Die Mauer

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 28.05.2007, 10:38

Die Mauer
(1. Version)

Aus Lehre und Erfahrung, Stein für Stein,
wie eine Mauer bin ich aufgehäuft.
Dem Regen, der an mir herunterläuft,
so ausgeliefert, wie dem Sonnenschein.

Noch ist es Morgen und die Sonne mild,
bald faßt mich Mittagsglut unmittelbar,
doch bleib ich stumm, bleib ungerührt und starr.
Mein Sein ist Ding, ist Grenze und ihr Bild.

Natur? Nur etwas Vogelkot und Harn,
den andre im Vorüberziehn verloren...
Lebendiger Gedanke, auszusporen!

Wie wünsch ich mir mitunter einen Farn,
ein wenig Schatten, wenn die Sonne sengt;
was kümmerts mich, wenn er mich nächstens sprengt.





Die Mauer
(Neue Version)

Ich bin die Schöpfung einer starken Hand,
als eine Mauer Stein auf Stein gesetzt;
dem Regen, der mich fugentief benetzt
so ausgeliefert wie dem Sonnenbrand.

Noch ist es Morgen und die Sonne mild,
bald faßt mich Mittagsglut unmittelbar,
doch bleib ich ungerührt, bleib stumm und starr.
Mein Sein ist Ding, ist Grenze und ihr Bild.

Natur? Nur etwas Vogelkot und Harn,
den andre im Vorüberziehn verloren...
Lebendiger Gedanke: auszusporen!

Wie wünsch ich mir mitunter einen Farn,
ein wenig Schatten, wenn die Sonne sengt;
was kümmerts mich, wenn er mich nächstens sprengt.
Zuletzt geändert von ZaunköniG am 03.06.2007, 13:07, insgesamt 1-mal geändert.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

Max

Beitragvon Max » 29.05.2007, 16:26

Lieber Zaunkönig,

ich habe Deine klassischen Formen hier im Salon vermisst (und das kann ich ehrlicherweise nicht immer von klassichen Formen sagen).

Auch hier überzeugt mich Dein Sonett erneut in der Form.

Den Inhalt - eine Mauer - finde ich originell gewählt und verarbeitet. Besonders gelungen scheint mir hierbei die letzte Zeile der letzten Strophe

was kümmerts mich, wenn er mich nächstens sprengt.


die noch eine Dimension auf Neues öffnet.

Einzig bei

wie eine Mauer bin ich aufgehäuft


stolpert mein Lesen .. eine "aufgehäufte" Mauer scheint mir so ein zufälliges und instabiles Bauwerk zu sein .. natürlich reimt sich keiner meiner Vorschläge für das, was man mit Mauern üblicherweise so tut. Vielleicht sollten wir unsere Baukünstler hier mal fragen ...

Liebe Grüße
Max

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 31.05.2007, 12:21

Lieber Max,

dein Lob ehrt mich. Vielen Dank.
Mit deiner Kritik an der "aufgehäuften" Mauer hast du natürlich recht. Ich hielt es nicht für sooo gravierend, aber mir gefiel auch die Anfangszeile noch nicht so ganz, oder eher: nicht mehr. Ich hätte sie gerne noch etwas "maurischer" und habe, unter Berücksichtigung auch deiner Kritik das ganze erste Quartett geändert:

Ich bin die Schöpfung einer starken Hand,
als eine Mauer Stein auf Stein gesetzt;
dem Regen, der mich fugentief benetzt
so ausgeliefert wie dem Sonnenbrand.



LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 31.05.2007, 12:50

Hallo Zaunkönig,

mir gefällt das überarbeitete erste Quartett besser, das "aufgehäuft" überzeugt im Vergleich weniger.

Allerdings hat mir der Vergleich "wie eine Mauer" im Original besser gefallen. Vielleicht lässt es sich so kombinieren:

Ich bin als Schöpfung einer starken Hand
wie eine Mauer Stein auf Stein gesetzt.

Im zweiten Quartett würde ich Zeile drei umstellen
doch bleib ich ungerührt, bleib stumm und starr.

Das lässt den "unsauberen" Reim mehr in den Hintergrund treten.

