Deutscher Arbeiter 1936-1945

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 29.07.2007, 07:15

Deutscher Arbeiter 1936-1945

Großvater, als sie dir dann wieder
Arbeit gaben, du warst ein stolzer Prolet mit
Sauberem Kragen, dein Haar war noch dicht,
Und als sie dir fünf Mann unterstellten,
Warst du wieder wer, freudig ließest du dich
Mit so etwas ein. Alles sprang nach deinen Befehlen.
Dankbar grüßtest du ihre blutigen Fahnen,
Sangest ihre verfluchten Lieder.
Und als dann die Welt zu Scherben zerbrach,
War es auch deine Nacht der langen Messer, du
Merktest noch immer nicht, worum sie
Dich betrogen, du warst ihr kleiner Befehlsausführer,
Du hattest dich eingeordnet, nie aufbegehrt,
und darum glücklicherweise noch, was man
Leichthin nennt das nackte Menschenleben.

Sam

Beitragvon Sam » 04.08.2007, 17:16

Hallo Caty,

ich bin jetzt lange genug um deine beiden Gedichte herumgeschlichen (ich erlaube mir, den deutschen Arbeiter und die deutsche Arbeiterin in einem Kommentar zusammenzufassen), hab sie immer wieder gelesen, schon ein paar mal zu einem Kommentar angesetzt, es aber wieder gelassen. Der Grund: Sie gefallen mir beide nicht, obwohl sie einen gewissen Reiz ausüben und ich sie nicht ungern gelesen habe. Nicht gefallen ist vielleicht das falsche Wort. Sie sind mir unsympathisch. Ich konnte aber lange nicht ausmachen, warum.
Zunächst dachte ich, es läge an den doch etwas plakativen Titel. Als ginge es um eine lyrische Kurzanalyse einer Generation. Da wird aber ganz schön verallgemeinert, dachte ich zunächst. Wird aber nicht. Es geht um EINEN Großvater und EINE Großmutter, die des LI nehme ich an.

Dann aber habe ich unbewusst etwas gemacht, was man eigentlich nicht machen soll. Ich habe verglichen. Deine beiden Gedichte mit einem anderen, ähnlicher Thematik (Scarletts Großväter). Eines, das mir gut gefiel. Und ich habe mich gefragt, warum ist dir das eine sympathisch (obwohl es eine für mich offensichtliche Schwäche hat) aber diese beiden nicht, an denen ich handwerklich und sprachlich überhaupt nichts aussetzen kann?
Es ist, so meine ich mittlerweile herausgefunden zu haben, die Art wie das LI auf seine Großeltern schaut. Hier ist es kein fragender (wie bei Scarlett), sondern ein wissender Blick. Es ist ein beinahe allwissender Blick. Es ist das Denunziatorische in der Art, wie hier die Menschen dargestellt werden, das mir nicht gefällt. Hier werden zwei Menschen und ihre Verwicklungen in eine schwierige Zeit nicht nur dar- sondern bloßgestellt. Und der Darstellende gibt sich keinerlei Raum für ein Fehlurteil.
Das ist es, was mir diese beiden Gedichte so unsympathisch macht. Wenn das dein Ziel als Autorin war, dann ist dir das großartig gelungen.

Ich wiederhole, ich stelle keine Vergleiche an zwischen Caty und Scarlett. Ich habe nur versucht, meiner subjektiven Beurteilung auf die Spur zu kommen, indem ich die Darstellungsweise zweier verschiedener lyrischer Ichs an eine fast gleiche Thematik miteinander verglichen habe.

Liebe Grüße

Sam

Caty

Beitragvon Caty » 05.08.2007, 07:33

Sam, zunächst erstmal meinen besten Dank für die Auseinandersetzung mit den beiden Gedichten.
Meinen beiden Gedichten fehlt (im Gegensatz zu Scarletts) jede Sentimentalität, und es sind politische Gedichte. Die Enkelin blickt mit sehr klaren, unverstellten Augen auf das, was war - und was ist. Sie entschuldigt nicht, verklärt nicht, sentimentalisiert nicht - sie sagt: Ihr wart schuldig. Was hat das Naziregime auch möglich gemacht? Was könnte es erneut möglich machen? Ich spreche aus, worum man sich herumdrückt, es auszusprechen: das "Unpolitischsein", das Menschen dazu bringen kann, den Handlanger zu machen, was sie ursprünglich niemals beabsichtigt hatten. Und dass dies massenhaft geschehen ist, wirst du nicht abstreiten können. Es waren eben diese einfachen Leute, die Hitler zugejubelt haben. Aber das ist ein Thema, über das man sehr lange reden könnte, und ich denke, das Internet ist nicht der Platz, an dem man das tun sollte.

