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Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
jondoy
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Beitragvon jondoy » 28.03.2008, 23:37

Liebes Analphabet,

die Beschränkung der Wahrnehmung
der äußeren und inneren Welt
auf sechsundzwanzig Buchstaben
grenzt an Freiheitsberaubung.

Ich bewundere deine Freiheitsliebe.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 29.03.2008, 00:06

Lieber Stefan,

mit Interesse gelesen, aber so ganz geht der Text bei mir nicht auf. Wenn ich leseunwilligen Kindern als Buchhändler, bin ich nun mal, Bücher näher bringen möchte, erlebe ich das "ich will aber nicht" schon mal. Dein Text beschreibt den Unwillen, sich mit Sprache und Schrift auseinanderzusetzen, zumindest verstehe ich ihn so. Kommt das wirklich auch bei Erwachsenen so vor? Analphabeten stehen in der Gesellschaft vor großen Problemen und das merken sie, sie wissen nur nicht, wie sie noch Lesen und Schreiben lernen sollen, bzw. haben sich mit ihrer Rolle abgefunden . Ich glaube eher, dass hier ein soziales Problem angesprochen wird, kein mentales (zumindest nicht so, wie Du es beschreibst). Und diese Überlegungen machen den Text für mich, so wie er da steht, schwierig.

Schönen Abend

Jürgen

Sam

Beitragvon Sam » 29.03.2008, 05:21

Ohne es so ernst zu nehmen, wie Jürgen:

Von der Idee recht originell. D.h. man weiß (oder meint zu wissen) worauf du humorisch hinauswillst. "Scheiß auf die sechsundzwanzig Buchstaben, ich drück mich so aus, wie ich will. Ich bin frei!!"

Aber auch in einem humorigen Text kann man wohl nicht an der im Leserkopf verankerten Bedeutung von Wörtern vorbei. Ein Analphabet ist jemand, der noch nicht mal einen Buchstaben kennt. Also, wie soll der sich durch die lächerlich geringe Zahl von 26 eingeengt fühlen, wenn er sich wahrscheinlich schon von fünfen in eine endlose Landschaft versetzt fühlt, die er gar nicht überblicken kann.

LG

Sam

jondoy
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Beitragvon jondoy » 29.03.2008, 10:04

Lieber Jürgen,
lieber Sam,

habe eure Einwände mit Interesse gelesen. Dadurch beginn ich jetzt intensiver über den Text nachzudenken, es ist (mit eurer Hilfe) wie ein Beleuchten des Textes von mehreren Seiten.
Was ich schon mal klar erkannt habe, ist, dass der Text so nicht funktioniert, wie es mir vorgestellt habe, denn eure Einwände sind berechtigt.
Wie ihr den Text interpretiert, trifft nicht das, was ich damit ausdrücken wollte.
Ich will euch jetzt noch gar nicht genau erklären, was ich damit ausdrücken wollte, weil ich mir erst selbst noch mehr Gedanken darüber machen muss, was ich damit sagen wollte und wie das in (kurze) Worte zu fassen ist, im Moment hab ich Zweifel, ob ich das überhaupt auszudrücken vermag, weil das so eine Mischung aus Ironie und anderem ist.
Eine zweite Version des Textes wäre da zu erarbeiten.

Im Moment nur soviel.
Jürgen, beim Schreiben des Textes hab ich an Kinder nicht gedacht.
An Erwachsene.
Wie schwer man es hat, wenn man kaum schreiben kann, weiss ich aus meinem Umkreis, Schreiblegastheniker ist kein Fremdwort für mich,
es ist (ich weiss, ein schräges, abwegiges Bild) das irdische Jenseits von einem Literaturforum,

Sam, jedenfalls das da wollte ich nicht damit ausdrücken: "ich drück mich so aus, wie ich will. Ich bin frei!",
komischerweise das Gegenteil,

ich wäre froh wenn ich mich mit anderen Mitteln (wie das Schreiben) so ausdrücken könnte wie "ihr" (wenn ich so frei wäre)
Ich bewundere eure "Freiheitsliebe",

Ich war auch hin- und hergerissen, ob ich den Text überhaupt in die Rubrik Humor, Satire stellen soll, oder woanders hin, doch das (Humorige) erschien mir dann der Schwerpunkt der Aussage.

Es steckt ja auch was Provokantes drin, es ist eine Ode an die "Gegenwelt" (an die Welt außerhalb des Schreibens).

Ein schönes Wochenende
wünsch ich Euch
Stefan

Sam

Beitragvon Sam » 30.03.2008, 06:08

Das Problem ist, dass, selbst wenn jemand sich bewusst ausserhalb der Welt des Schreibens begibt, er nicht anders denkt als im Korsett der sechsundzwanzig Buchstaben. Jeder Mensch denkt und träumt in den Sprachen, die er kennt und verweilt dabei in ihren Grenzen. Die einzige Möglichkeit zu entfliehen ist, sich seinen Träumen und Wahrnehmungen zu überlassen und nicht zu versuchen sie in Worten auszudrücken. Und Maler oder Bildhauer zu werden....

