WdW: Sandkasten

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.05.2010, 00:02



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- jeden Sonntag ein neues Wort als Musenkuss -
Lyrik, Prosa, Polyphones, Spontanes, Fragmente, Schnipsel, Lockeres, Assoziatives, Experimentelles
- alles zu diesem Wort - keine Kommentare - alles in einem Faden - 7 Tage Zeit -


Hallo in die Runde,

unser neues Wort der Woche lautet:

Sandkasten

Möge dieses Wort euch reichlich inspirieren! ;-)
Ich bin gespannt auf eure Beiträge!

Saludos
Gabriella

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 24.05.2010, 22:46

sandkastenträume (der bajonettcharakter der erwachsenheit)

die erinnerung ist eine rieselei
hinabwärts unter wolken weicher kitzel
das drohen ins herz eingehen lassen können
(das nenn ich mut)

ein ganzes kriegsherr unter der trompete
flennte sich die augen aus

wie ich mich da sitzen seh
rieselts mich ganz schön an


Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

DonKju

Beitragvon DonKju » 25.05.2010, 16:20

doch, ja, ich erinnere mich noch - damals im sandkasten mit ungebändigter schöpferfreude wurden welten erschaffen. mit der schaufel bewehrt zog man los ins geviert und baute die prächtigsten burgen. die wurden dann bemannt mit allen tapferen rittern. manchmal wurden als hilfstruppen auch indianer und cowboys rekrutiert, ging es doch darum, auf jeden fall dem feindlichen ansturm standzuhalten ...

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.05.2010, 00:02

Sandkastenhass

Wenn es regnete, rannte Olaf aus dem Haus und sammelte Regenwürmer. Er warf sie in eine alte, verrostete Sauerkrautdose. Sobald sich zwanzig in der Dose ringelten und die Sonne sich wieder blicken ließ, kam er zum Spielplatz, nicht nur, um uns seine Beute zu zeigen. Olaf hatte abstehende Ohren und ein Mondgesicht. Bevor er sein Schauspiel startete, setzte er einen Fuß auf den Sandkastenrand, schaute grinsend in die Runde. Wenn nicht genug von uns da waren, wartete er eine Weile.

Nachdem alle Nachbarschaftskinder ihn erwartungsvoll anguckten, griff er langsam in die Dose und nahm einen Regenwurm nach dem anderen heraus, legte ihn in den Mund und schluckte das sich windende Viech unzerkaut runter. Alle brüllten vor Begeisterung. Ich schluckte angeekelt, dennoch musste ich zuschauen. Manchmal zerbiss er auch einen und kaute genüsslich. Seine Segelohren wackelten dabei. Um das Ganze noch dramatischer zu gestalten, klemmte er sich ab und zu einen Regenwurm in den Mundwinkel, so dass ein Ende über seinen Lippen zappelte, während er gleichzeitig den Kopf zurücklegte und einen weiteren Wurm der Länge nach in den Rachen fallen ließ.

Während Olaf seine Show abzog, schaute ich zu und ab und zu weg, buddelte stattdessen im Sandkasten. Ich war davon überzeugt, dass er so ein Mondgesicht hatte, weil er ständig Regenwürmer fraß.
Der Sandkasten war mein Lieblingsplatz. Es gab da noch eine metallene Rutsche. Sie sah aus wie ein Drachen, in rot und grün angemalt. Durch das riesige Drachenmaul plumpste man zur Erde. Doch der Sandkasten war mir lieber. Meist setzte ich mich in eine Ecke und baute kleine Burgen um mich herum, erträumte mir meine eigene Welt.

Dann lief etwas schief. Als Olaf mal wieder seine Akrobatennummer mit zwei Regenwürmern präsentierte und den Kopf weit in den Nacken legte, verschluckte er sich heftig. Der zappelnde Wurm fiel auf den Boden und Olaf tat es ihm nach. Er wand sich wie seine Opfer und röchelte. Geschieht ihm Recht, dachte ich grimmig. Doch als er nicht aufhörte und anfing, blau anzulaufen, rannten einige der anderen zu ihm, schlugen Olaf auf den Rücken, bis er endlich anfing zu spucken. Und wie er spuckte. Hunderte von Millimeter-Regenwurm-Stücken spie er in den Sandkasten. Sie verteilten sich überall.

Von diesem Tag an rührte ich keinen Sandkasten mehr an. Ich stellte mir jedes Mal vor, wie Teile der Olaf-Regenwürmer dort wimmelten und in Windeseile nachwuchsen. Wie sie mich umzingelten, in mich hineinkrochen. Beulen sah ich an meinem Körper, die sich nach außen aufblähten, schließlich blutig zerplatzten und tausende von Regenwürmern aus mir herauswuchsen.

Wenn ich heute einen Regenwurm sehe, muss ich an Olaf denken. Bis ans Ende meiner Tage werde ich ihn hassen.


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