trauern

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 09.11.2006, 21:04

blicke
von gegenüber
schwären in mir
acht unüberwindbare
schritte nah

hinterrücks
überfällt mich
das gestern
deine augen
der himmel darin

worte
von der zeit
die wunden heilt
ich vermag sie
nicht einzuholen

und während ich
meine tränen
zum frühstück fresse
hungert mich
nach schweigendem Du


Erstfassung:

in mir eitern
blicke von gegenüber
acht unüberwindbare
schritte nah

flügellahme worte
von der zeit
die wunden heilt
ich vermag sie
nicht einzuholen

hinterrücks
überfällt mich
das gestern
deine augen
der himmel darin

und während ich
meine tränen
zum frühstück fresse
hungert mich
nach schweigendem Du
Zuletzt geändert von leonie am 21.11.2006, 16:15, insgesamt 4-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 09.11.2006, 23:05

Liebe leonie,

das geht unter die Haut.
Die Blicke der andern, die das lyrich drauf stoßen, dass es allein ist und mit dem üblichen Gerede, (was sogar wahres enthält) zu trösten versuchen...
Die Bilder sind sehr gut und intensiv.
Die Steigerung hält, bis sie im letzten Vers in Trauer zusammenbricht... so mein Empfinden, gut so.
Nur den Anfang würd ich umstellen:

blicke von gegeüber
eitern in mir

(klingt besser beim lesen, mit "blicke..." zu beginnen).

Abendgrüße
Gerda

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.11.2006, 23:23

Liebe leonie,

aber echt, das geht wirklich tief rein. (Ich höre auch gerade noch so eine melancholische Melodie im Hintergrund, da potenzieren sich deine Zeilen, die Trauer enorm!)
Mit dem Einwand von Gerda (sehe ich auch so), ist es perfekt!
anerkennende Grüße
Gabriella

Niko

Beitragvon Niko » 09.11.2006, 23:41

die letzte strophe, leonie..........da fehlen mir die worte. das ist absolut gut. was mir nicht gefällt, weil dein wirklich guter text das nicht nötig hat ist die "zeit heilt wunden" zeile(n). das klingt so profan und blass in deinem starken text. ich würde mir da etwas bildhafteres wünschen.

"hinterrücks" gefällt mir sehr. die trauer, wie sie einen anfällt. unvermittelt, ungesehen, ungeahnt. genau das passende wort an der stelle. "meine tränen zum frühstück fressen".........das geht wirklich sehr nah. so fühlt es sich an. ja!

lieben gruß: Niko

Nachtrag: die letzten beiden strophen sind schon (fast?) ein gedicht für sich.

Nachtrag II : wenn schon umstellen, so würd ich im hinblick auf strophe II folgend setzen:


acht unüberwindbare
schritte nah
eitern
blicke von gegenüber
in mir

so..genug nachgetragen...

ähem........nachtrag :-)) - der zeilenbruch ist jetzt mal außen vor...und natürlement variable

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leonie
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Beitragvon leonie » 10.11.2006, 14:13

Liebe Gerda, liebe Gabriella, lieber Niko,

vielen Dank für eure schnellen Rückmeldungen und das Lob und die Kritik. Es freut mich sehr, dass das Gedicht Euch berührt. Den ersten Vers habe ich umgestellt, so scheint er mir im Moment am stimmigsten.. Was die
„Zeit, die Wunden heilt“ betrifft: das habe ich bewusst reingenommen, gerade weil es so gängig ist und nicht ganz falsch. Die Worte sind flügellahm und trotzdem kann das lyrIch sie nicht einholen, ebenso wenig wie die Zeit. So kommt in manchen Phasen der Trauer kein Trost an.
Aber kann man das überhaupt verstehen? Sonst muss ich noch mal drüber nachdenken...

Ja, Niko, stimmt, die letzten beiden Strophen könnten auch für sich stehen...Nur wollte ich die Reaktionen der anderen gern drin haben (mit dieser Idee begann das Gedicht).

Euch nochmals vielen, vielen Dank!

Liebe Grüße
leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.11.2006, 15:37

Liebe leonie,

"Zeit, die Wunden heilt" würde ich drin lassen, ich zumindest verstehe gleich, wie du es meinst.
Version zwei: :daumen:
Saludos
Gabriella

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tulpenrot
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Beitragvon tulpenrot » 10.11.2006, 17:25

Hallo Leonie,

jetzt hab ich deine Zeilen mehrmals gelesen, zunächst die Endfasung.
sie machte mir den Einstieg ein bisschen schwer, weil ich erst nicht recht wusste, welche Situation ihc mir da vorstellen konnte, Die Erstfassung macht es leichter.
Dann stolperte ich beim ersten Lesen über das "Fressen", ein starkes Wort in dem sonst zwar eindrücklichen, aber eher verhaltenen Gedicht. Ich konnte aber im zweiten Durchgang besser damit umgehen. Aber enn ich ehrlich bin, würde mir "während ich meine Tränen zum Frühstück esse" besser gefallen. Das ist, finde ich, schon stark genug! Aber es ist Dein Gedicht!