LG

Sam

Herby

Beitragvon Herby » 30.03.2008, 10:51

Hallo Stefan,

ich muss gestehen, dass mich dein Text auch nach deiner Antwort an Sam und Jürgen noch ratlos zurücklässt. Für mich zentrieren sich die Hauptknackpunkte in den beiden Worten "Analphabet" und "Freiheitsliebe".

Sam, du schreibst:

Jeder Mensch denkt und träumt in den Sprachen, die er kennt und verweilt dabei in ihren Grenzen.


Das erinnerte mich eine Kurzgeschichte von Peter Bichsel, "Ein Tisch ist ein Tisch" - kennst du sie vielleicht? Der Protag. beginnt dort, Gegenstände willkürlich umzubenennen...

http://www.yolanthe.de/stories/bichsel01.htm

Liebe Grüße
Herby

Max

Beitragvon Max » 30.03.2008, 13:05

Lieber Stefan,

ich habe den Text zunächst als eine Spielerei gelesen, die vielleicht nicht ganz aufgeht.

Durch Deine Rückmeldung an Jürgen und Sam sehe ich, dass dahinter ein durchaus ernsthafter Grundgedanke steht. Dem mag ich inhaltlich nicht so richtig folgen - für mich eröffnen die 26 Zeichen gerade einen Weg in die Freiheit, der Kontrast zwischen ihnen und der Freiheitsliebe besteht für mich daher nur an der Oberfläche.

Liebe Grüße
Max

PS: Lieber Herby, schön, dass du den Text von Bichsel nochmal ins Gedächtnis gebracht hast :-)

jondoy
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Beitragvon jondoy » 30.03.2008, 22:37

Danke für eure aufmerksamen Kommentare.

Ich bin (ohne dass ich mir am Wochenende Gedanken über meinen Text gemacht hab), jetzt beim Lesen des Textes ratloser denn je.

zu den ganzen kommentaren kann ich im moment nur folgendes begegnen (dieses wort trifft e s nach mein Gefühl im Moment mehr als das grammatikalisch korrekte "entgegnen":

vielleicht wollte ich sagen:

"die Beschränkung der beschreibung der Wahrnehmung
der äußeren und inneren Welt
auf sechsundzwanzig Buchstaben
grenzt an Freiheitsberaubung.

Sam sieht schon in die richtige Richtung:
"Und Maler und Bildhauer zu werden".
Das könnte man durchaus noch erweitern: "Und Tänzer und Filmemacher"
und viele andere Ausdrucksformen, zu denen mir im Moment die Phantasie fehlt,

Dazu passt dann allerdings nicht die Überschrift
"Liebes Analphabet" und auch nicht der Schluss
"Ich bewundere deine Freiheitsliebe."

Das seh ich jetzt klar.
Diese zwei Zeilen sind eine getrennte, zweite Geschichte.

Liebes Analphabet.
Ich bewundere deine Freiheitsliebe.

Vielleicht bedeutet das
Ich bewundere deine (selbstverschuldete oder unverschuldete) Anarchie...

(die Tatsache, in unserer Welt als "Analphabet" zu leben
(....das kann durchaus auch metaphorisch gemeint sein, wie ich jetzt im nachhinein feststelle, Analphabet steht hier eigentlich stellvertretend für "Außenseiter"; die Anrede "Liebes" hab ich bewusst gewählt, um es weder auf männlich noch weiblich beziehen zu lassen)

....obwohl du es so schwer hast,
in der Welt der sechsundzwanzig Buchstaben zu bestehen.

Max, dein erster Gedanke war ganz richtig:
"ich habe den Text zunächst als eine Spielerei gelesen, die vielleicht nicht ganz aufgeht."

Der Text war eine Spielerei von mir, auch ich selbst hab den Text als Spielerei gelesen (nachdem er geschrieben war!)
Es hört sich merkwürdig an, weil das, was ich jetzt noch dazu sage, gerade widersprüchlich zum Vorhergesagten klingt.
Obwohl es eine Textspielerei von mir war, war es trotzdem keine reine Spielerei.
Vielleicht sind es deswegen "zwei Geschichten".

Herby, die Geschichte von Peter Bichsel habe ich heute gelesen.

Ich kann ihr nicht ganz recht geben. Ich weiss nicht warum.
(Ich mein natürlich die Geschichte, sie hat rational gedacht recht, aber trotzdem regt sich in mir drin ein Widerspruch.

Es grüßt euch ganz herzlich
Stefan


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