Du meinst, diese Gedichte seien denunziatorisch, weil sie nicht verklären, nicht entschuldigen, sondern die Dinge beim Namen nennen. Das ist ein schwerer Vorwurf, ich weise ihn sehr entschieden zurück. Diese von dir eingenommene Sicht liegt in der Intention des heutigen Mainstrams, und ich glaube zu verstehen, warum du dies tust. Ist es Denunziation, wenn ich sage: Der Mist stinkt nach Mist? Ich gebe dir nur eines zu bedenken: Wenn ich etwas verschweige, verdränge - ist es dann nicht geschehen? Muss man nicht angesichts heutiger gesellschaftlicher Bedingungen die Stellungnahme der heute Lebenden geradezu einfordern, damit so etwas nicht noch einmal geschieht? Oder sind wir schon so weit, dass wir unsere Verantwortung für uns selbst an imaginäre Institutionen abgegeben haben? Ist der Versuch Denunziation, aus den Lehren der Vergangenheit zu lernen? Erst wenn man sich darüber klar ist, was und wie etwas geschehen ist, ist man doch erst in der Lage, Fehler in der Gegenwart vermeiden. Ich kenne die Ausflüchte, ich kenne die Entschuldigungen, ich kenne die kleinen Schweinereien, mit denen man sich selbst reinwäscht.

Ich bitte dich, alles noch einmal zu überdenken und den schlimmen Vorwurf der Denunziation zurückzunehmen. Ich überbewerte ihn nicht, aber er versucht mir am Zeug zu flicken, und das, Sam, gefällt mir nicht.

Herzlich Caty

Sam

Beitragvon Sam » 05.08.2007, 08:22

Hallo Caty,

wenn du meinen Kommentar aufmerksam gelesen hättest, dann wäre dir aufgefallen, dass ich nicht von dir gesprochen habe, sondern von dem lyrichen Ich, dem Betrachter. Den setze ich nicht mit dir gleich. Wenn du das jetzt selber tust, dann ist das dein Problem.

Ich spreche aus, worum man sich herumdrückt, es auszusprechen: das "Unpolitischsein", das Menschen dazu bringen kann, den Handlanger zu machen, was sie ursprünglich niemals beabsichtigt hatten. Und dass dies massenhaft geschehen ist, wirst du nicht abstreiten können. Es waren eben diese einfachen Leute, die Hitler zugejubelt haben.

Na, so unausgesprochen ist das nicht, was du da sagst. Im Gegenteil. Zu diesem Thema ist in den letzten sechzig Jahren doch so ziemlich alles gesagt worden, was es zu sagen gibt. Das ist ja das Problem. Zeige mir bitte, wo in den beiden Gedichten ein neuer, oder bisher unausgesprochener Ansatz zu finden ist, der erklärt, warum die Leute Hitler zugejubelt haben. Da ist nichts.
Nichts von dem, was in den Gedichten angesprochen wird kann widersprochen werden. Ja so war es. Sie waren schuldig. Ja.
Ich als Leser bekomme das Gefühl, dass mir hier zwei Leute vorgeführt werden, über die der Richterspruch schon vor langem gefällt wurde. Zurecht. Keine Fragen mehr offen. Bestrafung gabs ja sowieso schon inklusive. Dennoch, schaut sie euch nochmal an! Recht ist ihnen geschehen!

Das ist mir zutiefst unsympathisch. Auch wenn du es gerne als Geschichtslektion gelesen haben möchtest, kommt es bei mir nicht so an.