Sicher ist "die Zeit die Wunden heilt" so ein gängiger Begriff, aber du fügst ihn in ein neues Umfeld so geschickt ein, dass es sich neu anhört! Gerade so etwas empfinde ich als etwas Besonderes, als gekonnt!

Ich habe alles sehr gerne gelesen und bin sehr angetan davon.
Trauer ist so, kann so sein, wie du es umschreibst! Hinterrücks kommt sie, immer wieder steigen die Bilder auf. Der Trost, der von einem Gegenüber kommt, ist so lahm dagegen. (Andere Auslegung: die lahmen Worte sind Grund der Trauer, die schmerzend erlebt wird)

Liebe Grüße
tulpenrot
"Ach, wissen Sie, in meinem Alter wird man bescheiden - man begnügt sich mit einem guten Anfang und macht dem Ende einen kurzen Prozess." AST

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leonie
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Beitragvon leonie » 11.11.2006, 13:12

Liebe Angelika,

vielen Dank für Deine Rückmeldung. Zu dem „fressen“: Ich wollte, das „etwas in sich hineinfressen“ mit anklingt. Ich überlege, ob ich es durch „schlucken“ ersetzen könnte, bin mir aber noch nicht sicher. „Fressen“ hat auch einen aggressiven Anklang, den ich hier gar nicht schlecht finde, weil in der Trauer oft auch Aggressionen enthalten sind.
Vielleicht sagen ja noch andere etwas dazu.

Liebe Grüße

leonie

Cara

Beitragvon Cara » 11.11.2006, 14:12

Hallo leonie,

das ist ein sehr starkes Gedicht...habe es gerade erst gelesen!!!

Was die allerletzte Diskussion um das Verb "fressen" angeht:
Ich finde, Tulpenrot hat da Recht....es fällt etwas aus dem Rahmen des Gedichtes.
Nichts gegen "fressen"....aber hier würde mir "schlucken" besser gefallen.

Großes Kompliment :daumen:

Cara

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.11.2006, 15:05

Liebe leonie,

zum "fressen"

ich würde es drinlassen, weil es für mich mehrere Interpretationen zulässt:

einmal: das in sich hineinfressen
und auch die Wucht und die "Menge" der Tränen, dass es Ströme von Tränen sind, da ist mir "schlucken" zu milde, zu "wenig".

Saludos
Gabriella

Cara

Beitragvon Cara » 11.11.2006, 15:22

Lach,

welches Sternzeichen bist du, Magic?
(gern auch Antwort per PN)

Magic, du hast schon Recht, nur klingt "fressen"
etwas zu "ordinär" für dieses Gedicht, meine ich....

ich möchte leonie (und dir) noch das Verb "verschlingen" vorschlagen.
Wäre das vielleicht "ein Kompromiss"? Letztlich muss natürlich leonie es mit ihrem Gefühl vereinbaren.

LG
Cara

Gast

Beitragvon Gast » 11.11.2006, 15:30

Liebe leonie,
das fressen gehört da m. E. unbedingt hin.
Gerade weil es den Tenor des Textes ein wenig kippt, er muss doch nicht bis zum Ende brav durchgehalten werden, quasi die Contenance behalten...

LGG

... liebe Cara, mit Sternzeichen hat das "hoffentlich" hier nichts zu tun... ;-)

Cara

Beitragvon Cara » 11.11.2006, 16:13

Gerda,

da bin ich ganz und gar anderer Meinung als du.....*s*
(was die Sternzeichen angeht, meine ich).

Das "Fressen" überlasse ich leonie, schließlich ist es nicht nur , was die Contenance angeht, "Geschmackssache"......

amused :razz:

Cara

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leonie
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Beitragvon leonie » 11.11.2006, 16:43

Hallo, ihr Lieben,

vielen Dank, dass Ihr Euch so intensiv mit dem Text auseinandersetzt. Ich verstehe den Einwand gegen „Fressen“, habe aber (zumindest im Moment noch) den Eindruck, dass es das richtige Wort hier ist...
Gerade weil Trauern in ein Gefühlschaos stürzt, in dem vieles unkontrollierbar ist, auch die Wut und manchmal die Wortwahl...

Liebe Grüße

leonie


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