WORT DER WOCHE
- jede Woche ein neues Wort als Musenkuss -
Lyrik, Prosa, Polyphones, Spontanes, Fragmente, Schnipsel, Lockeres, Assoziatives, Experimentelles
- alles zu diesem Wort - keine Kommentare - alles in einem Faden - 7 Tage Zeit -
~ W A R T E Z I M M E R ~
Wort der Woche ~ WARTEZIMMER ~
Wie in einem Fahrstuhl
Egal, aus welcher Warte ich es betrachte, immer ist das Wartezimmer negativ besetzt. Besetzt durch Wartende. Die vermeiden, mich anzusehen. Die einem zufälligen Blick von mir schnell ausweichen. Einen freundlichen Blick nicht erwidern. Es ist das Warten, diese Verschwendung von Zeit. Die Billigblättchen, die ich nicht berühren mag. Wer weiß, wer die schon in der Hand hatte. Und was derjenige vorher in der Hand hatte. Allein der Gedanke ... Was wohl die anderen Wartenden denken? Die Frau da scheint Angst zu haben. Wovor? Sie hat so schönes Haar. Ich möchte es ihr so gerne sagen. Vielleicht würde es sie aufmuntern? Ein Jugendlicher sitzt in der Ecke. Er trägt einen blauen Mundschutz. Ob er eine Bazillenphobie hat? Der Platz neben ihm ist frei geblieben. Die Phobie wird zur Menschenphobie. Der Mann neben mir knetet ungeduldig seine Hände. Ein Baum von einem Mann. Und doch wirkt er klein, in sich zusammengefallen. Gesenkte Häupter, gesenkte Blicke. Alles sinkt. Und ich sinke mit. Nur die Ungeduld ist so greifbar, sie steigt. In Wartezimmern fließt die Zeit anders. L a n g s a m e r. Viel langsamer. Nur, weil ich auf etwas warte. Lesen kann ich nicht. Das leise Rascheln einer Zeitschrift, das Hüsteln eines anderen. Das unruhige Hin- und Herrutschen auf dem unbequemen Stuhl lenkt mich vom Buchinhalt ab. Wie oft hab ich eine Zeile schon zehn Mal gelesen. Also weg mit dem Buch. Ich schließe die Augen. Versuche, der langsam vergehenden Zeit ein Schnippchen zu schlagen. Es gibt viele Orte, an denen ich einfach da sitze und Menschen beobachte. Mir dabei alle Zeit der Welt lasse. Es ist faszinierend, andere Menschen zu beobachten. Doch im Wartezimmer funktioniert es nicht. Es ist wie in einem Fahrstuhl. Die Verlegenheit spielt sich in den Vordergrund und die Gelegenheit geht verloren.
[align=right]immer zarte W.
als wäre es ihre mission
das warten zu lehren
(sie schreiben dir zimmer
mit fenstern zum fels
und lächeln bestimmt
wie buddhistische mönche
über dein zucken
nur die feder kratzt
gebetsmühlenartig
in die stille)
bis du vergisst
auf wen[/align]
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)
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