Krimikoffer : Karneval der Eitelkeiten
Verfasst: 10.05.2010, 18:00
Karneval der Eitelkeiten
Commissario Giovanni Fabulio hatte bereits seit zwei Tagen äußerst miserable Laune. Er, der selbst äußerst tatkräftig an seinem Image, der Hercule Poirot der Veroneser Polizei zu sein, gearbeitet hatte, stand immer noch vor einem Rätsel. Und alle Anstrengungen seiner kleinen grauen Zellen waren bisher vollkommen vergebens geblieben. Es war geradezu zum Haareraufen, wenn er denn welche gehabt hätte. Denn die glänzende Billardkugel war, wenn man es so wollte, der einzige Schönheitsfehler unseres Adonis alla Veronese.
Die Ursache seiner schlechten Laune war die MMS, die der Commissario vor eben zwei Tagen erhalten hatte. Sie zeigte ein Klavier, auf dem inmitten verschiedener Porzellantierchen ein Glasauge lag, welches den Betrachter in geradezu provozierender Weise anzustarren schien. In der graugrünen Iris spiegelte sich klar erkennbar die Zahl 7. Offensichtlich sollte hier ein sehr rätselhafter Hinweis gegeben werden. Schloss man zudem aus, dass es sich bei der MMS um einen Irrläufer handelte, so musste dieser im Zusammenhang mit einem Verbrechen stehen. Welches noch nicht geschehen war. Natürlich hatte Fabulio dies längst durch seine Assistenten überprüfen lassen. Es gab kein Verbrechen, in dem auch nur einer der gezeigten Gegenstände irgendeine Rolle gespielt hatte. Nicht einmal, wenn man verstecktere Bedeutungen wie Musik, Tierfreund, fanatischer Sammler, Sehbehinderter oder gar Blinder mit in Betracht zog. Es schien, als wolle die Botschaft dem Commissario seine Unfähigkeit, die Zeichen korrekt zu deuten, immer wieder auf’s Neue unter die Nase reiben. Das Auge blickte ihn hämisch an und sagte: Du siehst zwar, aber du erkennst nichts !
Doch Fortuna lächelte. Es war nur ein klitzekleiner Zufall in Kombination mit zwei seiner größten Schwächen. Zum einen die für einen Mann, insbesondere einen italienischen, verständliche Vorliebe für schöne Frauen sowie sein absolut untrügliches Auge für Details. Wären ihm diese braunen Mokassins, die so gar nicht zu dem klassischen, in seriösem Dunkelblau gehaltenen Kostüm der Trägerin passen wollten, auf dem Foto nicht aufgefallen, hätte sich wohl nichts zueinander gefügt. Nur deswegen hatte er den Artikel im Feuilleton der ‚Verona Oggi‘ aufmerksam gelesen und war danach sofort auf der richtigen Fährte gewesen. Den Vice-Questore von einer Sonderkommission zu überzeugen, war eine Kleinigkeit gewesen, denn wenn die Veroneser Polizei im besten Licht dastehen würde, fiel auch für diesen genug vom Ruhm ab.
Daher blickte Giovanni Fabulio jetzt in die erwartungsvollen Gesichter der SoKo „Carnevale“. „Wie ihnen bereits bekannt sein dürfte“, begann der Commissario, „ist mir vor zwei Tagen ein äußerst kryptischer Hinweis auf ein geplantes Verbrechen per MMS zugespielt worden. Ich darf nun allerdings sagen: Dieses Rätsel ist gelöst.“ An dieser Stelle machte er eine kurze Pause und wies seinen Assistenten mit einem Kopfnicken an, über den an das Notebook gekoppelten Beamer die MMS an die große Leinwand zu projizieren, welche nahezu die gesamte Stirnseite des Sitzungsraumes einnahm. „Das gezeigte Klavier sagt uns zunächst, daß wir es mit einer Tat in der Musikszene zu tun bekommen werden. Die sorgsam ausgewählten Porzellantierchen weisen den Weg zum ‚Karneval der Tiere‘ von Camille Saint-Saens. Beide Details im Zusammenhang betrachtet führen uns zum Opfer, Signora Graziella da Vincerò. Die Klaviervirtuosin wird in fünf Tagen ihr Premierenkonzert anläßlich ihres Comebacks mit einer Interpretation dieses Werkes geben. Die sich im Glasauge spiegelnde Sieben ist der Zeitraum, welcher zwischen Zusendung der MMS und der Ausführung der Tat liegt. Und in der graugrünen Farbe der Iris verbirgt sich letztendlich der einzige Hinweis auf den Täter selbst.“
Der Commissario ließ seinen Zuhörern etwas Zeit, um das Gesagte zu verarbeiten. Erst dann sagte er abschließend: „Sie kennen nun alle notwendigen Fakten. Ich brauche wohl niemanden darauf hinzuweisen, daß hier äußerste Diskretion und Verschwiegenheit dringend geboten sind. Lassen sie uns den Täter finden und im Moment der Tat dingfest machen!“.
