kirschblütenzeit (vorher: frühling)

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leonie
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Beitragvon leonie » 17.03.2007, 12:53

kirschblütenzeit

als könne ich
dich
jetzt sehen

dein vertrauen
die dünne gestalt

bevor
das lächeln
abhanden kommt
das blitzblau
erblasst

unter der last
ihrer auftragenden liebe
(die sich selber meint)

bevor
du den worten
nicht mehr glaubst
und nicht
dem blühen

und alle sagen
und du schließlich denkst
du seist
eine sonnenblume

Geändert vor allem nach Vorschlägen von Niko. Danke!


Erstfassung:

frühling

kirschblüte
und mir ist
als könne ich
dich
jetzt sehen

dein vertrauen
die dünne gestalt

bevor
dein lächeln
abhanden kommt
und das blitzblau
erblasst

unter der last
ihrer auftragenden liebe
(die sich selber meint)

ich sehe
den kirschzweig
und dich

bevor
du den worten
nicht mehr glaubst
und auch nicht
dem blühen

und alle sagen
und du schließlich denkst
du seist
eine sonnenblume
Zuletzt geändert von leonie am 18.03.2007, 11:30, insgesamt 1-mal geändert.

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noel
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Beitragvon noel » 17.03.2007, 17:26

mich irritiert die überschrift
denn ich fühle ein kind
das durch die "auftragende" liebe (feiner wortsinn dahinter, gut gelöst)
sich selber beraubt wird, sich selbst als andere, als sonnenblume sieht
wobei ich erst dachte es war ein mutteralphatier
das mit der
unter der last
ihrer auftragenden liebe
(die sich selber meint)

dann kam der pluralis
und alle sagen
und du schließlich denkst

aber ich sehe einfach das erste las ursache & den plural
spätfolge oder wirkung
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

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leonie
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Beitragvon leonie » 17.03.2007, 21:29

Liebe noel,

vielen Dank für Deine Rückmeldung. Ich denke noch über eine andere Überschrift nach, vielleicht "entfremdet" oder etwas in der Richtung.
Das "ihrer auftragenden liebe" habe ich absichtlich so offen formuliert, vielleicht ist es sinnvoll, das am schluss auch so zu machen. Ich überlege noch mal dran.

Danke Dir uns liebe Grüße

leonie

Klara
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Beitragvon Klara » 17.03.2007, 21:36

Hallo,

interessiert mich, aber ich würde gern mehr verstehen.

das "ihr" und das "du" bleibt mir ebenso verschlossen wie die bedeutung von kirschblüte und sonne. kirschblüte ist frühling, sonnenblume ist sommer, ja? der frühling überschätzt sich? wer ist es? wer sind sie, die alle sagen, du seist eine sonnenblume? wer bist du? und wer spricht?

oder ist es einfach eine verkappte ansprache an den sommer, durch die Blume des frühlings: du wäre der sommer?

rätselrätselrätsel

lg
klara

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leonie
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Beitragvon leonie » 17.03.2007, 22:20

Liebe Klara,

danke für die Rückmeldung. Hm, das Erklären, also es geht in noels Richtung: Es geht um eine Entfremdung des lyrDu von sich selbst, ein Sich-Abhanden-Kommen, ausgelöst durch eine "Liebe", die zugleich ein Auftrag ist, nämlich Sonnenblume (für mich Sonnenschein, Heiterkeit, Robustheit etc.) zu sein. Den erfüllt das lyrDu sehr glaubwürdig (deshlab denken das dann auch alle).

Kirschblüte erinnert eher an eine ursprüngliche Zartheit und Verletzlichkeit, vielleicht auch Schönheit, die das lyrDu in sich hat(te), an die es aber nicht mehr glaubt.

Vielleicht wird es so ein wenig deutlicher.

Liebe Grüße

leonie

Klara
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Beitragvon Klara » 18.03.2007, 08:22

Ja, danke, Leonie, ist klarer.
Ist sehr schön.
Vielleicht ist da ein Bruch, weil Kirschblüte ein anderer Zustand ist als Sonnenblume (der reife Zustand der Kirschblüte wäre ja die Kirsche), und zu der kann es nicht kommen, wegen der raumgreifenden Sonnenblume, sozusagen. Die nur für die anderen wächst, und sich nicht selbst schmeckt.

Hm, verzeih meinen Bilderbruch.
Interessanter Ansatz jedenfalls.

lg
Klara
EDIT Titel passt so trotzdem nicht. Eher vielleicht "Zeit der Kirschblüte", "Wenn die Kirschen blühen" oder "Frühling trägt auf" oder irgendwas etwas weniger Beliebiges?

Niko

Beitragvon Niko » 18.03.2007, 10:24

hallo leonie!
deine gedichte sind immer sehr lesenswert. das will ich dir schonmal vorweg sagen. du hast deinen ganz dir eigenen stil, der dich unverwechselbar macht in der hiesigen schreibszene.
naja..genug gesülzt... :pfeifen:

frühling

kirschblüte

du betitelst dein werk mit "frühling" ok......dann knallst du mir die kirschblüte ansatzlos vor den kopf. das wirkt also. aber die krischblüte treibt mich gleich gedanklich nach japan. das ist so. kirschblüten - da sooft bemüht- haben zwangsläufig diese assoziation. auch wenn es im mai ja im ruhrgebiet auch ein kirschblütenfest geben soll. vielleicht gibts da geishas mit kimonos und ziselierten fächern *g. man kann natürlich die deutsche kirsche nicht verdammen, weil die japaner kulturell so sehr mit der kirschblüte umgehen, aber eine andere blüte würde deinem gedicht nicht schaden und nicht gleich in eine ungewollte richtung zerren.
naja......weiter:

und mir ist
als könne ich
dich
jetzt sehen


das "und" halte ich für entbehrlich. nachdem du mir die kirschblüte dermaßen vor den kopf geknallt hast, ist jeder weitere übergang fließend. ein und ist nach diesem wort schon nahezu zu lieblich. vielleicht sogar - ganz verwegen - das ganze "und mir ist" streichen. nur mal so als idee.