Ich habe im Übrigen kein Urteil über deine Intention als Autorin gefällt, sondern darüber, wie ein LI hier ein Thema behandelt. Das ich es als denunziatorisch empfinde ist mein gutes Recht, und ich werde es bestimmt nicht zurücknehmen. Ich will dir doch nichts ans Zeug flicken, kenne ich dich doch gar nicht.

Warum gelingt es so wenigen, sich insoweit von ihren Texten zu distanzieren, dass eine objektive Diskussion über deren Inhalt möglich ist, ohne dass sie sich gleich persönlich angegriffen fühlen. Da vergeht einem echt die Lust, was zu sagen. Aber vielleicht wolltest du gar keine inhaltliche Auseinandersetzung. Sondern einfach mal eine Geschichtslektion in lyrischer Form erteilen. Nun gut, Danke! Aber ich such mir meine Lehrer lieber selber aus!

LG

Sam

Gast

Beitragvon Gast » 05.08.2007, 10:13

Hallo Cathy,

mir geht es ähnlich wie Sam.
Zuvor möchte ich aber noch etwas zu deiner Art sagen, wie du einer einer inhaltlichen Kritik begegnest..
Es geht doch hier nicht um dich persönlich.

Solltest du allerdings tatsächlich, wie ich es des Öfteren bei deinen Texten bereits herausgelesen habe 1:1 schreiben, (Autorenich = Lyrich) so ist es nicht verwunderlich, dass du dich auf den Schlipps getreten fühlst. Sollte das der Fall auch hier sein, frage ich mich, was soll dieser Text dem Leser vermitteln, wenn sich der Autor völlig befangen zum Mittelpunkt des Textes macht?
Solche Texte kann man eigentlich nicht besprechen, ergo hätten sie da auch nichts zu suchen, wo sie üblicherweise besprochen werden.
Ich denke, darüber einmal nachzudenken, könnte nicht schaden.

Was mir am Text nicht gefällt, ist, dass er allzu belehrend bei mir ankommt.
Dass sich unpolitsiche Menschen durch Dulden und Zusehen schuldig machen können, ist bekannt und wird seit Jahren im Geschichtsunterricht gelehrt.
Darüber möchte ich keine Lektion lesen, wobei ich sagen muss, dass ich ohnehin Lyrik nie als Belehrung lesen möchte, sondern selbst wenn sie politisch ist, als ein Aufrütteln, als Anstoß über etwas nachzudenken.
Hier gibt es für mich keinen Anstoß, sondern die Enklin verurteilt ihren Großvater.
Es handelt sich meiner Ansicht nach zu einem gut Teil nicht um die persönliche Erfahrung, die hier aufgearbeitet worden ist, sondern um allgemein bekanntes Wissen um eine Kollektivschuld all derer, die den Mund gehalten haben und/oder "harmlose" Mitläufer.
Der Text wird nicht dadurch besser, dass er eine einzelen Person herausgreift, und sie all den kollektiven Vorwürfen beladen verurteilt.
M. M. sind Texte, in denen der Autor seinen Protag. Gefühle einhaucht nicht automatisch sentimental, sondern eher das Salz in der Suppe, wenn sie richtig dosiert verdichtet werden, sie nicht der Befindlichkeit des Autors entspringen und gefiltert auf Papier wandern.


Liebe Grüße
Gerda
Zuletzt geändert von Gast am 20.08.2007, 11:51, insgesamt 2-mal geändert.

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 05.08.2007, 10:19

Hallo caty,

der Text ist mir zu anklagend, zu moralisch entrüstet besetzt. Der Erzähler weiß, dass sich der Großvater aus den falschen Gründen auf die Nazis eingelassen hat und aus den falschen Gründen geblieben ist, er sagt es ja schon in den ersten Zeilen.

Es gab Arbeit und Befehlsgewalt über andere für den Opa, darum blieb er und wollte nichts sehen.

Der Ausdruck "Nacht der langen Messer" scheint mir in deinem Zusammenhang verfremdet. Damit wird doch die Zerschlagung des sog. Röhm-Putsches bezeichnet, weniger die Reichskristallnacht?