Und so titelte die ‚Verona Oggi‘ ein paar Tage später: „Selbst ernannter Retter der Musik im letzten Moment gestoppt – Gestern kam es bei der Performance der bekannten Klaviervirtuosin Graziella da Vincerò zu einem aufregenden Zwischenfall. Der offensichtlich geistesgestörte, junge Desiderio Buffone wollte die Künstlerin während ihrer eigenwilligen Interpretation von Camille Saint-Saens ‚Karneval der Tiere‘ öffentlich henken. Das dazu notwendige Seil hatte der Täter im Rüssel der Elefantenfigur versteckt. Dieser sollte sich im Rahmen der Darbietung ja um den Hals der Künstlerin legen und damit zugleich die Schlinge, welche der junge Bühnenarbeiter dann rasch zuziehen wollte. Aufgrund der hervorragenden Vorermittlungen unter Leitung des bekannten Commissario Giovanni Fabulio war die Veroneser Polizei aber bereits vor Ort, um dem Täter rechtzeitig in den Arm zu fallen. Denn Buffone hatte sich vorher per MMS bei Fabulio gemeldet, um ihm seine Tat anzukündigen. Der Commissario bemerkte dazu bescheiden, daß Hochmut bekanntlich vor dem Fall komme und der junge Mann offensichtlich seine Kombinationsfähigkeiten unterschätzt habe. Angesichts der klaren Beweise wirkt es seltsam lächerlich, daß Buffone nach wie vor bestreitet, die Tat überhaupt geplant und die MMS an Fabulio geschickt zu haben. Das Seil sei lediglich als Notbehelf bei einem Ausfall der elektrischen Technik im Elefantenrüssel gedacht gewesen und wie die Schlinge dort hineingekommen sei, wisse er ebenfalls nicht zu sagen.“ Das zugehörige Foto zeigte einen vollkommen verstörten jungen Mann, dessen graugrüne Augen unsicher in die Kamera blickten.
Giovanni Fabulio lächelte sein Spiegelbild gewinnend an. Natürlich würde er den obersten Knopf des Hemdes offenlassen und auch die Krawatte ein wenig nachlässig binden. Der unwiderstehlichen Wirkung dieser zur Schau getragenen Lässigkeit auf Graziella da Vincerò war er sich gewiß. Es versprach ein äußerst interessanter Abend zu werden. Und ihm war die Rolle des Retters schöner Frauen ohnehin bedeutend lieber. Er trug übrigens Mokassins, wie eine Anspielung auf ein kleines Detail, das er hier und da verschwiegen hatte.
Zur selben Zeit warf auch Graziella prüfend einen letzten Blick auf ihre Abendgarderobe. Gerade eben hatte sich ihr Agent noch rasch per Handy gemeldet. Die MMS zeigte ihn mit hochgereckten Daumen. Die nächsten drei Vorstellungen waren restlos ausverkauft. Und der Veranstalter hatte schon jetzt nach einer möglichen Verlängerung gefragt. Eine äußerst positive Entwicklung. Die Abfrage, ob alle gespeicherten Bildnachrichten gelöscht werden sollten, beantwortete sie still in sich hinein lächelnd mit Ja. Dann schlüpfte sie rasch in die schwarzen Pumps, welche perfekt zu ihrem dunkelblauen Kostüm passten. Sie wollte den Commissario ja nicht verführen und hatte sich daher für dieses eher zurückhaltende, klassische Outfit entschieden. „Und du passt auf, während ich fort bin, nicht wahr ?“, sagte Graziella lächelnd zu Lodovico, wie sie die lebensgroße Figur des verwegenen Piraten getauft hatte, über dessen Arm ihre Handtasche hing. „Naturelmente, cara mia“, schien sein graugrüner Blick mit einem kleinen Zwinkern zu sagen.
