Schriftstellerin

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 03.07.2006, 13:16

Dieses Gedicht stand zu Urzeiten (als der salon noch ca. 3 Mitglieder hatte) shcon einmal zur Diskussion. Da es so lange her ist, werden es die meisten wohl nicht kennen und es lohnt sich vielleicht, es noch einmal zum Thema beizutragen. Es sollte erwähnt werden, dass dies, wenn ich mich recht erinnere, mein erstes Geicht überhaupt war, also gerne viel Kritik, ich werde aber wahrscheinlich nicht mehr viel daran ändern können. Eine inhaltliche Diskussion fände ich spannend!


Schriftstellerin

Ich erdichte euch
ich verdichte euch
ihr Wörtermobile
Zu einem Wort.

Kaiserwunsch,
Herr der Versuche
Feuerjäger
auf den jungfrischen Fährten
der Hoffnungen
die verborgen im Herzdickicht nistend
in Mooslungenteppiche geschmiegt
erzittern
wenn du dich
dein Schlüsselbeinschwert voran stoßend
ihnen näherst.

Ihr: Ariadnefadenlos, windverwirbelt.

Eine Sturmstille nur:
Und der jüngere Satz schriebe den älteren.
Ein Generalbeschluss:
Und Fahnendruck.
Und Glaswindseiten.
Und die Herzen blätterten sich um.

Dann wärt ihr:
Ein Wort.

Atlantisch atme ich das Blau der Feder.
Schreibe mir Kiemen in mein Herz.
Ich stelle die Wörter und stelle mich dem Wort.

Ich verdichte euch
Ich erdichte mich.
Ich erdichte es
Ich verdichte mich.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

aram
Beiträge: 4478
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 08.07.2006, 02:09

liebe lisa,

beim allerersten ansehen schien mir der text etwas bilderschwer (etwa wie eine gut behangene wäscheleine) - bei näherer betrachtung bezieht sich dieser eindruck jedoch nur auf s2, außerdem ist selbst sie, wie das ganze: inhaltlich äußerst durchgängig, äußerst präzise!

so ziemlich jede strophe könnte auch eigenständiger text sein -
und baut doch in stringenter logik weiter.

wenn das wirklich dein erstes gedicht ist (schwer zu glauben!), dann muß auch alles in dieser ausführlichkeit gesagt sein.
(schriebst du heute, würdest du es anders tun - vielleicht innerhalb der klammer von eröffnungs- und schlussstrophe straffer umsetzten, aber das ist etwas anderes)

zum inhalt: wunderbar - wie die ('um-rungene') relevanz der beschreibung die relevanz des beschreibers konotiert - mir fallen dazu gerade die 'sich selbst zeichnenden hände' von m.c.escher ein - nur dass in deinem text zusätzlich noch feinere bezüge angesprochen sind - die sehnsuchtsebene, das formulierende eindringen, die bangen gefühls- und die zeitebenen.

besonders letztere finde ich toll beschrieben:

Und der jüngere Satz schriebe den älteren.

Und die Herzen blätterten sich um.


auch die bilder

atme ich das Blau der Feder. (allerdings ein grenzfall der bildlogik)

Schreibe mir Kiemen in mein Herz.

ihr Wörtermobile


und die dichte der euch - mich - es -konstellation empfinde ich als besonders eindringlich.

insgesamt für mich ein text, der 'näheres einlassen' reich belohnt.

merci,
aram

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 08.07.2006, 18:45

Lieber aram,
erneut danke für deine besondere Kritik, das ist immer (fast, manchmal sogar genau) so schön als läse ich ein Gedicht.

Das ist wirklich mein erstes Gedicht gewesen, allerdings an einen prosatext angelehnt, der mittlere Teil entstammt fast original aus einem Prosatext. ich schrieb es, um auch einmal an einem Wettbewerb teilzunehmen :razz: (es hat natürlich nicht gewonnen).

Ich bin manchmal erstaunt wie treffsicher du den Entstehungsgrund des gedichts herausfindest, ohne analytisches Puzzle zu spielen:

zum inhalt: wunderbar - wie die ('um-rungene') relevanz der beschreibung die relevanz des beschreibers konotiert - mir fallen dazu gerade die 'sich selbst zeichnenden hände' von m.c.escher ein


Das ist wirklich beneidenswert!

das mit dem bildschwer ist übrigens absolut richtig. Er sollte es aber auch sein (verwunschen), aber es ist auch zu viel (in dem Prosatext wird das durch grundrahmen relativiert). Ich finde durchaus selbst, dass bildschwer es trifft.

Vielen Dank für das Einlassen :grin: ,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 11 Gäste