Ich kann dem Text wenig abgewinnen. Zu moralinsauer für meinen Geschmack

Gruß

reimerle

Klara
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Beitragvon Klara » 05.08.2007, 11:36

Hallo,

ich finde den Text nicht schlecht. Gut geschrieben (das sagte auch Sam übrigens, Caty!) Ich kann das "Unsympathische" an der Haltung des Lyrich jedoch nachvollziehen: Da spricht jemand, der es im Nachhinein besser weiß und - sich besser wähnt.

Inhaltlich leuchtet die Vehemenz der ablehnenden, anklagenden Haltung nicht ein. Einerseits hält sich das lyrische Ich ganz raus, spricht von außen zum Großvater - andererseits ist es emotional stark involviert in seiner Wut, ohne dass ich als Leserin erfahre, warum. Aus allgemeiner Menschlichkeit? Die kommt nicht vor, die sehe ich nicht. Ich sehe keinen Grund. Eine "saubere" Geschichtslektion, wenn es eine sein soll, ließe den Schüler selbst denken und Schlüsse ziehen, anstatt die Interpretation und die Schuld gleich mitzuliefern. Da wird zu viel verquickt, um eine Geschichtslektion zu sein. Zu wenig erklärt. Zu wenig gezeigt.

Es gäbe ja auch noch was dazwischen, zum Beispiel: die Möglichkeit eines Zweifels an sich selbst und dem eigenen möglicherweise ähnlich schuldigen Verhalten unter ähnlichen Bedingungen. Als Möglichkeit! Die Vehemenz des Textes erinnert an die 60er/70er Jahre, als die erwachsenen Kinder ihre Eltern fragten, massenweise, was habt ihr getan. Als das Schweigen gebrochen wurde. Daraus ist dann die heutige Bundesrepublik, und auch die RAF entstanden (unter Anderem), als die Frage und die Verzweiflung angesichts der massenhaften Schuld bei einigen zur zweifelsfreien Verurteilung der Eltern (und jener, die man als "Eltern" im übertragenen Sinne verstand und darob hasste) wurde (und die Kinder der Massen-Täter zu Individual-Tätern anderer Couleur).

Spannendes Thema jedenfalls. Sich beleidigt zu zeigen, weil die eigene zweifelsfrei anklagende Haltung nicht als allein gültige akzeptiert wird und - noch weniger hilfreich - die eigene Haltung als einzig antifaschistische zu suggerieren, erscheint mir dabei wenig sinnvoll.

Der Text würde möglicherweise gewinnen, wenn er einer Person in den Mund gelegt wird, dem gegenüber die andere Person spricht (der Großvater, die Großmutter), und dann noch jemand. Wie ein lyrisches Drama, eine Art Monolog-Gespräch. Das könnte ich mir spannend vorstellen - und sehr viel lehrreicher, weil ich dann als Leser/Schüler selbst überlegen könnte, was nicht stimmt/e. Gerade weil die Sprache so stark ist (wie fast immer bei deinen Texten, Caty), lohnt es vielleicht, darüber nachzudenken?

Noch ein Detail:

Und als dann die Welt zu Scherben zerbrach,

Ist der doppelte, und etwas umständliche z-Klang gewollt? Sonst wäre schöner: "in Scherben brach".

Herzlich
Klara

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 06.08.2007, 20:07

Liebe Caty!

Eine Enkelin sieht ihren Großvater und interpretiert ihn.
Es ist ihre eigene, intime Sichtweise.
Es wird eine allgemeine Anklage gesehen, die dir diesen Raum nicht geben kann und will.
Warum?

Es wird sich ändern.

Mit bestem Gruß

Moshe

Caty

Beitragvon Caty » 31.08.2007, 07:33

Ach. Ich vermute mal, das ist das Dilemma der jüngeren Westdeutschen: Ihnen wurde die Nazizeit als unpersönlicher Schulstoff beigebracht, quasi abgeklemmt von ihrem persönlichen Ich, als irgendein Schulstoff wie etwa Geographie oder Biologie. Deshalb wird hier auch von "Belehrung" gesprochen. Und nun geht es ihnen so wie mir mit Goethe: Er fasziniert mich, aber er stößt ich auch ab, weil mich meine Lehrerin in ihre Begeisterung für ihn einbeziehen wollte, ich konnte die Frau eben nicht leiden.

