herrin

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 25.01.2009, 22:59

herrin


sieh mich
gebrochen

will die sandkörner schmecken
unter deinen füßen

und sterne zählen
bis niemals mehr




Alternative nach Lou:


herrin


sieh mich
porzellanen

will die sandkörner schmecken
unter deinen füßen

und sterne zählen
bis niemals mehr
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 31.01.2009, 03:27, insgesamt 1-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Louisa

Beitragvon Louisa » 26.01.2009, 12:09

Hallo Tom!

Das Thema der Selbstdemütigung in der Liebe finde ich schon einmal interessant.

Der Titel verleiht deinem Text auch so eine majestätische, sakrale Stimmung, finde ich.

Meiner Meinung nach müsstest du nach den ersten beiden Zeilen:

"sieh mich
gebrochen"

Noch etwas zum Bild des "Gebrochen-seins" ergänzen. So für sich allein stehend genügt mir das noch nicht. Es lässt keine weitere Dimension einer neuen Assoziation zu.

Man könnte zum Beispiel mit den Bildern "brechbarer Gegenstände" arbeiten. Nur so eine Idee...

Die folgenden zwei Zeilen mit den Sandkörnern hingegen finde ich metaphorisch schon viel eingänglicher und origineller als die ersten beiden. Jedoch fehlt mir natürlich ein bisschen der Bezug zwischen "gebrochenem Ich" und "die Sandkörner unter den Füßen schmecken" -

Das könnte man sehr leicht verbinden, wenn du dazwischen beschreibst, dass z.B. dein Mund, der nach ihr hungert am Boden liegt wie eine Scherbe (=> "Gebrochen")

...und dieser eben gebrochene Mund kann auch die Sandkörner schmecken.

Durch solche Spielchen würde der Text runder werden. Aber du kannst dir auch ´was anderes ausdenken.

Dann schließt du mit den letzten zwei Zeilen, dir mir nun leider vollkommen aus dem Kontext gerissen und etwas lieblos erscheinen. Wieso "Sterne zählen" ? Ist das ein Sprichwort, dass ich nicht kenne (?) oder deutet es mehr die Unendlichkeit dieser Hingabe und die Dauer des Wartens an?

Falls letzteres gemeint sein soll kann ich es leider nicht ganz ernst nehmen. "Sterne zählen" allein wäre schon sehr stark an der Schwelle zur (leider) abgenutztes Romantiksprache gewesen, aber das "niemals mehr" dahinter ist eindeutig zuviel des Guten.

Also: Ich finde das Gedicht interessant, aber ich würde lieber versuchen die ersten beiden Strophen bildlich abzurunden und dafür die letzten zwei Zeilen streichen.

Ich hoffe das konnte dir etwas weiterhelfen.

Schönen Tag!

l

Nicole

Beitragvon Nicole » 26.01.2009, 12:19

Hi Tom,

gibt es das? "zynisch-devot"? Oder zynisch, weil devot?

Herrin = ist in meinem Kopf (sorry) im Sado-maso Bereich angesiedelt... Vielleicht kommt der Text deswegen so "devot" bei mir an.
Zynisch wegen des "sieh mich gebrochen".
Das "ich will die Sandkörner schmecken unter deinen füßen" klingt für mich nach einer Mischung aus "ich will den Boden unter Deinen Füßen küssen" und "staub / dreck fressen", also irgendwie eine bösartige Persiflage (wieder devot) der großen Liebeserklärung...
Und dann die Passage "Sterne zählen". Das hat an sich etwas von "ewig" und negiert sich dann im "bis niemals mehr".

Ich weiß nicht recht, aber irgendwie klingt das Ganze für mich so gar nicht nach "Liebe".

Nicole

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.01.2009, 13:16

Was soll das sein???
Ein Beitrag für einen Slave-Open-Poetry?

