die verstimmung der banalität ODER wie genialisiere ich den

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Benutzeravatar
noel
Beiträge: 2666
Registriert: 04.08.2006

Beitragvon noel » 24.09.2006, 19:58

die verstimmung der banalität ODER wie genialisiere ich den wahn


der trieb die sucht die
drängt ohrvor
& rauscht & ruft & tönt im chor

die erste stimme hammergleich
spricht schallt:

spinn
leb
& niemals weich
nur weil’s dem logos nicht gereicht
lass wOrte klingen
singen
schwingen
brechen raum & zeit
damit das sehen schaudre
& nähe implodiert ins weit

die zweite dann
ist wahn getrieben
& will nUr trunken intonieren:

wenn staub sich langsam senkt
sei tRaum dir nicht beengt
so sollst du
rauschen rennen
schneller laufen
als licht vom schatten wird beraumt
denn unter sohlen siecht nUr angst
im schlurf
& flüsse greifen augen an
& halt ist irgends
bang nUr bang
& nichts ist mehr & alles nichts
& nichts ist
was man will & doch
geworden
wartet alles wild
& feixt & fordert
flucht & faucht
doch breche mit dem raum
dem zwang
& atme lichten abgesang

die dritte dann
ist zaubersam
sie singt von staub
& sand den sie im chaos fand
& ihre töne
schmecken bunt
das ist sie
ihre einzig kund
Zuletzt geändert von noel am 25.09.2006, 00:54, insgesamt 1-mal geändert.
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

cali

Beitragvon cali » 24.09.2006, 20:14

hola noel

im letzten Textabschnitt kannmag ich mich momentan am besten einfühlen... das andere, auch wesentliche lass ich noch wirken... sodann es mir W.orte entlockt... wirst du sie hier finden...

fein komponiert:

die dritte dann
ist zaubersam
sie singt von staub
& sand den sie im chaos fand
& ihre töne
schmecken bunt
das ist sie
ihre einzig kund


ein wohltuender Juwel... [nicht nur gerade gegenwärtig für mich]:
.... DAS IST SIE IHRE EINZIG KUND

Danke fürs entzücken

Charlotta

claire.delalune

Beitragvon claire.delalune » 26.09.2006, 13:44

hallo noel,
faszinierend! absolut faszinierend finde ich dieses gedicht.

die form ist ungewohnt (&-zeichen, die unvermittelte gRoßschreibung einiger buchstaben), weshalb sie zusätzlich aufmerksamkeit erzeugt. mich zumindest aber nicht abeschreckt oder vom lesen abhält.
und das ist gut. sehr gut!

deinen text muß man laut lesen. die worte über die zunge gleiten lassen, sie flüstern, rufen... mit leisem lesen wird man den vielen lautmalereien nicht gerecht.

insofern wird die erste strophe mir zur einleitenden beschreibung, wie ich mit deinem text zu verfahren habe. er muß ans ohr, muß rauschen, rufen, tönen.

die alliterationen und unaufdringlichen reime geben deinem text ein singen und schwingen, wie es in der zweiten strophe zum ausdruck kommt.
dabei passen gerade die alliterationen klanglich jeweils genau zum inhalt.
von den verschiedenen stellen möchte ich einen teil der vierten strophe rausgreifen:
wild
& feixt & fordert
flucht & faucht


dann bricht der klang - und der inhalt wird weicher - und du schreibst es genau so. toll!

doch breche mit dem raum
dem zwang
& atme lichten abgesang


und auch in der letzten strophe passen inhalt und wortwahl, wortklang absolut zusammen.

ich bin wahrlich begeistert von diesem gedicht!
lieben gruß,
kathrin

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 27.09.2006, 11:33

Liebe noel,

weißt du, was ich großartig finde (wirklich großartig)? Den Titel...im Grunde kann nach solch einem Titel gar nichts besseres mehr kommen (auch weil es ja der Titel ist!).

Das, was ich inhaltlich meine verstanden zu haben, habe ich auch mal so empfunden, glaube aber (habe für mich erfahren), dass es erdichtet ist (in einem) (wia alles andere auch?). Gerade, weil du das Wort logos verwendest, meine ich das...