Ich muss es wohl erklären: Ich habe als sehr kleines Kind die Bombenangriffe erlebt, die sich mir gottseidank noch nicht so tief eingehämmert hatten wie den Erwachsenen, ich habe die Nachkriegszeit mit allen Entbehrungen erlebt - und ich habe die Erzählungen der Erwachsenen gehört. (Abgesehen davon, bin ich in der DDR zur Schule gegangen, in den fünfziger Jahren, als der Krieg noch nicht wirklich ein historisches Ereignis war, wir alle wussten mehr oder weniger aus eigener Erfahrung, wovon da eigentlich geredet wurde. Und: Uns wurde der Kopf zurechtgerückt, den uns die Erwachsenen verwirrt hatten.) Damals konnte ich mit den Reden der Erwachsenen, die wenig begriffen hatten, wie ich im nachhinein weiß, genaugenommen noch nicht viel anfangen, konnte sie nicht beurteilen. Heute aber bin ich selbst erwachsen, das Erlebte hat sich gesetzt, ich habe hautnah Weltgeschichte erlebt, ich habe für mich selbst Stellung dazu bezogen. Und wenn ich die Dinge beim Namen nenne, die dazu führten, dass ein ganzes Volk diesen Volksverführern nachlief, nämlich wirtschaftliche Not, Anpassung, Geschichtsklitterung usw., etwas, was ich heute wieder massenhaft erlebe - dann weiß ich mit Brecht, dass man das hundertmal Gesagte so lange sagen muss, bis es wie Asche im Munde wird. Großeltern sind Synonym für Liebe, Nachsicht, Güte, ich weiß. Und irgendwer hat sich in den Kopf gesetzt, dass man sie nicht kritisch sehen darf. Und dann noch die 68er Diskussionen im Westen - alles das zusammen macht, dass ein klares Wort als Denunziation empfunden wird: Sowas macht man doch nicht, die eigene Familie! Aber: Wir alle hatten Großeltern, und wieviele von ihnen haben sich denn genauso verhalten? Doch die Masse! Wenn nicht, so waren es absolute Ausnahmen, auch wenn sich Leute heute so einiges in die eigene Tasche lügen. Ich habe es oben schon mal geschrieben: Die "Großeltern" stehen für eine ganze Generation deutscher Arbeiter. Wenn ich die Anrede wegließe - wie würdet ihr das Gedicht dann lesen? Ich bin übrigens nicht beleidigt, Klara, ich bin nur sehr nachdenklich über etliche Reaktionen. Und: Ich habe schlimme Befürchtungen, was die Zukunft angeht.

Caty

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 31.08.2007, 13:07

Hallo caty,

ich versuche mal, meine Kritik deutlicher zu formulieren:

Das Lyrich ist Ankläger, Richter und Vollstrecker gleichzeitig, allwissend noch dazu. Der Angeklagte sitzt "quasi" geknebelt auf der Anklagebank. Das fand und finde ich schlecht an dem Text.
Gruß

reimerle

Caty

Beitragvon Caty » 31.08.2007, 14:08

Ja, Reimerle, das ist gewöhnlich so, dass die Enkelgeneration die Großelterngeneration anklagt, weil sie neue und unbequeme Fragen stellt, die nicht beantwortet werden können, ohne dass man sich selbst richten muss. Wessen wird uns unsere Enkelgeneration anklagen? Dass wir nicht genügend gegen Hartz IV protestiert haben, dass wir zugelassen haben, dass Deutschland schon wieder Kriege führt? Das sind so einige Fragen, die ich mir selbst stelle. Davon gibt es aber noch eine ganze Menge mehr. Was wir heute zulassen, wird die Welt unserer Enkel sein. Man muss übrigens nicht allwissend sein, wenn man sich in die Lage versetzt, Zusammenhänge zu begreifen.
Übrigens ist das auch das Gute an dem Text und keinesfalls, wie du behauptest, das Schlechte. Schlecht wäre, wenn das Ich ins Vage klagen würde, irgendein "Schicksal" verantwortlich machte für die deutsche Misere und das Heil in Heilsversprechen suchen würde. Denn das ist der erste Schritt: das Begreifen, um erneutes Unheil verhüten zu können. Caty

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 31.08.2007, 16:38

Hallo Caty,

das böse Schicksal anzuklagen wäre in der Tat nicht gut. Wie gesagt, mich stört der "Brustton der Überzeugung" des Lyrich, der keine andere Sichtweise zulässt.

