Lieber bluebird Lydia,
Leonies Irritation auf Grund des Es- und Er-Bezugs kann ich teilweise teilen, denn das Wörtchen "seinem" bei Herzschlag kann sich ja sowohl auf ein Neutrum, als auch auf ein Maskulinum beziehen. Das ist der "Fehler" der deutschen Sprache
... und das kann sicherlich irritieren.
Wenn ein konkreter "Er" gemeint sein soll, empfinde ich das auch zunehmend als ein Liebesgedicht- Aber diese Kategorisierungen sind ja nicht besonders wichtig.
Mir fallen folgende Dinge auf:
"zwischen ebbe und flut"
Ebbe und Flut sind zwei sehr häufig verwendete Lyrik-Bilder... Ich würde also sehr vorsichtig damit umgehen und schauen, ob man damit überhaupt etwas Neues machen kann.
"ein wenden
in entwellte weiten"
Das Wort "entwellt" gefällt mir sehr, sehr gut! Diese allzu abgegriffenen "Weiten" (Das ist jetzt schon das dritte Mal, das ich das hier in einem Salon-Gedicht lese
!) - machen es allerdings so unscheinbar, dass seine Schönheit kaum zur Geltung kommt. Ich würde es wahrscheinlich deshalb so dichten:
"ein wenden
entwellte sich"
Muss es sich in "Weiten" entwellen? Wieso nicht in Fläche, Strand, Sand, Landschaft, Freie, Tote, Watt, Trockene, usw, usw, ....??? Da wünsche ich mir ein stärkeres oder gar kein Wort.
und dann weiter:
"es legte sich
in die arme der windstille"
Das hat mir wie Leonie auch ganz gut gefallen.
"und ich wohnte
in seinem herzschlag"
Hier denkt man jetzt wirklich, dass du den Herzschlag des Wendens meinst. Und da muss ich genauso wie leonie fragen: Wieso hat das einen Herzschlag? - Das könnte man bildliche erklären oder aber, da du es ja gar nicht so meinst, sagen:
"und ich wohnte
in DEINEM herzschlag"
Auch beim Wort "herzschlag" wäre ich seit 200 Jahren Poesiegschichte vorsichtig. Das kann meiner Ansicht nach nicht so einfach alleine stehen. Selbst wenn man darin "wohnt" - Das ist ja schön. Vielleicht könntest du auch sagen:
"und ich wohnte
in deiner herzhütte"
und danach so etwas wie: "geschützt vor der Flut/dem Sturm/der Nacht/der Kälte/dem Wasser/......"
Damit es nicht ganz aus dem Bilder-Rahmen
fällt.
Dann geht es weiter mit:
"bis er ging
jedes wort umzäunte
und mich gefangen nahm"
Also, wenn es nach meinem Anti-Irritations-Beispiel weiterginge, dann eben:
"bis du gingst
jedes wort umzäuntest
und mich gefangen nahmst"
Die "umzäunten Worte" gefallen mir wieder sehr gut. Das "gefangen sein" danach allerdings nicht. Es ist irgendwo klar, dass man, wenn einem jedes Wort umzäunt ist, auch eingesperrt ist in seinen sprachlichen Erinnerungen.
Deshalb würde ich nach "umzäunte(st)" auch das Gedicht enden lassen. Das macht es weitaus freier, finde ich.
Ich hoffe damit kannst du etwas anfangen.
Schönen Tag!
l