50 Peitschenhiebe, Sklave!

Dominante Grüße
Gabriella

Klara
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Beitragvon Klara » 26.01.2009, 13:58

Hallo,


statt "gebrochen" "am Boden" - und (fast) alles wäre zwar nicht gut, aber immerhin nachvollziehbar.


sieh mich
am boden

will die sandkörner schmecken
unter deinen füßen

und sterne zählen
bis niemals mehr


"Gebrochen" kommt bei mir so stark zerstört rüber, dass da keiner mehr etwas wollen könnte, als Gebrochener, auch nicht die Sandkörner unter fremder Herrin Füßen schmecken. Wollen und Gebrochensein geht für mich einfach nicht zusammen. Am Boden (demütig) sein und von da aus wollen dagegen schon.

"bis niemals mehr" verstehe ich nicht.

Klara

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leonie
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Beitragvon leonie » 26.01.2009, 15:16

Lieber Tom,

ich habe das gestern abend schon gelesen, wollte aber mal abwarten, ob mein erster Eindruck sich auch bis morgens hält oder nicht.

Also, ich muss ehrlich sagen, dass fällt ziemlich ab gegen das, was ich von Dir gewohnt bin. Zum einen in den etwas abgegriffenen Bildern. "Gebrochen" "Sandkörener schmecken", "Sterne zählen". Hm...

Ich habe es gefühlsmäßig von verzweifelt bis fast hin zu selbstmitleidig empfunden. Um nicht einen von Dir in Bezug auf Lyrik gelegentlich benutzten Begriff zu verwenden...

Harte Kritik, ich weiß. Aber geht in diesem Fall nicht anders.

Liebe Grüße

leonie

Louisa

Beitragvon Louisa » 26.01.2009, 17:34

PS: Ich habe überlegt, ob das vielleicht ein bisschen augenzwinkernd von ihm gemeint war.

Aber ich finde trotzdem, dass dieses Thema sehr viel mit "Liebe" zu tun hat. Es gibt viele Formen sich jemand anders unter- oder überzuordnen - und es ist meiner Meinung nach schwer ohne einen gewissen Kampf miteinander im Gleichgewicht zu bleiben. Dabei gibt es dann meistens ja immer einen, der gerne dient und einen anderen, der sich bedienen lässt - nicht nur in der "SM-Szene" - ich finde sogar bei meinen Eltern und Großeltern diese Züge des Herren und Sklaven - die aber nicht gleich bleiben, sondern sich immer wieder abwechseln.

Deshalb glaube ich, kann man aus diesem Thema mit ein bisschen mehr Pfiff in den Bildern noch mehr herausholen.

LOß, TOM :smile: !

(Vielleicht funktioniert es immer so :16: ...)

Dominalouisa

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 26.01.2009, 19:49

Hmm, meine erste Redaktion auf diesen Text war folgende:
Dem Protagonisten dieses Texte würde ich heftig in den Hintern treten, damit er selbiges bei der Herrin macht.
Anders ausgedrückt: Sich dermaßen selbst zu unterdrücken wegen einer Liebe ist nichts anderes als die Selbstverleugnung der eigenen Person, und nimmt einem den eigenen Willen und die Freiheit. Für mich drückt der Text etwas anderes aus, also die "klassiche" Sm Beziehung, die ja wohl auch nur deshalb funktioniert, weil eben der eine sich nicht dermaßen so verleugnet, daß er nicht mehr sich selber ist. Er oder sie gibt sich nicht völlig seinen eigenen Willen auf, so wie hier.
Hier ist der Betreffende aber offensichtlich nicht mehr sich selber.