Dieser ich-weiß-wie-es-war-und-warum-Ton wird von jeder militanten Gruppierung benutzt, seis nun Scientology, Islamisten, NeoNazis oder NeoLinke.

Ich will damit weder dir in Persona an den Karren fahren noch dir Schreibfähigkeit aberkennen, nur um das abschließend klarzustellen.

Belassen wir es bei deinem "Für mich ist es richtig" und bei meinem "für mich nicht", okay?

Gruß

reimerle

Klara
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Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 31.08.2007, 17:26

Hallo,
schließe mich Reimerle an (siehe auch mein Kommentar).

Ich habe den Eindruck, Caty, deine Lyrik ist um Längen überzeugender als deine politsche Propaganda - Brecht hin oder her (bei dem ist das übrigens manchmal ähnlich, und manchmal auch nicht). Und da du hier auf lyrischem Wege politische Überzeugungen kreieren willst, schwächelt hier deine - an anderen Stellen sehr starke - Lyrik.

Grüße
Klara

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 31.08.2007, 19:01

Lieber Reimerle! Liebe Klara!

Warum schreibt ihr eigentlich keine Texte, die eure Sichtweise darstellen?
Ich finde die Wortwahl und die Art, wie ihr mit diesem Text umgeht, nicht richtig.
Ihr zieht ihn in eine politische Diskussion, ja sogar in eine persönliche, die ich sehr intolerrant finde.
Das geht nun auch noch soweit, daß hier Propaganda unterstellt wird, ohne zu sagen für was oder wen.
Erstaunlich ist es für mich, daß es selbst heute so schwer ist anzuerkennen, daß es nicht die Heinzelmännchen waren, die den Tod von mehr als 25 Millionen Menschen ausgeführt und verursacht haben, ganz zu schweigen von der wesentlich größeren Zahl an Verletzten.
Man kann doch nicht eine derart riesige Anzahl von Menschen vernichten, noch mehr verletzen, und dann glaubwürdig sein, daß niemand etwas getan hat.
Waren das im eigenen Ort immer nur die Nachbarn, der Sohn oder die Tochter der Nachbarn, die aber auch nichts getan haben?

Es macht mich traurig, daß so wenig Selbstverantwortung, sei es in der Familie oder im Kollektiv übernommen werden kann.
So werden Wunden wohl nicht heilen.
Weder die eigenen, noch die der Opfer.

Noch wird eine schlechte Tat nicht als eine Wunde gesehen, die man sich selbst zufügt. Auch nicht, daß man damit seinem Kollektiv, seinem Ort, seiner Gemeimschaft, seinem Volk, ja auch über das eigene Leben hinaus für weitere Generation eine Wirkung hat, die dann eben nicht gut ist.

Ich denke, daß es genau dieser letzte Aspekt ist, der so schwer fällt.

Die Großelterngeneration hat nichts getan haben wollen, sich verleugnet. Wie das anhand der Ergebnisse ihrer Zeit möglich ist, hat sie nie beantwortet.
Nun sollen die Kinder und Enkel dafür stehen. Die wollen das natürlich auch nicht.
Denn sie wissen nichts, wollen nichts wissen und wollen auch keine Schlußfolgerungen ziehen.(Wer weiß schon von Berechnungen, inwieweit die BRD auf Kriegsgewinn basiert?)
Sie sind nun wieder Opfer.
Und damit sind wir genau an der Stelle angelangt, die nach dem ersten Weltkrieg war: Opfer einer nicht selbst verursachten Situation zu sein in Verbindung mit massenhafter Armut.

Kommt euch das im Alltag wirklich nicht bekannt vor?

Und immer wieder geht es so.
Und immer wieder gibt es so hart keine Trauer, kein Weinen, keine Einsicht für den Nächsten, nicht mal im eigenen Volk.

Moshe


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