Mutella
Verfasst: 12.01.2010, 07:10
Mutella
Wir lagen auf den Yogamatten im Trainingsraum der Volkshochschule Simmering. Der Schweiß von Generationen hing in der Luft. Der Atemlehrer durchschritt den Saal, seine grauen Skisocken waren gestopft. Jeweils an den Fersen und Zehen. Er schnaufte, um uns zu animieren. „Tief und ohne Pause ein und aus ...“
Mindestens eine Stunde sollten wir zehn atmen, um innere Prozesse auszulösen. „Aber nicht in irgendein Drama flüchten“, mahnte er, „ausweichen gilt nicht.“ Ich blinzelte und sah, dass er mit dem Finger drohte. Schnell schloss ich die Augen wieder, hörte, wie er den CD-Player fütterte. Ach nein, dachte ich, als die rockigen Rhythmen von Prof. Trance erklangen. Warum konnte er denn nicht einmal etwas Sanfteres auflegen? Nach Abschluss meiner Ausbildung werde ich die Klienten mit zärtlichen Tönen begleiten, das schwor ich mir.
„Tief ein und aus ... ein und aus ...“
Bei „Tief ein“ versank ich in meine eigene Hölle. Iris, die Frau neben mir, holte mich da sofort wieder aus. Sie schrie „Muuutella!“ Nur das eine Wort.
Ich öffnete die Augen, sie schlug mit den Beinen auf die übelriechende Matte, riss an ihren Haaren, wand sich. Wehrte sich gegen eine unsichtbare Macht, der sie unablässig: „Muuutella“ entgegenbrüllte. Unser Atemlehrer kniete sich zu ihr. „Ja, lass es nur raus, Baby, weiter so“, sagte er. Sein Blick traf mich und als er bemerkte, dass ich eh aus meinem Atem rausgeflogen war, deutete er mir, ihm zu helfen. Ich kroch hinüber, streichelte den Kopf der Geplagten. „Muuutella“, heulte Iris heiser, das Haar ebenso klatschnass wie das Shirt. Plötzlich krümmte sie sich zusammen, „Muuutella“ knirschte sie zwischen den Zähnen. Allmählich löste sich der Krampf aus ihren Muskeln und sie erschlaffte.
„Papa weg.“ Es schüttelte sie. „Papa nie da.“ Sie atmete tief aus. „Mama nicht gut.“
Der Atemlehrer atmete ihr vor.
Ich hielt ihre Hand fest und atmete ein. Ich soff fast ab in den alten Bildern, sah mir zu, wie ich mich im schmuddeligen Trikotleibchen durch die aufgetürmten Kartons drängte. Einmal stieß ich gegen einen der Türme. Er brach über mir zusammen. Drin war einfach nur Schrott.
„Meine Mama war schwer depressiv“, weinte ich.
„Zwischen den Klamotten und ihren Schminksachen gab es nur einen schmalen Weg zur Küche ...“, sagte Iris und umklammerte meinen Schenkel.
„... zum Bad und dem Klo“, fügte ich hinzu. „Zu essen gabs Nutella.“
Sie lachte. „Genau.“
„Das gibt Kraft“, sagte ich, „für den Mut.“
Iris klappte die Augen auf.
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Wir lagen auf den Yogamatten im Trainingsraum der Volkshochschule Simmering. Der Schweiß von Generationen hing in der Luft. Der Atemlehrer durchschritt den Saal, seine grauen Skisocken waren gestopft. Jeweils an den Fersen und Zehen. Er schnaufte, um uns zu animieren. „Tief und ohne Pause ein und aus ...“
Mindestens eine Stunde sollten wir zehn atmen, um innere Prozesse auszulösen. „Aber nicht in irgendein Drama flüchten“, mahnte er, „ausweichen gilt nicht.“ Ich blinzelte und sah, dass er mit dem Finger drohte. Schnell schloss ich die Augen wieder, hörte, wie er den CD-Player fütterte. Ach nein, dachte ich, als die rockigen Rhythmen von Prof. Trance erklangen. Warum konnte er denn nicht einmal etwas Sanfteres auflegen? Nach Abschluss meiner Ausbildung werde ich die Klienten mit zärtlichen Tönen begleiten, das schwor ich mir.
„Tief ein und aus ... ein und aus ...“
Bei „Tief ein“ versank ich in meine eigene Hölle. Iris, die Frau neben mir, holte mich da sofort wieder aus. Sie schrie „Muuutella!“ Nur das eine Wort.
Ich öffnete die Augen, sie schlug mit den Beinen auf die übelriechende Matte, riss an ihren Haaren, wand sich. Wehrte sich gegen eine unsichtbare Macht, der sie unablässig: „Muuutella“ entgegenbrüllte. Unser Atemlehrer kniete sich zu ihr. „Ja, lass es nur raus, Baby, weiter so“, sagte er. Sein Blick traf mich und als er bemerkte, dass ich eh aus meinem Atem rausgeflogen war, deutete er mir, ihm zu helfen. Ich kroch hinüber, streichelte den Kopf der Geplagten. „Muuutella“, heulte Iris heiser, das Haar ebenso klatschnass wie das Shirt. Plötzlich krümmte sie sich zusammen, „Muuutella“ knirschte sie zwischen den Zähnen. Allmählich löste sich der Krampf aus ihren Muskeln und sie erschlaffte.
„Papa weg.“ Es schüttelte sie. „Papa nie da.“ Sie atmete tief aus. „Mama nicht gut.“
Der Atemlehrer atmete ihr vor.
Ich hielt ihre Hand fest und atmete ein. Ich soff fast ab in den alten Bildern, sah mir zu, wie ich mich im schmuddeligen Trikotleibchen durch die aufgetürmten Kartons drängte. Einmal stieß ich gegen einen der Türme. Er brach über mir zusammen. Drin war einfach nur Schrott.
„Meine Mama war schwer depressiv“, weinte ich.
„Zwischen den Klamotten und ihren Schminksachen gab es nur einen schmalen Weg zur Küche ...“, sagte Iris und umklammerte meinen Schenkel.
„... zum Bad und dem Klo“, fügte ich hinzu. „Zu essen gabs Nutella.“
Sie lachte. „Genau.“
„Das gibt Kraft“, sagte ich, „für den Mut.“
Iris klappte die Augen auf.
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