Die Terzinen gefallen mir uneingeschränkt gut.

Gruß

reimerle

Max

Beitragvon Max » 31.05.2007, 16:04

Lieber Herr König vom Zaune,

die überarbeitete erste Strophe gefällt mir deutlich besser (beschmäemdn ist, dass ich weder die erste noch die zweite Version hinbekommen hätte).

Gefällt mir jetzt sehr gut!

Liebe Grüße
Max

aram
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Beitragvon aram » 31.05.2007, 16:08

lieber zaunkönig,

der text ist in der von dir gewohnten qualität gearbeitet. mir gefällt wie max besonders die schlusswendung.
das erste quartett finde ich in der überarbeitung nochmal deutlich besser, über den entfall des vergleiches bin ich im gegensatz zu reimerle froh: in einem "die mauer" betitelten text finde ich den vergleich "wie eine mauer" nicht mehr angebracht.

details: "unmittelbar" muss ich auf der 'falschen' silbe betonen, s3 z3 verschließt sich mir etwas - was genau ist gemeint?

das mauerbild, das mit "starker hand" beginnt, und mit dem sehnen nach "gesprengt werden" durch einen farn endet, finde ich äußerst gelungen. (wobei ich nicht glaube, dass farne derartige wurzeln entwickeln, doch es geht ja um die phantasie der mauer)

gern gelesen
aram
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen

Max

Beitragvon Max » 31.05.2007, 16:15

Lieber Herr Aram

aram hat geschrieben:in einem "die mauer" betitelten text finde ich den vergleich "wie eine mauer" nicht mehr angebracht.


Ja! Das ist mir zweimal aufgefallen und zweimal bis zum Schreiben wieder entfallen ... merci :-).

Liebe Grüße
Max

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leonie
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Beitragvon leonie » 31.05.2007, 16:20

Lieber Zaunkönig,

diese Fassung finde ich sehr gelungen.
Mir geht es nur wie aram mit dem dritten vers der dritten Strophe: Das ist schwer verständlich. Hat es mit den Sporen des Farn zu tun (über die er sich vermehrt?), werden sie durch Vogelexkremente verbreitet? Anders kann ich mir es nicht "zusammenreimen".

Liebe Grüße
leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 31.05.2007, 16:58

Hallo Zaunkönig, Meister des Sonetts ;-)

die Personifizierung der Mauer gefällt mir ausgesprochen gut, auch weil man dein Gedicht auf einen Menschen beziehen kann.
Sehr gern gelesen!
Saludos
Mucki

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 03.06.2007, 13:25

Hallo Reimerle, Deine Umstellung in Zeile 7 überzeugt. Es ist nur ein kleiner Effekt, aber wo er so leicht zu haben ist...
Was den Mauervergleich im ersten Quartett betrifft, sehe ich es wie Aram und Max. Das Mauermotiv sollte im Vordergrund stehen, auch wenn ein Vrgleich mit einem Menschen nicht nur möglich, sondern gewollt ist. Ich denke, daß es auch in der neuen Version noch deutlich genug ist, zumindest Muckis Kommentar zeigt mir, daß diese Lesart noch möglich ist.

"-Mittagsglut unmittelbar" hat genaugenommen drei Starke Silben hintereinander. Es ist mir zwar bewußt, daß die 'richtige' Betonung hier nicht so eindeutig ist, aber es will mir einfach keine Alternative einfallen :(.

Ich glaube auch nicht, daß ein Farn die Mauer aus eigener Kraft sprengen kann, auch wenn Pilze mitunter eine Asphaltdecke aufreißen, aber ein Farn kann höheren Pflanzen den Boden bereiten, z. B. einer Birke. Oder es sammelt sich durch den Bewuchs mehr Wasser in den Fugen, die dann durch Frosteinwirkung gesprengt werden.

"Lebendiger Gedanke: auszusporen"

Beim "Aussporen dachte ich nicht nur an die Fortpflanzung, sondern an das Bild "dem Wind anvertrauen", wobei ich bewußt ambivalent gelassen habe, ob es auf die Mauer, oder auf den Gedanken bezogen ist. Sollte ich den Vers eher mit Komma oder mit Doppelpunkt setzen?


LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck


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