dein vertrauen
die dünne gestalt

das wiederum mag ich sehr. ist der liebste dünn? oder das vertrauen? ich mag sowas!

bevor
dein lächeln
abhanden kommt
und das blitzblau
erblasst


auch hier halte ich das "und" für entbehrlich. ich finde, das blitzblau bekäme dadurch etwas mehr gewicht. vielleicht "dein lächeln" durch "das lächeln" ersetzen? würde sinn machen, glaube ich, das lächeln der eindeutigen zugehörigkeit zu berauben.

unter der last
ihrer auftragenden liebe
(die sich selber meint)


bei aufgetragenen denke ich an second-handkleidung. ich kenne den begriff als "schonmal getragenes (abgenutztes) weitertragen. auch habe ich die assoziation zu "aufgesetzt". gefällt mir. in der klammer, die ich hier absolut gut gesetzt finde, würde ich entgegen meiner sonstigen gepflogenheiten ein wort einfügen "nur". (die nur sich selber meint). oder heißt es: sich selbst?? aber nu..

ich sehe
den kirschzweig
und dich


ich frage mich, ob dies nicht gänzlich streichbar ist. denn du beschreibst ja bis dahin genau das.

bevor
du den worten
nicht mehr glaubst
und auch nicht
dem blühen


ich persönlich hätte das "auch" gestrichen. aber das ist glaube isch einfach stil-sache...

und alle sagen
und du schließlich denkst
du seist
eine sonnenblume


vielleicht das erste "und" weg? wäre seiest nicht korrekt?

somit wäre meine variante folgende (die kirschblüte erstmal belassend):

frühling

kirschblüte

als könne ich
dich
jetzt sehen

dein vertrauen
die dünne gestalt

bevor
das lächeln
abhanden kommt
das blitzblau
erblasst

unter der last
ihrer auftragenden liebe
(die sich nur selber meint)

bevor
du den worten
nicht mehr glaubst
und nicht
dem blühen

alle sagen
und du schließlich denkst
du seist
eine sonnenblume

ich hoffe, du nimmst mir meine schnippseleien nicht krumm. es ist ein guter text. und dein stil ist ein anderer. es sind nur gedankenanregungen. mehr nicht!
lieben gruß in den sonntag: Niko

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leonie
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Beitragvon leonie » 18.03.2007, 11:28

Liebe Klara,

danke Dir nochmal, ich ändere auf jeden Fall den Titel, versuche es aber ersteinmal mit "kirschblütenzeit" und lasse die erste Zeile dann weg.

Lieber Niko,

vielen Dank. Natürlich habe ich mich (heimlich) über das "Gesülze" ein klein wenig gefreut :blume0028:

Aber ebenso über Deine Kritik, die ich als sehr hilfreich und konstruktiv empfinde! Ganz viel möchte ich übernehmen, vor allem die Kürzungen.

Bei dem "nur" bin ich mir noch nciht sicher, das überlege ich noch.
Und mir scheint, in der letzten Strophe brauche ich beide "und" aus inhaltlichen Gründen, weil sie eine zeitliche Abfolge beinhalten.

Dir vielen Dank für die intensive Beschäftigung mit dem Text, krumm nehme ich Dir da gar nichts!

Liebe Grüße

leonie

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 18.03.2007, 11:53

Liebe Leonie,

der Gedanke von der "auftragenden Liebe, die sich selber meint" ist gut. Das bringt mch zum Nachdenken.

Grüße

Paul

Gast

Beitragvon Gast » 18.03.2007, 13:43

Liebe leonie,

GeRdanken nur, ;-) doch habe ich mich, eigenes Verhalten reflektierend mit dem, von dir aufgegriffenen Thema, einmal vor längerer Zeit, wie folgt beschäftigt:

"Liebe ich"? (Eine Person)
"Liebe ich jene um ihrer selbst willen"?
"Liebe ich nicht eher (ganz egozentrisch) das Gefühl, was jene Person in mir auslösen kann"?
oder
Ist "Liebesgefühl" (unabhängig von einer bestimmten Person) ein "Wohlgefühl" das in mir auslöst, was ich liebe ...
(Das letzte ist schon auch ein wenig provozierend, nicht persönlich sondern für alle, die es interessiert als u überdenkende Möglichkeit gedacht)
Ich habe für mich etwas herausgefunden, was ich jetzt, da zu abschweifend und persönlich, hier nicht einflechten kann und will.
Paul sprach vom "Nachdenken", und ich glaube in die von mir hier beschriebenen Richtung könnte das Nachdenken gehen.

leonie hat geschrieben:unter der last
ihrer auftragenden liebe
(die sich selber meint)


Diese Stelle ist der Schlüssel zur Interpretation deines Gedichtes.
Du hast sie poetisch gut eingekleidet. Ich hatte zunächst mit den Blumenbildern meine liebe Not, weil ich eher an ein Kind gedacht hatte, dass schnell reifen muss ... aber dann hättest du im Bild der Kirsche bleiben können.
Gern gelesen.

Liebe Sonntagsgrüße
Gerda

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Beitragvon leonie » 18.03.2007, 20:39

Lieber Paul Ost,

danke! Das freut mich!

Liebe Gerda,

ja, genau, wenn es solche Fragen zum Nachdenken anreißt, dann freut mich das sehr. Danke Dir!

Liebe Grüße

leonie


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