Wort der Woche ~ FIMMEL ~

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 04.05.2013, 13:02



WORT DER WOCHE
- jede Woche ein neues Wort als Musenkuss -
Lyrik, Prosa, Polyphones, Spontanes, Fragmente, Schnipsel, Lockeres, Assoziatives, Experimentelles
- alles zu diesem Wort - keine Kommentare - alles in einem Faden - 7 Tage Zeit -




~ FIMMEL ~





(Das Wort der Woche wird vorübergehend von mir übernommen, bis Trixie wieder mehr Zeit hat, um sich hier einzubringen. Danke Trixie für die vielen schönen Musenküsse!)
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 05.05.2013, 00:38


Schlaflos in Idstein

Bei jeder Szene, in der Meg Ryan ihren Shopper dabei hatte, diesen Blau-Weißen aus Blümchen-Gobelinstoff mit Riemen um die ganze Tasche herum, bin ich kirre geworden. Ich wollte unbedingt diesen Shopper haben. Stundenlanges Googeln nach Filmrequisiten brachte nichts. Filmrequisiten sind unglaublich begehrt, werden aber nicht verkauft, da man sie für andere Filme verwendet. Jeden, na ja, fast jeden Preis, hätte ich bezahlt, um dieses Teil zu bekommen. Ich hab da echt ne Macke. Sowas beißt sich in mir fest. Das Gleiche gilt übrigens auch, wenn schicke Filofaxe in Filmen auftauchen. Must have!

Ich sah mir den Film bestimmt zwanzig Mal an. An den Szenen, in denen man Meg's Shopper besonders gut im Detail sehen konnte, drückte ich auf Standbild und tigerte nägelkauend vor der Glotze auf und ab. Schließlich fertigte ich mir eine Zeichnung an, notierte mir die Maße. Welchen Abstand hatte der Shopper zu ihrer Schulter, wenn sie ging? Wieviel war von ihrem Body zu sehen, wenn man sie seitlich sah? Konnte sie in die Tasche greifen, ohne die Riemen von der Schulter zu nehmen? Als sie auf dem Bett im Hotel in Seattle sitzt und mit ihrer Freundin quatscht, sieht man den Shopper vom äußeren Rand her. Gut! Da konnte ich abmessen, wie breit der Boden ist. Das ist nämlich sehr wichtig für einen Shopper, soll ja ordentlich was reinpassen. Wochenlang durchstöberte ich sämtliche Online-Shops in Deutschland und U.S.A. Es musste genau dieser sein. Nix zu machen. Verflucht. Okay, dachte ich mir, selbst ist die Frau. Ich bestellte mir Gobelinstoff, Innenfutter, Wattelagen (soll ja schön flauschig werden, das Teil), Nähgarn und eben alles, was man braucht. Nachdem ich jahrelang Patchworksachen genäht habe, riesige Quilts, Kissen und so, hey, das ist ne totale Fittelarbeit, muss ich es doch hinbekommen, diese Tasche zu nähen.

Nachdem alles geliefert wurde, verwandelte ich das Wohnzimmer in eine Nähstube. Sorgfältig breitete ich alles aus, sorgte jedoch für einen kleinen Durchgang, so dass ich gerade noch zur Couch gelangen konnte, um im Fernsehen 'Schlaflos in Seattle' zu gucken. Mein Mann entwickelte zu dieser Zeit seltsamerweise die Angewohnheit, an den Abenden viel in seinem Arbeitszimmer zu tun zu haben. Ob es an den Stecknadeln lag, die sich ab und an in dem dicken Berberteppich einnisteten?

Zuerst fertigte ich eine Stoffschablone an und nähte und schnitt so lange an ihr herum, bis nur noch Fetzen von ihr übrigblieben. Also auf zur nächsten Schablone. Hey, diese innere Breite oder auch Tiefe hinzukriegen, ist gar nicht so einfach. Mit jeder neuen Schablone, ich glaube, insgesamt waren es etwa ein Dutzend, kam ich der gewünschten Tiefe, Höhe und Breite näher. Und nach ca. zwei Wochen hatte ich sie. Sofort notierte ich mir diese Maße, um sie niemals wieder zu vergessen.

Inzwischen hatte ich den Film und vor allem den Shopper so oft gesehen, dass mir dieses blau-weiße Blümchenmuster gar nicht mehr gefiel. Hey, wie kitschig ist das denn? Das geht ja gar nicht. Und das Teil hat gar keine Außentaschen. Sprich: Funktionalität = null. Nee, geht nicht. Ich brauche zwei große Außen-, zwei große Innentaschen sowie zwei kleine Innentaschen, alle mit Reißverschluss, versteht sich. Ich bestellte mir neuen Gobelinstoff und neues Futter. Diesmal so einen klassischen Gobelinstoff, der richtig antik aussieht und schwarzes Satinfutter. Und auf ging's. Ich nähte mir den Shopper mit allen Außen- und Innentaschen, mit Rundumgurten und Zipper-Magnetverschluss.

Nach insgesamt vier Wochen hatte ich den wunderschönsten Shopper auf diesem Planeten genäht. Und ich hatte ja diese Schablone. Da ich schon mal dabei war, begann ich eine Fließbandproduktion. Jetzt hatte ich ja den Dreh raus. Nachdem ich inzwischen ein sehr guter Kunde eines Stoff-Online-Shops war und Stoffe in allen möglichen Farben und Varianten nebst Futter besorgt hatte, entstanden weitere zehn Shopper. Jeder anders, jeder raffinierter.
Wenn ich - auch so ein Fimmel von mir - in der City war und jedes Mal einen anderen Shopper dabei hatte, wurde ich oft von wildfremden Menschen gefragt, wo ich denn diese coole Tasche gekauft hätte. Einmal wurde mir sogar von einem Handtaschengeschäft angeboten, für sie als Auftragsarbeit Shopper anzufertigen. Doch ich lehnte dankend ab. Alles Unikate und unbezahlbar.

Schade nur, dass man keine Filofaxe nähen kann.


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