Der Stalker

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 09.10.2010, 14:07

II. Version, mit geringfügigen Änderungen:


Er

Des Morgens singt seine
Stimme meine Musik
und träufelt mir süßes
Legato ein.

An alles und alles sind
seine Augen gesteckt
sie säuseln wie fein
der Glaskasten glänzt
in dem ich wohne.

Ich schwitze am Tisch
als schrilles Läuten
von überall in meinen
wehen Magen sticht
zerkaue die Knorpel
der frühen Fragen
mein Kopf drahtet
Sturmrufe in die Welt
nirgends ein Ort
der mir gehört.

Und finde schon wieder
die zierliche Schrift:
Du hast doch Hunger.
Ich habe ein Brot
vor deine Tür gelegt.





Ursprüngliche Version:

Der Stalker


Des Morgens singt seine
Stimme meine Musik
und träufelt mir süßes
Legato ein.

An alles und alles sind
seine Augen gesteckt
sie säuseln wie fein
mein Glaskasten glänzt
den ich seit gestern bewohne.

Ich schwitze am Tisch
als schrilles Läuten
von überall in
meine Mägen sticht
zerkaue die Knorpel
der frühen Fragen
mein Kopf drahtet
Sturmrufe in die Welt
nirgends ein Ort
der mir gehört.

Und finde schon wieder
die zierliche Schrift:
Du hast doch Hunger.
Ich habe ein Brot
vor deine Tür gelegt.
Zuletzt geändert von Amanita am 16.10.2010, 01:18, insgesamt 4-mal geändert.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 10.10.2010, 09:05

Hallo, Amanita,
wir hatten hier neulich einen
Beitrag von Keinsilbig, den diese zunächst mit "Asperger" übertitelt hatte. Nachdem sie den Titel in den jetzigen, vieldeutigeren geändert hatte, wurde, wie Sam richtig bemerkte, ein ganz neues Gedicht daraus.
Dasselbe würde hier m.E. passieren, wenn Du den Titel "Stalker" durch einen weniger eindeutigen ersetzen würdest. Solange da "Stalker" steht untersucht man das Gedicht ausschließlich darauf, ob es all das enthält, was mit Stalking zusammenhängt: Angst, Hass, Belästigungsgefühl usw. Wenn Du dem Leser es aber überlässt, herauszufinden, was sich in der von Dir beschworenen Symptomgruppe verbirgt - ich glaube, das wäre besser. Denn ein zu deutlich auflösender Titel bevormundet den Leser auch!
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 10.10.2010, 09:36

hallo amanita,

ich schließe mich meinem vorkommentator an. der titel engt den leser ein. ich glaube, dein text spricht für sich und lässt sich nuancenreich deuten.

vielleicht lässt sich ein anderer titel finden, wenn man das geschehen aus der sicht des "opfers" zu überschreiben sucht?

mir gefällt ganz besonders der letzte abschnitt deines textes, fasst er doch das eigentliche wesen des stalkens/verfolgens/manipulierens... mit sehr einfachen worten zusammen.

lga

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 10.10.2010, 10:08

Jau - überzeugt mich, der Titel ist unlyrisch.

Nun muss ich also brainstormen; könnt Ihr mir bitte dabei helfen?


Überall

Durchsichtig

Der Jäger

...???

Quoth
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Beitragvon Quoth » 10.10.2010, 11:03

Hallo, Amanita,
was hältst Du von "Vergiftetes Brot"???????
Gehört das lyrische Ich zu den Wiederkäuern oder warum hat es "Mägen"?????
Warum "Des Morgens" und nicht einfach "Morgens"?????
Und sind die "Sturmrufe" nicht einfach Hilferufe?
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 10.10.2010, 11:24

Des Morgens - da wollte ich die zusätzliche Silbe, außerdem gefällt mir der abruptere Beginn.