Dann kam mir so beim zweiten mal Lesen die Idee, daß es sich hier um die Beschreibung eines ganz schlimmen Fall von Liebeskummer handelt. Fühlt man sich in den ersten Zeit eines Liebeskummer nicht so in der Art, wie in dem Text beschrieben? (Auch in diesem Fall würde ich dem Leidenden zurufen, steh auf, und mach weiter ... siehe oben)

Beim 4 oder 5 mal Lesen ist mir noch eine andere Idee gekommen.
Vielleicht geht es garnicht um die Beziehung zwischen zwei Menschen, sondern vielleicht ist die Beziehung zwischen Mensch und Natur gemeint?
Der Mensch ist zerbrochen an der Natur, weil die Natur letzendlich doch immer stärker ist als der Mensch. Dem Menschen bleibt in letzten Konsequenz nichts anderes übrig, als sich der Natur zu unterwerfen. Tut er dies nicht, zerbricht er (wie auch die Natur).
Fragt mich nicht wie ich darauf komme, ist mir aber so nach dem 4 oder 5 mal lesen eingefallen.
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 27.01.2009, 11:15

Hallo!

Also diesen fast überwältigenden SM-Bezug, den hier so viele Kommentare ansprechen, kann ich nicht wirklich nachvollziehen... "Herrin" ist doch in der Geschichte der Liebesdichtung ein ausführlich benutzter Begriff. Tut es dem Verständnis des Textes wirklich gut, diesen Punkt vollständig auszublenden?!

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Sam

Beitragvon Sam » 27.01.2009, 19:38

Ich denke, es geht hier, wie in so vielen Gedichten, um unerfüllte Sehnsucht. Die steht an einem Scheitelpunkt, was sich durch die hier ausgedrückte Ambivalenz deutlich zeigt.
"Unerfüllte Erwartung macht das Herz krank", so heißt es schon in der Bibel. Ins Leere lieben genauso. Das kranke Herz aber bricht den ganzen Menschen. Und in seinem Gebrochensein erniedrigt er sich. Weniger, um endlich die Liebe zu finden, die er sich so ersehnt, als vielmehr nur Erlösung. ""..bis niemals mehr...".Diese liegt aber immer noch in der Hand der angesprochenen Person, nicht des LyrI. Somit ist es folgerichtig, dass sie im Titel als "herrin" bezeichnet wird.

SM findet sich hier überhaupt nicht. Bei SM geht es nicht darum, einen Menschen zu brechen. Im Gegenteil. Der Gedemütigte wird durch das, was ihm widerfährt, in sexueller Hinsicht "erhöht". Die Demütigung dient lediglich als Katalysator.


Gruß

Sam

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.01.2009, 19:54

Nachdem hier so viele Spekulationen formuliert werden, um was es sich handelt oder nicht, würde ich gerne mal von Tom hören, wie er es denn nun gemeint hat. ,-)

Saludos
Mucki

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 27.01.2009, 20:23

Nur schnell eingeworfen: Ich glaube Tom kann aufgrund der Arbeiten in Österreich nicht jeden Tag on sein, kann also etwas dauern, bis er antwortet :-)
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max

Beitragvon Max » 27.01.2009, 22:33

Auch schnell eingeworfen (hab wal wieder nicht alles gelesn .. shame on me ;-) ):

Ich denke es ist wichtig, dass es "gebrochen" heißt und nicht "am Boden". Das "gebrochen" weißt das rein Spielerische aus dem Text, es klingt in der Folge wie ein Spiel, aber das lyr. Ich ist tiefer getroffen, involviert, eben gebrochen ...

Nur so'n gedanke ...

Max

ecb

Beitragvon ecb » 28.01.2009, 11:16

hallo thomas,
mir gefällt das gedicht ausgezeichnet, ich finde es sehr poetisch und formschön.
auch assoziiere ich damit nicht unmittelbar den sado-maso-aspekt, sondern eher elemente von ritterlichkeit und alter troubadour-dichtung.
dergleichen gefühlsregungen mag ich auch nicht gern klassifzieren, da gibt es nun mal alle möglichen übergänge und variationen unter der sonne, und warum sollte man darüber urteilen.

erinnert mich übrigens an manches von leonard cohen - was dem eindruck weißgott keinen abbruch tut.

lg eva


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