Wort der Woche ~ DACHGESCHOSS ~

Trixie

Beitragvon Trixie » 11.05.2012, 11:56

WORT DER WOCHE
- jede Woche ein neues Wort als Musenkuss -
Lyrik, Prosa, Polyphones, Spontanes, Fragmente, Schnipsel, Lockeres, Assoziatives, Experimentelles
- alles zu diesem Wort - keine Kommentare - alles in einem Faden - 7 Tage Zeit -




~ D A C H G E S C H O S S ~

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.05.2012, 16:31

Eine alte Geschichte von mir

Der Ruf

Eine Pudelmütze auf dem Kopf, mit langem Besen, Plastikhandschuhen, einer dicken Jacke und Taschenlampe bewaffnet, klettere ich ängstlich die Stufen auf der alten Leiter zum Dachboden hoch. Vorsichtig schiebe ich den Riegel der Luke beiseite und zerre den eingerosteten Laden runter, ziehe dabei schnell den Kopf ein. Wer weiß, was mir da entgegenfliegt? Vielleicht eine Horde von wildgewordenen Riesenspinnen? Ich ekle mich fürchterlich vor diesen Viechern.

Nichts fliegt mir entgegen. Erste Hürde genommen! Langsam krieche ich mit eingeschalteter Taschenlampe hinein und suche den Lichtschalter. Da ist er. Mir ist unheimlich zumute. Ich halte den Atem an. In all den Jahren habe ich es nie gewagt, hierher zu gehen. Die lose am Dach hängende Glühbirne verbreitet nur spärliches Licht. Gut, dass ich an die Taschenlampe gedacht habe. Ich lasse sie durch den engen, mit allem möglichen Kram vollgestopften Raum, umherschweifen. Was hat sich hier nur alles angesammelt, du meine Güte.

Erschrocken zucke ich zusammen. Was war das? Ein merkwürdiges Geräusch. Da wieder! Fluchtgedanken ergreifen mich. "Nix da! Nun bin ich schon mal hier, jetzt schau ich mich auch um! Es ist nur das Holz, nur das Holz", denke ich mir. Kalt ist es hier, sogar sehr kalt. Entschlossen wühle ich mich durch bis in eine hintere Ecke. Die Dachbalken knacken in einem fort. Ich gewöhne mich jedoch langsam daran. Holz arbeitet, das weiß doch jeder! Ich bin stolz auf mich. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich freiwillig hierher trauen würde.

Hilfe! Was war das? Ein lang anhaltendes, ächzendes Geräusch, ja, es hört sich fast wie ein Stöhnen an. Spinn ich jetzt, werd ich paranoid? Eine Gänsehaut jagt die nächste. "Nein, da war nichts, das bildest du dir nur ein, Lilly!", versuche ich mir selbst, Mut zu machen. Doch kaum atme ich wieder einigermaßen normal, höre ich erneut dieses angsteinflößende Ächzen. Was mach ich denn jetzt? Es kommt eindeutig vom Dachboden. Meine Knie werden weich. Ich zünde mir erstmal eine Zigarette an, das beruhigt. Als ich es zum dritten Mal höre, ist meine Neugierde fast größer als meine Angst. Es hört sich an wie ein Rufen. Aber wer oder was sollte mich hier rufen? Und was zum Henker kann mir denn passieren? Von alten Möbeln und Büchern erschlagen werden? Eben! Ich leuchte mit der Taschenlampe herum, entdecke jedoch nichts Außergewöhnliches. Den Besen in der Hand, schleiche ich mich durch den unheimlichen Raum. Ein Spinnengewebe fällt vom Dach. Iiiigitttttttttt! Schnell schiebe ich es angewidert zur Seite. Zum Glück war keine Spinne drin! Gut, dass ich eine Pudelmütze trage. Sicher ist sicher! Da wieder, dieser Ruf! Diesmal hab ich ihn ganz deutlich gehört. Ich lenke das Licht dorthin, wo ich die Quelle vermute. Der Lichtkegel der Taschenlampe erfasst etwas, das golden schimmert. Ich bin noch zu weit weg, um zu erkennen, was es ist. Plötzlich höre ich einen Schlag, als ob ein Deckel zufällt. Oder ein Fenster? Doch die kleinen Dachfenster sind fest verschlossen. Das Krächzen! Dann wieder der Schlag. Sie wechseln sich ab. Inzwischen von unbändiger Neugierde gepackt, vergesse ich meine Angst und gehe todesmutig weiter in Richtung des Schimmerns. Ich stolpere über alles Mögliche. Es ist mir egal. Ich will jetzt wissen, was es ist!

