Hallo Moshe,
obwohl du ja meine Kommentare zu deinen Texten immer ignorierst, schreibe ich trotzdem etwas zu diesem Gedicht.
Das ist natürlich nicht einfach. Auf der einen Seite wird bei vielen hier Kritik an einem Gedicht, immer gleich als Kritik am Autor verstanden.
Dazu der Titel und Inhalt des Gedichts. Da was zu krititsieren, wird einem schnell als Kritik am Inhalt ausgelegt und im schlimmsten Fall wird einem vorgeworfen, die Existenz der KZ zu leugnen, nur weil man ein Gedicht darüber ablehnt.
Mir aber ist das egal. Es geht mir um Literatur, und was man daraus macht, bzw. was es aus mir macht. Die Motive des Autors erachte ich als zweitrangig. Gut möglich, dass er persönliche Erfahrung mit dem Thema hat. Durch Verwandte, Freunde, durch Lektüre und das kulturelle Umfeld, in dem er sich bewegt (eigene Erfahrung schließe ich aus). Von diesen Dinge habe ich als Leser aber keine Ahnung. Was ich habe, ist das Gedicht und meine eigene Sicht der Dinge. Und da findet ein Abgleich statt. Und auch die bei mir vorhande Bereitschaft Neues zu lernen, basiert nur auf dem Fundament dessen, was ich als Voraussetzbar oder Erfahren betrachte. Hinzu kommt die rein subjektive Betrachtungsweise eines Themas, persönliche Vorlieben, eine durch den eigenen Charakter geprägte Vorliebe oder gefühlsbestimmete Meinung. Diese z.B. sagt mir sofort, ein Gedicht mit dem Titel "Im KZ" kann niemand schreiben, der nicht selber dort war. Alles andere sind Erfahrungen aus zweiter Hand oder Interpretationen. Das macht mich, ob ich es will oder nicht, voreingenommen. Warum? Weil das Geschriebene nicht auf eigenen Erlebnissen beruht, sonder auf der emotionalen Erfahrung des Anhörens/Anteilnehmens. Dieses Anteilnehmen ist aber eine völlig andere Sache, als das eigene Erleben. Schlüpft aber ein Anteilnehmender in die Rolle des Erfahrenden, hege ich erst einmal Zweifel, zumal bei diesem brisanten Thema. Nicht weil ich an der integrität des Autors zweifele, sondern weil es ungemein schwer ist, völlig in eine andere Person und, was noch viel schwieiriger ist, in eine andere Zeit und einen anderen Erfahrungshorizont einzutauchen. Die Gefahr ist sehr groß, dass in der Sichtweise des Erfahrenden die des Autors retrospektiv einfließt. Und genau dies ist m.E. bei diesem Gedicht passiert.
Dies:
Ihre Kinder werden diesen Brei fressen mit Honig
und leiden, leiden an ihrer Zeugung drei Finger lang
ist für mich ein Beispiel dafür.
oder auch:
ich will jetzt nur noch Gas sein
Ich weiß nicht, wieiviele derjenigen, die in die Gaskammern gingen, wirklich wussten, dass sie dort "zu Gas werden". Es werden aber sehr wenige gewesen sein. Diese lyrische Umschreibung ist eine wissende and Wissende gerichtet.
Ein Gefühl in mir lehnt diese Zeile zutiefst ab. Weil ihr etwas Schicksalsergebens innewohnt und etwas Bewusstes oder Gewolltes. Ich denke, niemand wollte damals Gas sein. Wobei man natürlich einen Unterschied machen muss, zwischen denen, die längerer Zeit im KZ verbrachten und solchen die gleich nach ihrer Ankunft vergast wurden. Bei ersteren ist es sogar wahrscheinlich, dass sie sich aufgrund der Qualen, die sie jeden Tag zu erdulden hatten, oftmals den Tod gewünscht haben. (Aber, das weiß ich aus persönlichen Gesprächen mit ehemaligen KZ Häftlingen, nicht den durch Vergasen!)
Adornos Diktum, dass es babarisch sei nach Ausschwitz Gedichte zu schreiben ist ja schon vielfach widersprochen worden. Auch ich denke nicht so. Gedichte übers KZ zu verfassen erachte ich aber dennoch als heikel, vor allem, wenn sie rein aus der Sicht eines Erfahrenden geschrieben sind.
Im Grunde ist das Gedicht anmaßend. Was aber nicht unbedingt schlecht ist. Schreiben hat immer etwas mit Anmaßung zu tun. Diese verzeiht man sofort, wenn sie mit Glaubwürdigkeit einhergeht, wenn sie hinter sprachlicher Virtuosität und der perfekt inszenierten Illusion nicht mehr zu erkennen ist.
Das ist aber bei diesem Gedicht m.M. nach nicht der Fall.
Natürlich ist es möglich, dass sich das Gedicht auf die überlieferten oder aufgeschrieben Erfahrungen eines Zeitgenossen und Überlebenden stützt. Das würde natürlich vieles was ich gesagt habe widerlegen. Nur, das weiß ich als Leser nicht. Mir ist das Gedicht so gegeben worden, wie es da steht, ohne jegliche Hinweise, und nur so und nicht anders kann ich es lesen.
LG
Sam