genesen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
scarlett

Beitragvon scarlett » 24.10.2007, 22:25

doch doch ich bin gewiß
genesen von dir und allem
was nie war
es ist ja nur
ein mal im jahr
daß alle wasser
rückwärts fließen*

nein nein
erzähle du mir
nichts von flüssen
du ahnst die wilden
strudel nicht
halt dich lieber an die weiden
die quelle ist dir eh versiegt


und alle zeiger
drehn im kreise die zeit
vereist niemals den fluß
er zieht mich wieder
auf die reise zu dir
zurück für diesen einen
augenblick

* vorher S1
"daß alles wasser
rückwärts fließt"

(c) Monika Kafka, 2007
Zuletzt geändert von scarlett am 05.11.2007, 15:58, insgesamt 2-mal geändert.

Perry

Beitragvon Perry » 25.10.2007, 16:03

Hallo Scarlett,
genesen und doch in Gedanken schon wieder rückfällig. Ich lese aus deinen Zeilen eine (Fern)-Beziehung. Sie treffen sich einmal im Jahr und sie ist jedesmal enttäuscht, trotzdem kann sie nicht von ihm lassen. Die Flussbilder gefallen mir gut, dass du dann auch noch die Zeit als vergängliches Bild mit einbeziehst, ist mir fast schon zuviel.
LG
Manfred

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.10.2007, 17:06

Liebe Monika,

interpretieren muss man hier nicht. Ich lese es 1:1 und es gefällt mir gut. Kleinigkeiten:
Der Titel: "genesen" stimmt ja eigentlich nicht. LI ist ja gerade nicht genesen. Vielleicht: kuriert? (Also mit dem Fragezeichen) oder ein Wort, das dieses Hin- und Her ausdrückt.

doch doch ich bin gewiß
genesen von dir und allem
was nie war
es ist ja nur
ein mal im jahr
daß alles wasser
rückwärts fließt --> bis auf "genesen" gefällt mir das sehr gut. Vor allem dieses "doch doch ich bin gewiß". Das LI redet auf sich selbst ein.

nein nein
erzähle du mir
nichts von flüssen
du ahnst die wilden
strudel nicht
halt dich lieber an die weiden
die quelle ist dir eh versiegt --> sehr schön. Auch die WH von "nein nein". Gutes Stilmittel!


und alle zeiger --> hier würde ich auch eine WH einführen, z.B.
und wieder, ja wieder (danach: dreht die zeit sich im kreis, dafür "und alle zeiger" streichen)

drehn im kreise die zeit
vereist niemals den fluß
er zieht mich wieder --> statt "wieder": erneut
auf die reise zu dir
zurück für diesen einen --> "zurück" ist m.E. redundant, da es aus dem Text hervorgeht.
augenblick

Soweit meine Anregungen,-)
Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 25.10.2007, 18:24

Liebe Monika,

wie wäre es mit: vermeintlich
als Titel?

Ich mag das Gedicht sehr gern, zuerst die Trotzigkeit, und dann *peng*, die alte Sehnsucht ist wieder da.

Sehr poetisch und dabei sehr realistisch, ein Spagat, der gelingt!

Lieben Gruß
Elsa
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leonie
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Beitragvon leonie » 25.10.2007, 20:51

Liebe scarlett-Monika,

ich finde, in der ersten und teilweise zweiten Strophe hat Dein Gedicht eine Melodie, die ihm hinterher verloren geht. Das finde ich schade.

Ich habe auch inhaltlich einiges nicht verstanden. Zunächst irritieren mich die Weiden. Ich frage mich fast, on die zweite Strophe nicht ohne auskommt und vielleicht hinter "du ahnst die wilden strudel nicht" enden könnte

In der dritten Strophe verstehe ich die dritte zeile nicht. Ist das eine Aufforderung? Die Zeiger können nicht das Subjekt sein, aber was dann? Die Zeit?

Ich würde in der dritten Strophe versuchen kürzen, ich glaube, das würde der Melodie gut tun. Ich habe Versuche gemacht, aber sie sind leider auch nicht überzeugend.

Z.B.

und alle zeiger
drehn im kreis(e) die zeit
vereist niemals den fluß
er zieht mich wieder
auf die reise zu dir
(zurück) für diesen (einen)
augenblick


Aber wie gesagt, das ist es auch noch nciht wirklich. Vielleicht liegt es auch an mir, dass mir die Melodie verloren geht.

In jedem Fall mag ich den Text und die darin entfaltete Idee kann ich gut nachvollziehen.

