat, aus der Welt zu fallen? Das verstehe ich nicht. Das "Fallen lassen" ist ja metaphorisch gemeint, hm?
fragende Magic


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