John Everett Millay: Ophelia

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 10.10.2010, 10:05

John Everett Millay
1829 - 1896

Bild


Ophelia


Es ist kein guter Ort hier unter Weiden,
wo das Gewässer trübe Anteil nimmt.
Dort nisten Nesseln im Geäst, dort schwimmt
ein Teppich Hahnenfuß. So wie sich seiden
am andern Ufer Rosen wanden, fanden
sich in den Händen Maßlieb und Violen,
Vergissmeinnicht und Mohn beinah verstohlen
zum Brautkranz, ach - die fröhlichsten Guirlanden:

Sie lösen sich. Dem Wasser abgelauscht
legt sich das Haar in Wellen und ertrinkt,
wie sich das Kleid ein letztes Mal noch bauscht;
Ein sich Ergeben, das sich unbedingt
an seinem eignen Untergang berauscht
bevor es schwer wird und zu Grunde sinkt.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

Quoth
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Beitragvon Quoth » 10.10.2010, 18:52

Hallo, ZaunköniG,
ein bezauberndes Sonett zu einem nur auf den ersten Blick bezaubernden Gemälde des englischen Präraffaeliten John Everett Millais.
Hier der Link zu dem Bild, der von Dir angegebene funktioniert bei mir nicht.
Schaue ich mir das Bild aber genauer an, entpuppt es sich für mich als Kitsch: Die geöffneten, auseinandergefallenen Hände der Toten, die trotz des leicht geöffneten Mundes noch fast wie eine Lebende aussieht - das ist grauenhaftes fin de siècle aus einer Zeit, in der ein Gustave Courbet die Malerei bereits mutig entrümpelte und aus der bildungsbürgerlichen Verklammerung mit der Literatur befreite.
Entsprechend gefällt mir am besten die Zeile, dass sich dies "Ergeben an seinem eignen Untergang berauscht" - und zugleich das Entsetzen vor dem Tod mit Röslein und anderen Blümelein überzuckert ...
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 11.10.2010, 00:26

Hallo zusammen,

das Gedicht lehnt sich an ein Gemälde an, und dieses wiederum lehnt sich an eine Szene an, die ich hier mal hereinkopiere (Quelle wikisource):

Königin. Ein Leiden tritt dem andern auf die Fersen,
So schleunig folgen sie.
Laertes, eure Schwester ist ertrunken.

Laertes. Ertrunken sagt Ihr? Wo?

Königin. Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach,
Und zeigt im klaren Strom sein graues Laub,
Mit welchem sie phantastisch Kränze wand
Von Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Kuckucksblumen.
Dort, als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde
An den gesenkten Aesten aufzuhängen,
Zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen
Die rankenden Trophäen und sie selbst
Ins weinende Gewässer. Ihre Kleider
Verbreiteten sich weit, und trugen sie
Sirenengleich ein Weilchen noch empor,
Indes sie Stellen alter Weisen sang,
Als ob sie nicht die eigne Not begriffe,
Wie ein Geschöpf, geboren und begabt
Für dieses Element. Doch lange währt’ es nicht,
Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,
Das arme Kind von ihren Melodien
Hinunterzogen in den schlamm’gen Tod.

Laertes. Ach, ist sie denn ertrunken?

Königin. Ertrunken.

In der Szene finden wir die gleiche beschönigende, malerische Darstellung des Todes durch Ertrinken wie in dem Bild und dem obenstehenden Gedicht. Quasi eingeklammert von der bitteren Wahrheit, die in jeweils einem einzigen Satz davor und danach sich Durchbruch suchen muss.

Das Gedicht (ebenso wie das Bild) entspricht dieser Darstellung vollkommen, ich habe es gerne gelesen und mich an Königin Getrudes wehmütigen Vortrag an dieser Stelle erinnert.

Gruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Quoth
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Beitragvon Quoth » 11.10.2010, 08:21

Hallo, Zefira,

Du stößt eine interessante Debatte an - gerade in einem Forum, in dem neben den Literaten sich auch Schwinger/innen des Pinsels tummeln: Ist die Orientierung von Malerei an Literatur ein Irrweg - oder legitim womöglich bis heute? Und was bringt es, solche literarisch orientierte Malerei nun wieder in Literatur umzusetzen, die ebenso vergangenheitshörig ist wie das Bild?

Ist die malerische Ausführung eines literarischen Textes nicht immer eine Verengung? Man vergleiche z.B. die Ophelia von Cabanel mit der von Millais. Shakespeare war klug genug, dieses Bild nur im Kopf des Theaterzuschauers und nicht auf der Bühne entstehen zu lassen.

Für mich verrät Malerei sich selbst, wenn sie sich literarisch legitimiert.

Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 11.10.2010, 10:34

Hallo Quoth,

Diese Rubrik heißt Polyphon, und ich verstehe es geradezu als Aufforderung verschiedene künstlerische Medien zu verbinden, bzw mich in meinen Gedichten auf andere Medien zu beziehen. Und da ich das Bild nicht wieder in eine Theater-Szene zurückgeschrieben habe sondern in eine andere Gattung ist es doch etwas anderes geworden.
Ich würde es weder in die eine noch in die andere Richtung als Verengung bezeichnen, sondern als Übersetzung. Es ist schon richtig daß immer das eine oder andere Detail verloren geht aber umgekehrt kann ein anderes Medium den Stoff auch erweitern.

Eine äußere "Legitimation" braucht die Kunst zum Glück nicht. Diese Künstlerfreiheit nehme ich mir einfach. Bzw. sehe sie als genauso legitim an wie eine Romanverfilmung oder Kinderbuchillustration oder eine Gedichtvertonung ect.
Hat ein Regisseur das Recht seine eigenen Geschichten in einen Stoff einzubringen oder ist er seiner Buchvorlage verpflichtet?
Auch dort gibt es zweierlei Schulen und ich finde, daß beide Ansätze ihre Berechtigung haben.

Wie kommst du eigentlich darauf, daß Shakespeare seinem Publikum keine Bilder gegeben hat?
Wir wissen nicht welche Kostüme und Requisiten ihm zur Verfügung standen, aber er hat Theater gemacht, nicht bloß Rezitation.

Aber nun ganz konkret:

Schaue ich mir das Bild aber genauer an, entpuppt es sich für mich als Kitsch: Die geöffneten, auseinandergefallenen Hände der Toten, die trotz des leicht geöffneten Mundes noch fast wie eine Lebende aussieht


Wie ich das Bild lese, ist dort keine Tote, sondern eine zum sterben bereite Ophelia, die sich in ihr Schicksal ergibt, das so beinahe zum Freitod wird.
Die erhobenen Arme sind in der Tat sehr theatralisch, aber vielleicht auch nur den Entstehungsumständen geschuldet. Die Dame hat in der Wanne Modell gelegen.

Auch die Blumen sind nicht einfach süßlicher Beirat, sondern voller programmatischer Symbolik:

Mohn -> Schlaf und Todessehnsucht
Maßlieb -> Bescheidenheit
(rosa) Rosen -> junge Liebe
Veilchen -> heimliche / unerwiderte Liebe

aber auch ohne die Symbolik einzelner Blumen zu kennen ist das Bild eines unvollendeten und aufgegebenen Brautkranzes, doch mehr als nur Schmuck, sondern erzählt von ihrer Situation.

Danke Zephira für das Hamlet-Zitat.
Wenn mein Gedicht eine ähnlioche Wirkung entfaltet, wie das Bild oder die Hamlet-Passage habe ich erreicht, was ich wollte.


LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck


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