Liebe Grüße

leonie

scarlett

Beitragvon scarlett » 26.10.2007, 21:42

Lieben Dank allen, die sich zu meinem Gedicht geäußert haben.

Zu den Einzelheiten:

@ Perry: ja, so wie du das gelesen hast, ist das durchaus möglich. Über das Einbeziehen der Zeit, der Zeiger, wollte ich so eine Art Synthese erreichen, zusammenführen was zusammen gehört sozusagen: Fluß und Zeit, wobei mit einerseits das Geradlinige des Flusses, das Horizontale vorschwebte, andrerseits das Kreisförmige (Zeiger die sich im Kreis drehen, also Stillstand bedeuten) in dem das zeitliche Element aufgehoben scheint.
Wenn dir das als zu viel erscheint, ist das natürlich schade für mich, d h das meine Intention nicht so gut rüberkommt, aber für mich ist diese Verbindung wichtig.
Merci für deinen Leseeindruck.

@ Mucki: der Titel ist sicherlich ironisch aufzufassen, das stimmt, das Gedicht handelt ja gerade nicht davon. Vielleicht versehe ich es mit einem Fragezeichen, falls mir nicht noch die Erleuchtung diesbezüglich kommt.
Warum gefällt dir das "genesen" nicht? Ist es das Wort an sich oder der KOntext?
Und ja, das LI redet quasi auf sich selbst ein, versucht sich nach außen als "genesen" zu verkaufen. LD kommt nicht zu Wort, man kann aber auf sein Verhalten aus dem gEsagten schließen.
Das Stilmittel der Wiederholung hab ich bewußt eingesetzt, ganz klar, das ist in der dritten Strophe auch ganz bewußt weggelassen: einerseits würde es ermüdend wirken, zu viel Wiederholung tut nicht gut in solch einem kurzen Text, andrerseits ist die gesamte Strophe anders angelegt, als Resümee gedacht.
Daß "zu dir" und "zurück" doppelt gemoppelt ist, sehe ich ein. Ich weiß nur noch nicht, welches von den beiden ich streichen werde.
Ich denke, es wird eher das "zu dir" sein, weil das "zurück" mit der Quelle, dem rückwärts Fließen der Wasser/Flüsse besser/deutlicher korrespondieren würde. Ich denke noch ...
Merci vielmals für deine Anregungen.

@Elsa: danke für deine uneingeschränkte Zustimmung. Ich denke, du hast es genauso gelesen, wie es intendiert war. Die Trotzigkeit gefällt mir am besten, daß du sie so klar benennst, mein ich ...
"Vermeintlich" trifft den Inhalt, Elsa, aber das Wort mag ich nicht so, sorry, aber da muß was anderes her. Gerade fällt mir "als ob" ein ... hmm, darüber und über andere Alternativen muß ich noch nachdenken. Seltsam, normalerweise ist der Titel bei mir nie das Problem, entweder er steht von Anfang an fest oder spätestens, wenn die letzte Verszeile geschrieben ist. Diesmal war das nicht so, was will mir das sagen????

@leonie: die Weiden .... stehen oft an Flüssen und nicht nur dort. Das ist das Verbindende zu den Wassern allgemein. Zudem sollen sie hier das fest Verankerte im Gegensatz zum sich Verändernden, Fließenden bezeichnen. KOnkret: das LD erzählt von Flüssen, die Fähigkeit aber in die Tiefe zu gehen wird ihm vom Ich abgesprochen, es sieht offenbar nur das Oberflächliche, das sich Verändernde, nicht aber die Qualen, die so eine Veränderung mit sich bringt. Letztendlich bleibt das Du mit dem Bezug zu den Weiden im Altbekannten, Herkömmlichen, dem Festen stecken.
Die dritte Strophe: nein, das ist keine Aufforderung, wieso auch? Verstehe ich wiederum nicht.
"die zeit" ist Subjekt der folgenden Verszeile, man kann sie aber auch als Objekt der vorausgehenden lesen. Ich gebe ja zu, "die zeiger drehen im kreise" ist ungewöhnlich, es ist weder pronominal (was ja heißen würde "drehen sich im kreise") noch 100% intransitiv gebraucht, da ja "die zeit" als mögliches Objekt folgt. ABer das ist Absicht, darüber hab ich viel nachgedacht.
Die Melodie geht mir an einer ganz anderen Stelle etwas verloren, und das ist in der ersten Strophe. Ich werde das auch wieder ändern, denk ich. Danch fließt es für meine Begriffe eigentlich, bis auf das "zurück" und "zu dir", da muß ich mich wie oben gesagt entscheiden.
Merci auch dir vielmals für deine Gedanken.

