Verdammt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Jürgen

Beitragvon Jürgen » 20.04.2007, 17:40

Verdammt

Dieses Dorf
ist verdammt,
sagt man.
Eine Macht
hat den Ort
eisern im Griff.

Halt nicht an.
Steig nicht aus.
Fahr immer weiter.

Abgeschiedenheit,
ein Inzest der Gedanken -
leichtes Spiel
für den Nachtmahr.

Symbole zeigen,
wer hier regiert.
Abgesteckt und markiert,
das Jagdrevier.

Körperlos
ergreift das Wesen
Besitz von den Menschen.

Junge Gesichter,
bleiche Haut und blonde Haare
Die Alten nicken ihnen zu.

Augen starren
misstrauisch
als seien wir
eine Bedrohung.

Eine schwarze Sonne
brennt unerträglich.
Befreite Zone
sagen sie.
Befreite, Befreier
Und wir.

Die Anderen
tot oder geflohen,
die Fensterläden ihrer Häuser
mit Brettern vernagelt.

Halt nicht an.
Steig nicht aus.
Fahr immer weiter.
Die Dunkelheit bricht an.
Für Leute wie uns
ist die Nacht
gefährlich.



Ursprüngliche Fassung:
Ein deutsches Transsilvanien

Dieser Ort
ist verdammt,
sagt man.
Eine Macht
hat sie im
eisernen Griff.

Halt nicht an.
Steig nicht aus.
Fahr immer weiter.

Abgeschiedenheit,
ein Inzest der Gedanken -
leichtes Spiel
für den Nachtmahr.

An den Fassaden
zeigen Symbole,
wer dieses Dorf regiert.
Abgesteckt und markiert,
das Jagdrevier.

Körperlos
ergreift das Wesen
Besitz von den Menschen.

Junge Gesichter,
bleiche Haut und blonde Haare
Die Alten nicken ihnen zu.

Augen starren
misstrauisch
als seien wir
eine Bedrohung.

Befreite Zone
sagen sie.
Befreite, Befreier
Und wir.

Die Anderen
tot oder geflohen,
die Fensterläden ihrer Häuser
mit Brettern vernagelt.

Halt nicht an.
Steig nicht aus.
Fahr immer weiter.
Die Dunkelheit bricht an.
Für Leute wie uns
ist die Nacht
gefährlich.



Geändert nach Hinweis von pandora und Verbesserungsvorschlägen von moshe, scarlett und Gerda Jäger
Zuletzt geändert von Jürgen am 24.04.2007, 10:02, insgesamt 5-mal geändert.

pandora

Beitragvon pandora » 20.04.2007, 17:47

hallo gurke,

ich schreibe später nochmal ausführlich. ich las gestern abend einen artikel über ein dorf im würtembergischen. es könnte schauplatz deines gedichtes sein.

nur einen anmerkung auf die schnelle. in der ersten strophe hakt die grammatik.

Dieser Ort
ist verdammt,
sagt man.
Eine Macht
hat sie im
eisernen Griff.


mir ist klar, was du meinst. aber man bezieht als leser den zweiten satz auf den ersten und dann müsste da "es" stehen. oder du setzt den zweiten satz drucktechnisch ab.

p.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 20.04.2007, 18:02

Hallo pandora,

Dank Dir für den Hinweis. Du hast Recht. Da ich im ersten Satz nicht von den Menschen sprach, ist es so verwirrend. Habe es geändert.

Schönen Tag

Jürgen

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 21.04.2007, 15:47

Lieber Jürgen!

Mir erschiene es dramatischer mit folgenden Änderungen:

Verdammt ist
dieses Dorf......

----------

Symbole an
den Fassaden zeigen.............

----------

Tot oder geflohen
die Anderen,
Fensterläden ihrer Häuser
mit Brettern vernagelt

-----------

MlG

Moshe

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 22.04.2007, 14:18

Hallo moshe,

dank Dir für Deine Anregungen. Sie klingen in der Tat dramatischer, was für dieses Gedicht auch das Richtige wäre. Ich überlege noch und melde mich später wieder.

