Krimikoffer: Die schöne Helena
Verfasst: 19.05.2010, 22:01
ist aber kein richtiger krimi!
Als ich am frühen Morgen die Porzellantierchen auf dem Klavier abstaubte, fiepte mein Handy. Eine MMS war eingelangt. Nichtsahnend öffnete ich sie, der Absender war mir unbekannt. Meine Zähne schlugen aufeinander, ich öffnete die Eingangstür und wirklich, auf der Fußmatte lag das Glasauge mit blauer Iris, genau wie in der MMS, und glotzte mich an!
Ich holte es herein und legte es zwischen die Tierchen, spielte ein Allegro von Rachmaninoff mit solcher Vehemenz, dass ich mir den Finger verstauchte. Das Glasauge sah stoisch zu. Es hatte gut starren! Ich sollte ja ein Seil besorgen und den Nachbarn aufknüpfen! Im Fall einer Verweigerung würde man mich an die Fische verfüttern. Das Glasauge mit eingebauter Kamera werde meine Tat dokumentieren. Ich lächelte es an, nur keine Schwäche zeigen! Dann steckte ich es in die Tasche und ging nach draußen, um das Seil einzukaufen. Aber erst nachdenken. Zu dem Zweck suchte ich das Kaffee an der Ecke auf. Ich musste mich wahnsinnig beherrschen, nicht aufzuschreien und Fersengeld zu geben, denn an einem Fenstertisch saß Egon, der todgeweihte Nachbar. Er winkte mir freundlich zu. Ich nickte und setzte mich ans andere Ende des Lokals.
Was hatte er nur verbrochen? Wofür musste er hängen? Und warum war ich der Vollstrecker? Ich nahm zehn Löffel Zucker und rührte sie in den Kaffee. Offenbar hatte ich Egon zu lange angestarrt, denn er kam an meinen Tisch.
„Ist etwas, Klaus?“, fragte er freundlich.
Ich trank mit einem Schluck die picksüße Brühe. „I wo, war nur in Gedanken.“ Das Glasauge drückte sich in meinen Oberschenkel. „Und wie geht’s dir?“, fragte ich.
Egon setzte sich zu mir. „Schlecht.“
Aha. Er ahnte wohl etwas, dachte ich, aber er fuhr fort, „Du musst mir helfen. Ich habe heute eine MMS erhalten, die mir befahl, dich an deinem Luster aufzuknüpfen. Dann lag ein Glasauge mit integrierter Kamera vor der Tür, mit dem ich den Vorgang festhalten soll. Weigere ich mich, werde ich in einen Betonfuß gesteckt und in den Fluss geworfen.“
Ich war fassungslos. Da erlaubte sich jemand einen blöden Witz mit uns! „Wer verlangt das, Egon?“
Er zog die Augenbrauen hoch. Dann erzählte ich ihm meine Geschichte. Wir begannen, Cognac zu süffeln, schrieben eine Liste sämtlicher Menschen auf, die jeder von uns kannte und verglichen sie. Und tatsächlich, ein Name blieb übrig: Helena.
„Du kennst Helena?“ Ich war erstaunt. Egon war nicht gerade ein Adonis, wieso kannte er diese rasend schöne, göttlich gebaute Frau? Helena war immer noch der Traum meiner Nächte, allerdings mittlerweile der Albtraum, denn sie hatte sich nach der ersten Verliebtheit zu einer Bestie entpuppt. Raffgierig, geradezu blutsaugerisch, forderte sie die Erfüllung ihrer materiellen Wünsche, ließ mich nicht an sich ran, ehe diese Handtasche, jenes Kostüm in ihren Krallen war. Als ich hoch verschuldet war, nichts mehr von meinem Konto erhielt, ging sie.
Zu Egon, wie ich jetzt erfuhr.
„Wieso habe ich sie nie kommen und gehen sehen?“
„Ich habe ihr ein Appartement gemietet, meine Wohnung fand sie schauerlich“, antwortete er.