@ all: es ist für mich immer wieder interessant, festzustellen, daß je mehr, je intensiver ich über einen Text nachdenke, genauer ich daran arbeite, Worte mit äußerstem Bedacht einsetze, desto "uninteressanter" wird offenbar der Text. Wohingegen wenn ich "frei Schnauze" schreibe, wenig im Vorfeld analysiere, überlege, das weitaus "intensiver"ankommt. Sehr interessant, das alles ...

meint scarlett,
die daraus ihre Schlüsse ziehen wird

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.10.2007, 23:58

Liebe Monika,
Warum gefällt dir das "genesen" nicht? Ist es das Wort an sich oder der KOntext?

Beides. Einmal, weil der Inhalt das Gegenteil erzählt und weil ich das Wort "genesen" im Zusammenhang mit einer Beziehung nicht so recht zusammenbringen kann, eher mit einer Erkältung,-)
Da gibt es doch bestimmt noch andere, passendere Worte. Lass mal sacken.
Übrigens: mir geht es auch oft so, dass Texte, die ich sehr bedacht geschrieben habe oft viel kritischer gelesen werden als spontane Texte,-)
Saludos
Mucki

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 03.11.2007, 18:47

Liebe scarlett,

ich komme hier nur kurz auf einen ersten Sprung vorbei, aber ich vorgestern schon und jetzt wieder in der ersten zeile lesen wollen:


doch doch ich bin gewiß
genesen von dir und allem
was nie war
es ist ja nur
ein mal im jahr
daß alle wasser
rückwärts fließen


Vielleicht hast du das ja auch schon bedacht und bewusst nicht gewählt? ich fände es etwas kräftiger in seiner gesamt die welt durchdringenden Art, es spielt etwas mehr mit dem "Element" Wasser und es geht ja um etwas Elementares...

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 03.11.2007, 21:45

Liebe Scarlett!

In der dritten Strophe hälst du das, was du in den ersten beiden angerichtet hast, nicht mehr durch.

Ich denke, daß du es weißt.

Moshe

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Beitragvon ZaunköniG » 04.11.2007, 12:42

Hallo Scarlett,

Was Die Zeit betrifft würde ich mich Perry anschließen. Der Stillstand der Zeit, bzw der Kreislauf hat für mich sein Äquivalent in dem Fluß der einmal im Jahr rückwärts fließen.
Das ist zwar eigentlich ein 'falsches' Bild, aber gerade deswegen richtig für diesen Text, denn die Erzählerin macht sich ja selbst etwas vor, auch mit dem 'genesen' der Überschrift, das da als Behauptung erstmal in den Raum gestellt wird. Die Überschrift würde ich unbedingt lassen. Daß jemand Liebeskummer als eine Art Krankheit erlebt, von der man genesen kann, ist für mich recht naheliegend.

Die dritte Strophe empfinde auch ich schwächer als die ersten beiden. Eine nüchterne oder abwehrende Beschreibung fände ich dort passender, nach dem Motto: Natürlich, denke ich hin und wieder an dich (eben einmal im Jahr, wenn die Flüsse rückwärts fließen), aber bilde dir nicht ein, daß das etwas bedeutet!

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

scarlett

Beitragvon scarlett » 05.11.2007, 16:06

Liebe alle,

merci vielmals für eure gedanken zu diesem gedicht.

@lisa:
ja, du hast recht, so wie du es vorgeschlagen hast, stand das gedicht schon mal da. Herausgenommen hatte ich es allein aus leserhythmischen gründen oder so, nichts inhaltliches hatte mich dazu bewogen.
Ich habe es jetzt aber wieder geändert, nachdem du das auch eher befürwortest, es leuchtet ein. Merci.

@ moshe:
ja ja, die dritte strophe ... sie ist anders als die beiden vorherigen, aber das will ich so lassen, moshe.

@ zaunkönig:
was die "dopplung" der zeit in diesem gedicht anbelangt, hatte ich schon was geschrieben, ich kann und will darauf nicht verzichten, weil es für mich keine echte doppelung darstellt. Aber ich weiß nicht, wie ich das erklären könnte, besser erklären könnte, als ich es schon versucht hatte. Tut mir leid, es wird wohl so bleiben.
Aber deine erklärung zum "genesen" - die ist gut, genau das ist es, was ich damit ja ausdrücken wollte. Die überlegung, ob mit oder ohne fragezeichen versehen, steht noch im raum, das ist noch nicht entschieden.

Liebe grüße euch allen,
scarlett


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