Schönen Tag

Jürgen

Gast

Beitragvon Gast » 23.04.2007, 00:46

Lieber Jürgen,

ich habe deinen Text schon ein paar Mal gelesen. So ganz bin ich noch nicht durchgestiegen.
Handelt es sich tatsächlich um etwas Konkretes, also um einen existierenden Ort, oder kann dieses vermeintliche Dorf überall da sein, wo Fremdenhass um sich greift?
Was ist nicht verstehe: "Der Nachtmahr" ich kenne: Die Nachtmahr = der Alptraum, (Mahr von Märchen), was ist das bitte.
Ich habe eine Art Vorstellung oder Ahnung, kann es aber auch nicht mit Transylvanien, also Siebenbürgen in Verbidung bringen, zumal es "Ein deutsches Transylvanien" heißt.
Ich komme mir ziemlich unwissend vor und fürchte die Blamage nicht.
In Siebenbürgen treffen ja auch die verschiedensten Kulturen auf einander, aber worauf übertrage ich diese Metapher: "Ein deutsches Transylvanien" ?

Liebe Grüße
Gerda

... auch pandoras weitere Meldung herbeisehnend, auf dass sie mir Hell ins Dunkel leuchte ...

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 23.04.2007, 08:41

Hallo Gerda,

das ist doch völlig in Ordnung, nachzufragen.

Ich habe Motive aus Bram Stokers Roman "Dracula" übernommen und die Stimmung eines von einer finsteren Macht beherrschten, abgeschieden liegendes Dorfes übertragen auf Orte in Deutschland mit einer starken rechten Szene. In diesen Orten, pandora hat von einem Dorf in Baden-Wüttenberg gelesen, hat eine Entwicklung stattgefunden, in der ein rechtsradikaler Konsens seinen prägenden Stempel aufdrücken kann. Vielleicht hast Du schon mal von dem Begriff "National befreite Zone" gehört? Es ist ein Begriff, der vor Jahren von einer rechtsradikalen (ich glaube hamburgerischen) Studentengruppe in einer Streitschrift eingeführt wurde. In dieser Schrift steht im Grunde, dass die Szene durch ständigen Terror und Gewalt gegen Migranten, Linke und sonstige Feindbilder solche Zonen schaffen sollte, kombiniert mit einnehmender Einflussnahme auf die Bevölkerung. An solche Orte, an denen so eine Entwicklung eintrat, dachte ich.
An die verschiedenen Kulturen in Siebenbürgen dachte ich allerdings nicht.
Nachtmahr bezeichnet doch auch eine unheimliche Bedrohung. Ich habe Worte wie Nachtmahr, Wesen, Macht gewählt, da sie "körperloser" verstanden werden können, anders als Vampir oder Geist.

Schönen Tag

Jürgen

Hallo moshe

Deine ersten beiden Vorschläge übernehme ich gerne. Sie wirken in der Tat dramatischer.
Bei den Anderen bleibe ich bei der ursprünglichen Fassung, da mir die Anderen mit Bezug auf die vorherige Strophe wichtig sind und daher am Anfang stehen sollten.

Auch Dir einen Schönen Tag

Jürgen

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 23.04.2007, 08:45

Hallo Jürgen,

ganz schön gruselig! Also gibt es auch in Deutschland Vampirdörfer?

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 23.04.2007, 08:48

PS:

Die Fassaden in der vierten Strophe habe ich gestrichen. Sie sind im Grunde überflüssig.

MfG

Jürgen

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 23.04.2007, 08:49

Hallo Elsa

Danke für Deinen Kommentar.

Ja, im Grunde gibt es die...leider.

Bis demnächst

Jürgen

scarlett

Beitragvon scarlett » 23.04.2007, 08:53

Lieber Jürgen,

ich finde das auch ganz schön gruselig und die rechts"züge" beängstigend!

Allerdings führt der Titel auf eine ganz schön falsche Fährte - trotz Dracula und Bram Stoker - ich halte ihn für nicht gelungen, da Siebenbürgen ganz schön viel mehr impliziert, als das was vor allem die Medien daraus über lange Zeit gemacht haben (der Mythos wird zwar in Transsilvanien angesiedelt, hat aber fast keinen realen Bezug). Auch die Verbindung zum rechten Eck, die ja das Gedicht impliziert, kann so nicht stehenblieben, was diesen Landstrich betrifft.

also mein Fazit: Gedicht gut, gelungen, Titel vielleicht doch nochmal überdenken.

Liebe Grüße,

scarlett
die sich in Siebenbürgen recht gut auskennt ;-)

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 23.04.2007, 09:57

Hallo nochmal

@ Gerda

Entschuldigung, ich sollte wirklich genauer lesen. Du beziehst dich bei Nachtmahr auf den Artikel. Laut Duden ist Mahr maskulin, Nachtmahr dann doch sicher auch, oder???