Meine Zunge tat sich nach dem sechsten Cognac schwer, langsam formulierte ich: „Warum sollte sie unseren Tod wollen?“, ich spürte, wie sich in meinem Gehirn ein Doppelknoten bildete, „wie kann ich dich aufknüpfen, wenn ich schon tot bin? Und du mich, wenn du baumelst?“
Wir lachten uns schief in unserer Verzweiflung. Die beiden Glasaugen auf dem Tisch schauten uns dabei zu, was uns zur Räson brachte.
„Also“, wiederholte Egon meine Frage, „warum macht Helena das mit uns?“
Beim achten Cognac kam mir ein Verdacht. „Mir ist nur die Lebensversicherung geblieben, die ich zur ihren Gunsten nach dem Rausch einer Liebesnacht abgeschlossen habe“, lallte ich.
„Lebensversicherung!“ Egons Stimme überschlug sich. „Das ist es! Ich hab das ja auch getan, verdammter Mist.“
„Bringt einer von uns den anderen um, kassiert sie zumindest eine der Versicherungen.“
Nach der Erkenntnis tranken wir schweigend Nummer neun.
Irgendwann meinte Egon: „Und der andere geht lebenslänglich ins Gefängnis.“
„Zwei auf einen Streich“, lachte ich hysterisch die Glasaugen an. In dem Moment wurde mir übel, ich krallte meine Hand in Egons Ärmel, stotterte, „und jetzt weiß sie, dass wir wissen.“
In Havanna latschen Egon und ich das ganze Jahr sockenlos in Mokassins herum. Wir haben die Lebensversicherungen damals belehnen lassen und sind mit der Summe hierher ausgewandert. Egon hat eine Bar gepachtet und ich spiele dort Klavier. Nein, keinen Rachmaninoff. Den Kredit haben wir längst zurückgezahlt, das freigewordene Kapital in eine Villa am Meer gesteckt. Helena wird sich vor Wut in den Hintern gebissen haben, als sie das Foto von unserer Vermählungsparty aus dem Postkasten geholt hat. Wir beide in weißen Anzügen, die Borsalinos schwenkend.
Als ich am frühen Morgen die Porzellantierchen auf dem Klavier abstaubte, fiepte mein Handy. Eine MMS war eingelangt. Nichtsahnend öffnete ich sie, der Absender war mir unbekannt. Meine Zähne schlugen aufeinander, ich öffnete die Eingangstür und wirklich, auf der Fußmatte lag das Glasauge mit blauer Iris, genau wie in der MMS, und glotzte mich an!
Ich holte es herein und legte es zwischen die Tierchen, spielte ein Allegro von Rachmaninoff mit solcher Vehemenz, dass ich mir den Finger verstauchte. Das Glasauge sah stoisch zu. Es hatte gut starren! Ich sollte ja ein Seil besorgen und den Nachbarn aufknüpfen! Im Fall einer Verweigerung würde man mich an die Fische verfüttern. Das Glasauge mit eingebauter Kamera werde meine Tat dokumentieren. Ich lächelte es an, nur keine Schwäche zeigen! Dann steckte ich es in die Tasche und ging nach draußen, um das Seil einzukaufen. Aber erst nachdenken. Zu dem Zweck suchte ich das Kaffee an der Ecke auf. Ich musste mich wahnsinnig beherrschen, nicht aufzuschreien und Fersengeld zu geben, denn an einem Fenstertisch saß Egon, der todgeweihte Nachbar. Er winkte mir freundlich zu. Ich nickte und setzte mich ans andere Ende des Lokals.
Was hatte er nur verbrochen? Wofür musste er hängen? Und warum war ich der Vollstrecker? Ich nahm zehn Löffel Zucker und rührte sie in den Kaffee. Offenbar hatte ich Egon zu lange angestarrt, denn er kam an meinen Tisch.
„Ist etwas, Klaus?“, fragte er freundlich.
Ich trank mit einem Schluck die picksüße Brühe. „I wo, war nur in Gedanken.“ Das Glasauge drückte sich in meinen Oberschenkel. „Und wie geht’s dir?“, fragte ich.