Sturmrufe - ich weiß gar nicht, ob es das Wort "gibt", aber es gefiel mir klang- und "silbenmäßig" besser. Hilferufe passt nicht.

Mägen - ich denke mal, in so einer Situation sitzen überall Mägen, die bis in die Fingerspitzen schmerzen.


Vergiftetes Brot wäre mir als Überschrift schon zu stark, es würde eigenständige Fährten legen, die ich so nicht will. Ich brauche etwas so Lapidares wie Treffendes.

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Beitragvon allerleirauh » 10.10.2010, 11:55

"gift" vielleicht. oder "unverdaut"/"unverdaulich".

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Beitragvon Amanita » 10.10.2010, 11:56

Ja, an Gift dachte ich auch schon.

Oder "vergiftet".

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 10.10.2010, 17:54

Ich wäre für "Träufelung"
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Andreas

Beitragvon Andreas » 12.10.2010, 10:46

Meine bescheidene Meinung wäre "Parasit" bzw. adjektiviert "parasitär".

Grüße
Andreas

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 12.10.2010, 15:15

Je mehr ich mir Gedanken über den Titel mache, desto mehr gerate ich ins Schwimmen. Es passt alles - nur noch nicht gut genug.

:sad3: - Amanita

(die allen dankeschön sagt, die Vorschläge gemacht haben!)

Quoth
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Beitragvon Quoth » 15.10.2010, 11:27

Hallo, Andreas,
"Parasit" finde ich gar keinen brauchbaren Titel. Auf die Gleichsetzung von Menschen mit Insekten oder Würmern - denn das ist die Großzahl der Parasiten - reagiere ich allergisch. Ein Stalker ist lästig, verängstigend, hassenswert - aber er überzieht doch nur eine vor allem dem männlichen Geschlecht eigene Fähigkeit, nämlich die, um eine ausersehene Partnerin ausdauernd zu werben, ins Absurde, Neurotische und schließlich Kriminelle. Aber er bleibt ein Mensch, der wie ein Vergewaltiger eventuell beeinflusst und umerzogen werden kann.
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Andreas

Beitragvon Andreas » 15.10.2010, 11:43

Hallo Quoth,

natürlich muss es nicht jedem munden, einen Menschen als Parasit oder parasitär zu bezeichnen, allerdings ist genau dieses einseitige Nutznießertum doch etwas, was auch die "Beziehung" Stalker <-> Opfer kennzeichnet. Gerade Parasiten sind, denkt man nur z.B. an Darmparasiten o.ä., intrazellulär. Ein bisschen davon hat auch der Stalker, der sich mit seiner Omnipräsenz und der Angst, die er verbreitet, im Lebensraum des Opfers einnistet. Ja, so ein "Befall" mag sogar klassisch parasitoid enden, falls das Opfer, wie es durchaus häufig passiert, vom Stalker des Lebens beraubt wird.

Letztlich passt für mich die Schablone sehr wohl, so dass mir mein vorgeschlagener Titel durchaus legitim erscheint.

Grüße retour
Andreas

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 15.10.2010, 14:12

Eine Zeitung dürfte so nicht titeln, da gebe ich Quoth recht. Sobald aber in einem Text mit Bildern und Zeichen gearbeitet wird, die eh zum Teil schwer "verdaulich" sind, da eben nicht 1 : 1 "übersetzbar", sobald es sich um eine Kunstform handelt, darf man das Prinzip des Stalkers oder Stalkings auch mit Parasitentum verbinden - auch wenn es letztlich um einen Menschen geht. Aber was hat der denn für eine Vorstellung seines Opfers? Er will es durch Demütigen gefügig machen. Das ist un-menschlich. Ja: Befall.
Der Titel "Parasit" passt nicht in meine Sprache, ich käme selbst nicht auf die Idee, den Begriff hier einzusetzen. Aber stören würde er mich im Zusammenhang mit einem anderen, ähnlichen Text überhaupt nicht.


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