© 2010 HF
Commissario Giovanni Fabulio hatte bereits seit zwei Tagen äußerst miserable Laune. Er, der selbst äußerst tatkräftig an seinem Image, der Hercule Poirot der Veroneser Polizei zu sein, gearbeitet hatte, stand immer noch vor einem Rätsel. Und alle Anstrengungen seiner kleinen grauen Zellen waren bisher vollkommen vergebens geblieben. Es war geradezu zum Haareraufen, wenn er denn welche gehabt hätte. Denn die glänzende Billardkugel war, wenn man es so wollte, der einzige Schönheitsfehler unseres Adonis alla Veronese.
Die Ursache seiner schlechten Laune war die MMS, die der Commissario vor eben zwei Tagen erhalten hatte. Sie zeigte ein Klavier, auf dem inmitten verschiedener Porzellantierchen ein Glasauge lag, welches den Betrachter in geradezu provozierender Weise anzustarren schien. In der graugrünen Iris spiegelte sich klar erkennbar die Zahl 7. Offensichtlich sollte hier ein sehr rätselhafter Hinweis gegeben werden. Schloss man zudem aus, dass es sich bei der MMS um einen Irrläufer handelte, so musste dieser im Zusammenhang mit einem Verbrechen stehen. Welches noch nicht geschehen war. Natürlich hatte Fabulio dies längst durch seine Assistenten überprüfen lassen. Es gab kein Verbrechen, in dem auch nur einer der gezeigten Gegenstände irgendeine Rolle gespielt hatte. Nicht einmal, wenn man verstecktere Bedeutungen wie Musik, Tierfreund, fanatischer Sammler, Sehbehinderter oder gar Blinder mit in Betracht zog. Es schien, als wolle die Botschaft dem Commissario seine Unfähigkeit, die Zeichen korrekt zu deuten, immer wieder auf’s Neue unter die Nase reiben. Das Auge blickte ihn hämisch an und sagte: Du siehst zwar, aber du erkennst nichts !
Doch Fortuna lächelte. Es war nur ein klitzekleiner Zufall in Kombination mit zwei seiner größten Schwächen. Zum einen die für einen Mann, insbesondere einen italienischen, verständliche Vorliebe für schöne Frauen sowie sein absolut untrügliches Auge für Details. Wären ihm diese braunen Mokassins, die so gar nicht zu dem klassischen, in seriösem Dunkelblau gehaltenen Kostüm der Trägerin passen wollten, auf dem Foto nicht aufgefallen, hätte sich wohl nichts zueinander gefügt. Nur deswegen hatte er den Artikel im Feuilleton der ‚Verona Oggi‘ aufmerksam gelesen und war danach sofort auf der richtigen Fährte gewesen. Den Vice-Questore von einer Sonderkommission zu überzeugen, war eine Kleinigkeit gewesen, denn wenn die Veroneser Polizei im besten Licht dastehen würde, fiel auch für diesen genug vom Ruhm ab.
Daher blickte Giovanni Fabulio jetzt in die erwartungsvollen Gesichter der SoKo „Carnevale“. „Wie ihnen bereits bekannt sein dürfte“, begann der Commissario, „ist mir vor zwei Tagen ein äußerst kryptischer Hinweis auf ein geplantes Verbrechen per MMS zugespielt worden. Ich darf nun allerdings sagen: Dieses Rätsel ist gelöst.“ An dieser Stelle machte er eine kurze Pause und wies seinen Assistenten mit einem Kopfnicken an, über den an das Notebook gekoppelten Beamer die MMS an die große Leinwand zu projizieren, welche nahezu die gesamte Stirnseite des Sitzungsraumes einnahm. „Das gezeigte Klavier sagt uns zunächst, daß wir es mit einer Tat in der Musikszene zu tun bekommen werden. Die sorgsam ausgewählten Porzellantierchen weisen den Weg zum ‚Karneval der Tiere‘ von Camille Saint-Saens. Beide Details im Zusammenhang betrachtet führen uns zum Opfer, Signora Graziella da Vincerò. Die Klaviervirtuosin wird in fünf Tagen ihr Premierenkonzert anläßlich ihres Comebacks mit einer Interpretation dieses Werkes geben. Die sich im Glasauge spiegelnde Sieben ist der Zeitraum, welcher zwischen Zusendung der MMS und der Ausführung der Tat liegt. Und in der graugrünen Farbe der Iris verbirgt sich letztendlich der einzige Hinweis auf den Täter selbst.“
Der Commissario ließ seinen Zuhörern etwas Zeit, um das Gesagte zu verarbeiten. Erst dann sagte er abschließend: „Sie kennen nun alle notwendigen Fakten. Ich brauche wohl niemanden darauf hinzuweisen, daß hier äußerste Diskretion und Verschwiegenheit dringend geboten sind. Lassen sie uns den Täter finden und im Moment der Tat dingfest machen!“.