Endlich sehe ich es und traue meinen Augen nicht. Ein großes, viereckiges Kästchen mit alten goldenen Intarsien, dessen Deckel sich langsam ächzend hebt, um dann wieder zuzuschlagen, liegt direkt vor mir! Es kommt mir so vertraut vor. Kann es wirklich das sein, was ich vermute? Mit zittrigen Händen öffne ich es. Es ist wahr! Es existiert doch noch! Mutter hatte gesagt, es wäre damals bei dem Brand alles zerstört worden! Ich kann mein Glück gar nicht fassen. Mein Herz rast. Ich nehme sie heraus, die so geliebten Fotos aus meiner Kinderzeit, die alten Briefe, die ich an mich selbst schrieb, wie eine Art Tagebuch. Alles ist noch da. Alles! Ich kann meine Tränen nicht zurückhalten. Bilder von meinem Vater, als er mir das Fahrradfahren beibrachte. Klein-Lilly auf der Schaukel. Die vollgestopfte Schultüte, mit der ich stolz am Einschulungstag posiere. Es ist wie ein Wunder. "Mein Schatzkästchen! Ich habe mein Schatzkästchen wieder!", schreie ich laut.

"Lilly, was ist denn los? Warum weinst und schreist du? Hattest du einen Albtraum?", fragt mich Siggi besorgt, der neben mir im Bett liegt. Es ist drei Uhr nachts. Ich drehe mich zu meinem Mann.
"Jetzt wohnen wir schon so lange in dieser Dachgeschosswohnung und ich war niemals oben. Ich muss sofort auf den Dachboden!", rufe ich lachend, laufe im Schlafanzug mit einer Taschenlampe zur der alten Treppe. Völlig verblüfft ruft er mir hinterher: "Du und auf den Dachboden, mitten in der Nacht?"
"Jaaaaaaaaaaa, ich habe einen Schatz gefunden!"

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Eule
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Beitragvon Eule » 11.05.2012, 17:23

Gästezimmer


Schiefe Ebenen
Zum Taubenwinkel

Geschnürt trieb uns
Der Herbststurm mit
Regenplanen ins

Reetdach die
Stechuhr bereit wandern
wir frei übers Papier auf
Körperhaaren
Ein Klang zum Sprachspiel.

Ada
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Beitragvon Ada » 23.05.2012, 12:02

Phantasie unterm Dachgiebel

Spinnweben zwischen den Sparren, trockene, staubige Luft unter Tonziegeln, warm und stickig. Verblasstes Linoleum mit ausgefransten Löchern, Holzbohlen dazwischen, in den Ritzen Fledermausdreck. Eine Truhe steht einsam an der Wand, der Beschlag verrostet, der Deckel ausgebleicht. Wenn ich sie öffnete, bauschten sich Reifröcke mir entgegen, umfingen mich mit mottenkugelaltem Atem. Ballkleider: grau und schlaff der Spitzenbesatz, dunkelbeige Ränder statt cremefarbenem Atlas; der Stoff bricht, bevor er sich biegen könnte. Ob ich mich traue? So lange steht die Truhe hier alleine. Mag sein, dass sie ein Skelett beherbergt, oder eine Mäusemumie. Durch die Staubschicht auf dem winzigen Lukenfenster bahnen sich Sonnenstrahlen ihren Weg durch die staubglitzernde Dachluft. Einer verfängt sich auf dem Schloss, erwischt den einzigen Punkt, der zurückstrahlen kann, blenden. Meine Hand unterbricht das Spiel. Ich hätte mehr Widerstand erwartet, von verquollenem Holz, über die Jahre verkeilt, aber das Dachexil hat alle Feuchtigkeit aus dem Baumrest gezogen, die Truhe geschrumpft. Locker, nur mit einem leisen Quietschen schwingt der Deckel nach hinten. Mein Blick fällt auf Holzbohlen, Fledermausdreck in den Ritzen. Die Truhe, eine potemkinsche.


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