Egon setzte sich zu mir. „Schlecht.“
Aha. Er ahnte wohl etwas, dachte ich, aber er fuhr fort, „Du musst mir helfen. Ich habe heute eine MMS erhalten, die mir befahl, dich an deinem Luster aufzuknüpfen. Dann lag ein Glasauge mit integrierter Kamera vor der Tür, mit dem ich den Vorgang festhalten soll. Weigere ich mich, werde ich in einen Betonfuß gesteckt und in den Fluss geworfen.“
Ich war fassungslos. Da erlaubte sich jemand einen blöden Witz mit uns! „Wer verlangt das, Egon?“
Er zog die Augenbrauen hoch. Dann erzählte ich ihm meine Geschichte. Wir begannen, Cognac zu süffeln, schrieben eine Liste sämtlicher Menschen auf, die jeder von uns kannte und verglichen sie. Und tatsächlich, ein Name blieb übrig: Helena.
„Du kennst Helena?“ Ich war erstaunt. Egon war nicht gerade ein Adonis, wieso kannte er diese rasend schöne, göttlich gebaute Frau? Helena war immer noch der Traum meiner Nächte, allerdings mittlerweile der Albtraum, denn sie hatte sich nach der ersten Verliebtheit zu einer Bestie entpuppt. Raffgierig, geradezu blutsaugerisch, forderte sie die Erfüllung ihrer materiellen Wünsche, ließ mich nicht an sich ran, ehe diese Handtasche, jenes Kostüm in ihren Krallen war. Als ich hoch verschuldet war, nichts mehr von meinem Konto erhielt, ging sie.
Zu Egon, wie ich jetzt erfuhr.
„Wieso habe ich sie nie kommen und gehen sehen?“
„Ich habe ihr ein Appartement gemietet, meine Wohnung fand sie schauerlich“, antwortete er.
Meine Zunge tat sich nach dem sechsten Cognac schwer, langsam formulierte ich: „Warum sollte sie unseren Tod wollen?“, ich spürte, wie sich in meinem Gehirn ein Doppelknoten bildete, „wie kann ich dich aufknüpfen, wenn ich schon tot bin? Und du mich, wenn du baumelst?“
Wir lachten uns schief in unserer Verzweiflung. Die beiden Glasaugen auf dem Tisch schauten uns dabei zu, was uns zur Räson brachte.
„Also“, wiederholte Egon meine Frage, „warum macht Helena das mit uns?“
Beim achten Cognac kam mir ein Verdacht. „Mir ist nur die Lebensversicherung geblieben, die ich zur ihren Gunsten nach dem Rausch einer Liebesnacht abgeschlossen habe“, lallte ich.
„Lebensversicherung!“ Egons Stimme überschlug sich. „Das ist es! Ich hab das ja auch getan, verdammter Mist.“
„Bringt einer von uns den anderen um, kassiert sie zumindest eine der Versicherungen.“
Nach der Erkenntnis tranken wir schweigend Nummer neun.
Irgendwann meinte Egon: „Und der andere geht lebenslänglich ins Gefängnis.“
„Zwei auf einen Streich“, lachte ich hysterisch die Glasaugen an. In dem Moment wurde mir übel, ich krallte meine Hand in Egons Ärmel, stotterte, „und jetzt weiß sie, dass wir wissen.“
In Havanna latschen Egon und ich das ganze Jahr sockenlos in Mokassins herum. Wir haben die Lebensversicherungen damals belehnen lassen und sind mit der Summe hierher ausgewandert. Egon hat eine Bar gepachtet und ich spiele dort Klavier. Nein, keinen Rachmaninoff. Den Kredit haben wir längst zurückgezahlt, das freigewordene Kapital in eine Villa am Meer gesteckt. Helena wird sich vor Wut in den Hintern gebissen haben, als sie das Foto von unserer Vermählungsparty aus dem Postkasten geholt hat. Wir beide in weißen Anzügen, die Borsalinos schwenkend.