Und so titelte die ‚Verona Oggi‘ ein paar Tage später: „Selbst ernannter Retter der Musik im letzten Moment gestoppt – Gestern kam es bei der Performance der bekannten Klaviervirtuosin Graziella da Vincerò zu einem aufregenden Zwischenfall. Der offensichtlich geistesgestörte, junge Desiderio Buffone wollte die Künstlerin während ihrer eigenwilligen Interpretation von Camille Saint-Saens ‚Karneval der Tiere‘ öffentlich henken. Das dazu notwendige Seil hatte der Täter im Rüssel der Elefantenfigur versteckt. Dieser sollte sich im Rahmen der Darbietung ja um den Hals der Künstlerin legen und damit zugleich die Schlinge, welche der junge Bühnenarbeiter dann rasch zuziehen wollte. Aufgrund der hervorragenden Vorermittlungen unter Leitung des bekannten Commissario Giovanni Fabulio war die Veroneser Polizei aber bereits vor Ort, um dem Täter rechtzeitig in den Arm zu fallen. Denn Buffone hatte sich vorher per MMS bei Fabulio gemeldet, um ihm seine Tat anzukündigen. Der Commissario bemerkte dazu bescheiden, daß Hochmut bekanntlich vor dem Fall komme und der junge Mann offensichtlich seine Kombinationsfähigkeiten unterschätzt habe. Angesichts der klaren Beweise wirkt es seltsam lächerlich, daß Buffone nach wie vor bestreitet, die Tat überhaupt geplant und die MMS an Fabulio geschickt zu haben. Das Seil sei lediglich als Notbehelf bei einem Ausfall der elektrischen Technik im Elefantenrüssel gedacht gewesen und wie die Schlinge dort hineingekommen sei, wisse er ebenfalls nicht zu sagen.“ Das zugehörige Foto zeigte einen vollkommen verstörten jungen Mann, dessen graugrüne Augen unsicher in die Kamera blickten.
Giovanni Fabulio lächelte sein Spiegelbild gewinnend an. Natürlich würde er den obersten Knopf des Hemdes offenlassen und auch die Krawatte ein wenig nachlässig binden. Der unwiderstehlichen Wirkung dieser zur Schau getragenen Lässigkeit auf Graziella da Vincerò war er sich gewiß. Es versprach ein äußerst interessanter Abend zu werden. Und ihm war die Rolle des Retters schöner Frauen ohnehin bedeutend lieber. Er trug übrigens Mokassins, wie eine Anspielung auf ein kleines Detail, das er hier und da verschwiegen hatte.
Zur selben Zeit warf auch Graziella prüfend einen letzten Blick auf ihre Abendgarderobe. Gerade eben hatte sich ihr Agent noch rasch per Handy gemeldet. Die MMS zeigte ihn mit hochgereckten Daumen. Die nächsten drei Vorstellungen waren restlos ausverkauft. Und der Veranstalter hatte schon jetzt nach einer möglichen Verlängerung gefragt. Eine äußerst positive Entwicklung. Die Abfrage, ob alle gespeicherten Bildnachrichten gelöscht werden sollten, beantwortete sie still in sich hinein lächelnd mit Ja. Dann schlüpfte sie rasch in die schwarzen Pumps, welche perfekt zu ihrem dunkelblauen Kostüm passten. Sie wollte den Commissario ja nicht verführen und hatte sich daher für dieses eher zurückhaltende, klassische Outfit entschieden. „Und du passt auf, während ich fort bin, nicht wahr ?“, sagte Graziella lächelnd zu Lodovico, wie sie die lebensgroße Figur des verwegenen Piraten getauft hatte, über dessen Arm ihre Handtasche hing. „Naturelmente, cara mia“, schien sein graugrüner Blick mit einem kleinen Zwinkern zu sagen.
© 2010 HF