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WdW: Abendbrot

Verfasst: 20.06.2010, 14:08
von Mucki


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- jeden Sonntag ein neues Wort als Musenkuss -
Lyrik, Prosa, Polyphones, Spontanes, Fragmente, Schnipsel, Lockeres, Assoziatives, Experimentelles
- alles zu diesem Wort - keine Kommentare - alles in einem Faden - 7 Tage Zeit -


Hallo in die Runde,

unser neues Wort der Woche lautet:

Abendbrot

Möge dieses Wort euch reichlich inspirieren! ;-)
Ich bin gespannt auf eure Beiträge!

Saludos
Gabriella

Verfasst: 24.06.2010, 00:04
von Eule
Abendbrot

Was wäre wenn wir nur
Abends dächten es wäre
Morgen es wäre unser
Allerliebstes es wäre
Genug

Was wäre wenn wir am
Achten dächten es wäre
Der Erste es wäre nur mit
Den Händen und es wäre
Für alle

Was wäre wenn wir zuerst
Ausrechneten wie viel der Tag wohl
Wert ist wie viel ein Lidschlag kostet und
Wieviel noch zu tun wäre.

Verfasst: 24.06.2010, 21:05
von Niko



reich(t)


verzehren uns im abendbrot
schmecken ähren körner und duft

waren wir jemals satt
an tagen wo sich alles vermehrte
fisch gespräche und ja: wir

so genügsam sind wir heute
was wir zu uns nehmen
reicht bis zum nächsten mal

und wenn nicht
backen wir unser brot


.

Verfasst: 24.06.2010, 21:22
von scarlett
unter flammenden kastanien
brennt sich das hungerwort
nur tiefer ein
in die verholzte herzwand

es hätte regnen müssen
aus überreifen garben brot
wachsen in meine einsamkeit
nicht erst im herbst

unter flammenden kastanien
brennt sich wortlos hunger
ein tiefer und tiefer im
quälenden rot


© Monika Kafka, 02/05/10

Verfasst: 24.06.2010, 22:34
von Mucki
Ausgehungert

Jeden Abend saß sie im Kreise ihrer Familie beim Abendbrot.
Satt wäre sie vom Tisch aufgestanden. Wenn. Immer dieses Wenn.
Wenn er sie einmal gesehen, wirklich gesehen, wenn er ihr einmal zugehört, wenn er ihr wirklich ...
Er überfüllte sie. Mit Fragen, die sie nicht verstand. Mit Worten, deren Inhalt sie zernagte. Mit Sprachgewalt, die sie brach. Wenn sie doch nur einmal das Brot gebrochen hätten. Wenn. Immer dieses Wenn.
Heute nährt sie sich am Wenn, verweigert jedes Abendbrot.

Verfasst: 24.06.2010, 22:41
von Niko
abendbrot gebete
wer fragt nach dem sinn
einfach beten
machen wir immer so
hände falten
komm herr jesus sei unser gast

wir sind satt
noch ein gebet
viel zu satt
wer satt ist dem gehen die sinne verloren

und segne was du uns bescheret hast


.

Verfasst: 05.07.2010, 23:20
von Max
Wie ein Gebet auf das Amen wartete die Familie am Ende des Tages auf den Vater. Die Mutter stimmte schon die Psalmen davor an, von der harten Arbeit des Familienoberhaupts, seinen langen Fahrten in ferne Bundesländer und vom Tempel der Reinlichkeit, das erst nach dem Abendbrot betreten werden durfte und in dem sich auch der einzige Fernseher der Familie befand. Sie decket den Tisch mit frischem Kastenbrot, Aufschnitt und den kleine Gürkchen, die ihr Mann so gerne aß. Dann harrten die Familie seiner Rückkehr. Diese erfolgte pünktlich um viertel vor sieben. Der Vater stellte den Musterkoffer vor der Tür ab, henkte das Jackett auf den Bügel und ließ sich von jedem seiner Söhne einen Kuss auf die nicht mehr ganz frisch rasierte Wange geben. Dann begab sich die Familie an den Tisch. Der jüngere Sohn, qualifiziert durch jahrelange Erfahrung als Messdiener, musste ein Tischgebet sprechen. Der Blick des Vaters eilte über den Tisch: "Mach mir doch bitte drei Scheiben mit Wurst und ein paar Gürkchen!", bat er. "Ich schau schon mal Nachrichten." Und entschwand im Wohnzimmer.