@ scarlett

Sicher, es ist das Dracula-Klischeebild, dass hier mal wieder Transsilvanien schlecht dastehen lässt. Ich wollte Siebenbürgen nicht diskriminieren und überdenk den Titel noch einmal. Er passte halt so gut zu Stokers Beschreibungen. Danke für Deinen Kommentar.

Liebe Grüße

Jürgen

Gast

Beitragvon Gast » 23.04.2007, 10:43

Lieber Jürgen,

gerade habe ich nachgesehen, es heiß der Nachtmahr, was ich mir da zusammengereimt habe ist schlicht falsch.
Beim Titel, so meine ich, dass nicht zu letzt auf Grund du scarletts Einwand überlegen solltest einen anderen zu nehmen.
Es gibt glaube ich niemanden der bei Transsylvanien nicht zu erst an Dracula etc. denkt, es wird dann schwierig, es als Metapher zu begreifen.

Übrigens finde ich, "Inzest der Gedanken" auf grausame Art zu(treffend).Es enthält die Anspielung auf den Holocaust, sowohl als auch auf das verquere Gedankengut dieser "Rechten".
Auch die Idee, ein Gedicht darüber zu schreiben, welches letztlich die Angst des einzelnen ausdrückt, sich an einem solchen ort zu bewegen, findet meinen Beifall!

Ein paar Kleinigkeiten sind mir noch auf gefallen.

Vers 1

eisern im Griff
hört sich geschmeidiger an.

Vers 4
Symbole zeigen
wer hier regiert


würde die Wdhlg. von "Dorf" ersparen

Vers 5
Gurke“ hat geschrieben:Körperlos
ergreift das Wesen
Besitz von den Menschen.


für meine Begriffe drängt sich hier der Vampirgedanke zu in den Vordergrund.
Ich fände eine Wdhlg. des V 2 sehr gut, weil er etwas real Fassbares vermittelt, etwas Drängendes und würde überlegen, diesen Vers, als Wdhlg. durch den Text zu ziehen., hinter V 7 ein drittes Mal zu setzen.
Du hast zwar Recht, dass sich die Gedanken eines Menschen körperlos bemächtigen, man liest es zwischen den Textzeilen ohnehin, und der nächste Vers macht es begreifbar, anschaulich.

Vers 9
Ich würde den Artikel vor Anderen streichen, es gibt nicht "Die" Anderen, meine ich.

Im letzten Vers würde ich das "immer" streichen. Dieses
Fahr immer weiter - klingt in meinen Ohren nicht real, eher wie aus einer (schönen)Traumwelt.
(Fahr immer weiter - ich möchte, dass diese Reise nie zu Ende geht, fällt mir da ein)
Es reicht ohne "immer", das konkret vom weiter die Rede ist, wichtig ist ja, nicht am Ort zu fahren, das immer impliziert „Endlosigkeit“.

Liebe Grüße &
sonnige Tage

Gerda

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 23.04.2007, 22:37

Liebe Gerda,

danke für Deine Tipps.

Deine Anregungen bezüglich Vers eins und vier klingen in der Tat runder und ich übernehme sie gerne. Danke Dir.

Bei „körperlos“ bin ich skeptisch. Ich möchte dem Leser eigentlich vermitteln, dass eine gewisse Geisteshaltung die Menschen ergreift. Daher finde ich das körperlos wichtig, überlege da aber noch.

Zum Artikel vor „Die Anderen“. Hier ist der Artikel meines Erachtens wichtig, da die Ortsbewohner Menschen als dazugehörend oder nicht dazugehörend definieren. Für sie sind die Anderen nichts anderes als DIE Anderen, die in ihren Augen nicht dazugehören.

Fahr weiter – Fahr immer weiter. Das „immer“ unterstreicht noch mal dass nicht angehalten werden soll und bringt einen Charakter der Flucht mit hinein. Ich denke, es entsteht ein Unterschied, wenn „immer“ weggelassen würde.

Zum Titel;
Ich überlege, ob ich den Text schlicht und einfach „verdammt“ nenne und die erste Strophe wieder umstelle. Allerdings befürchte ich, dass der Inhalt unklar wird, wenn das Wort „deutsche“ im Titel wegfällt. Ich denke noch drüber nach.

Wenn ich mir beim Titel sicher bin, nehme ich auch die anderen Änderungen vor.

Schönen Abend

Jürgen


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