Gleich zu Anfang weiß ich wieder nicht...der trieb die sucht die...??? (ich bin zu dumm, um da zu springen :alien0027: )
der trieb die sucht die
drängt ohrvor
....

Was ich sagen will, für mich ist der Text inhatlich eines der Konstrukte, die man aufgeben kann, wenn man es will.

Ist immer ein bisschen albern mit einem text zu antworten, aber da du eh jemand bist, der sehr eigensinnig antwortet, kopier ich ihn doch mal hier rein...(ist allerdings ein bisschen anders, wenn auch gleich aus meiner lesrichtung deines textes):

(ist ein alter text)

Familientrompetenfrühling

Und mit den Trompeten schritt er durch die Straßen
aufrecht und stolz
Denn er hatte die Grenze überschritten und war glücklich
Und er drehte sich um die eigene Achse
schrie nicht, denn er lachte.
An die hundertmal einem Hochzeitsmarsche gleich
(vom gleichen Komponisten?)
Und er träumte, dass seine Mutter hereinkam (sie kam herein),
doch er war wach und freute sich seines Wahnsinns.

Schlug die Hacken zusammen,
fuhr sich klar durchs Haar.
Eben noch Uteruszeit (22 Monate?)
Nun schon 1.58 (ganz 2:32)
Diese selbsttheatralische Musik war schon eine Medizin.
Warum sich also erschießen?
Und er hüpfte an die fünfmal
Und pflückte einen Apfel vom Birnenbaum (Apfel und Birnen fallen einem zuerst ein, entschuldigen Sie, ich habe es eilig)
Und er riss einem Löwen ein Haar aus – oder war es eine Idee.
Denken jedenfalls war nicht sein Element.
Etwas Dichtung bitte, reißen Sie sich doch zusammen (ritsch).
Und das erste Mädchen das herbeikam, nahm er und tanzte es, bis es umfiel
Und er warf die Apfelkerne über sie als Schmuck der Braut.
Und er dachte: Na, wenn das nun keine ordentliche Psychose ist
Schlug ein Rad, nein 14
Und da die Repeattaste gedrückt war und es Kopfhörer für die Nachbarn gab,
starb er, glaube ich, nie – heute jedenfalls nicht.


Ich mag deine Texte,

Liebe Grüße,
Lisa

edit: ergänzung: mir fällt jetzt erst auf...ist es vielleicht absicht??
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Benutzeravatar
noel
Beiträge: 2666
Registriert: 04.08.2006

Beitragvon noel » 28.09.2006, 19:10

NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

Benutzeravatar
noel
Beiträge: 2666
Registriert: 04.08.2006

Beitragvon noel » 28.09.2006, 19:13

@ charlena

baut aufmerci vielmals

@ kathrin
die dichte deiner befassung, das nach- & einfühlen hat mich
fasziniert
chapeau

@ lisa
ich finde es nienicht albern mit einem text zu antworten,
es zeigt mir, dass du bewegt wurdest & das ist sehrsehr viel
für mich

was ich nicht verstehe ist dieser satz

Was ich sagen will, für mich ist der Text inhatlich eines der Konstrukte, die man aufgeben kann, wenn man es will.


noel
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 29.09.2006, 19:56

Liebe noel,

ja, wie könnte ich den satz erklären? Für mich gibt es Empfindungen/Wahrnehmungen, die man relativieren kann und es gibt welche ,wo man das nicht kann (ohne prinzipiell werden zu wollen, immer noch graduell, aber mangelnde Ähnlichkeit). Die in deinem Gedicht wahrgenommene Empfindung des Logos ist für mich ein Konstrukt, das man aufgeben kann, wenn es einem nicht gut tut. Aber diese Aussage ist auch ein bisschen vorbei an deinem text, der sich ja viel weiter bewegt bis zum dritten. Will sagen: mein Ausmachen ist nun ein anderes als früher :-)

Liebe grüße,
Lisa

ach, für diesen Satz in einem deiner Kommentare, wollte ich dir noch danken...das hast du toll gesagt:

bildern die mich weg
-lesen lassen, um genau bei mir wieder anzukommen.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 24 Gäste