Heinrich Breling: Der Witwer

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 01.08.2018, 14:29

Heinrich Breling
1849 Burgdorf - 1914 Fischerhude


Der Witwer
(1906)

Das letzte Abendlicht ist bald verglommen
und dichte Schatten lagern sich schon schwer
und überall herrscht Stille, denn der Herr
hat es gegeben und er hat's genommen.

Das Einverständnis stellt sich noch nicht ein;
Wie er den Willen dazu auch bekräftigt;
Die Hände sind zu sehr mit sich beschäftigt.
Gebete wollen nicht gelingen. - Nein.

Es nutzt ja nichts. Er will auch nicht hinein,
die fahle Haut, den leeren Leib beweinen.

Und doch: Natürlich bleibt die Türe offen.
Natürlich brennt ein Licht. Man weiß ja nie.

Vielleicht, - er muss es ja nun irgendwie,
gelingt ihm doch zu glauben und zu hoffen.


der witwer - klein.jpg




Die Tochter

Gefühle hattest du mir stets verhehlt;
nun weiß ich nicht, was ich dir sagen soll.
mein Beileid? - Bin doch selbst des Leides voll.
Was glaubst Du? Dass sie mir nicht auch so fehlt?

Ich weiß: Nach Reden ist dir nicht zumut.
Das war es nie. Die Stille will mich lähmen.
Zumindest einmal meine Hand zu nehmen:
es machte dieses Schweigen wieder gut.

Dies Schweigen wird sich eines Tages rächen!
Verzeih! - ich habe es nicht so gemeint.
Ich hab ja selber nie gelernt zu sprechen.

Vielleicht ist's doch dies Schweigen, dass uns eint.
Dem schweren Tag folgt eine schwere Nacht.
Vielleicht ist Reden gar nicht angebracht.


.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

Mucki
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Beitragvon Mucki » 01.08.2018, 17:21

Hallo Zaunkönig,

nur schnell eine Anmerkung: Sollte das Bild von Heinrich Breling sein, solltest du es durch einen Link ersetzen (aus Copyright-Gründen)

Saludos
Mucki

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 01.08.2018, 18:31

Hallo Mucki,

Heinrich Breling ist über 100 Jahre tot, seine Bilder also gemeinfrei.

Gruß
ZaunköniG
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 01.08.2018, 19:59

Hallo Zaunkönig,
ich denke nun schon eine ganze Weile darüber nach, warum mich das erste Gedicht ungleich stärker anspricht als das zweite.
Ich glaube, es liegt daran, dass die Tochter im zweiten selbst spricht. Dass jemand, der ausdrücklich erwähnt, "nicht sprechen gelernt zu haben", sich so kunstvoll ausdrückt, - ich will nicht sagen, dass es unglaubwürdig ist, so etwas wird ja oft gemacht im Gedicht, aber zumindest bei mir schafft dieser Umstand erhebliche Distanz. Hast Du einen bestimmten Zweck damit verfolgt? Oder anders gefragt, hast Du mal versucht, auch über die Tochter in der dritten Person zu schreiben?

Das erste Gedicht finde ich, wie gesagt, sehr stark, sehr einfühlsam.

Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 01.08.2018, 20:37

Hallo Zefira,

Dass ich vom Witwer in der 3. Person spreche, die Tochter aber selbst sprechen lasse hat sich einfach so ergeben. Die Texte sind auch nicht unmittelbar zusammen entstanden sondern mit ca. einer Woche Abstand.
Vielleicht wäre es tatsächlich besser für beide Texte die gleiche Perspektive einzunehmen, wenn ich sie schon gemeinsam präsentiere.

Dass jemand, der ausdrücklich erwähnt, "nicht sprechen gelernt zu haben", sich so kunstvoll ausdrückt,

halte ich für keinen Widerspruch, denn im direkten Gespräch geht es ja nicht um reines Sprachgefühl, sondern um Gespür für das Gegenüber und die eigene Einschätzung dazu. Ein echtes Gespräch ist immer spontan und weitgehend unvorhersehbar.
Bei Selbstgesprächen oder Tagebucheinträgen ist das eine ganz andere Situation.


Liebe Grüße
ZaunköniG
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 02.08.2018, 00:26

Nun, als Widerspruch sehe ich es wie gesagt auch nicht an. Nur zwingt es mich kurioserweise in eine distanziertere Haltung als bei dem ersten Gedicht, das in der dritten Person geschrieben ist.
Wie bist Du darauf gekommen, etwas zu diesem Bild zu schreiben?
.. frägt interessiert
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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 02.08.2018, 09:21

Dieses Bild, genau genommen eine Reproduktion hängt im Kestner-Museum Hannover als Teil der Ausstellung "Beziehungskiste - Über Kommunikation"
Unter dem Titel "Speak to me" haben das Museum und Kargah, ein "Verein für Interkulturelle Kommunikation, Migrations- und Flüchtlingsarbeit" eingeladen Texte und Bilder zu den Ausstellungsstücken zu erarbeiten. Präsentiert werden die Ergebnisse am 18. August im Rahmen des "Fest der Kulturen", das jedes Jahr auf dem benachbarten Trammplatz stattfindet.

Das Museum August Kestner ist eigentlich ein Museum für angewandte Kunst und Design (von Altägypten bis heute), aber so ein Bild ist dann doch etwas zugänglicher als eine Keilschrifttafel, barocke Kaffeetasse oder eine Jugendstilgabel.

Mit etwas Glück werden die Texte auch ins Arabische und/oder Kurdische übersetzt.


Nochmal zum Text selbst:

Das zweite Gedicht beginnt ja mit einem Vorwurf. Vielleicht deshalb die Distanz?

ZaunköniG
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