Nenn es wie du willst

Teya

Beitragvon Teya » 26.02.2011, 21:40

Nenn es wie du willst

Nenn es Teppich, nenn es Oval oder nenn es Insel,
nenn es Ding oder Sache oder Wulst oder Objekt,
nenn es Teil oder Fleck oder Fladen oder Schatten oder Hügel oder Hubbel,
nenn es Unkraut oder Verwerfung oder Haufen,
nenn es Punkt Punkt Punkt oder Du weißt schon,
nenn es Unser Projekt oder Meine Aufgabe,
nenn es Problem oder Malheur oder Zwischenfall oder Handicap oder Grund,
nenn es Scheiß oder Abfuck oder Fiesling,
nenn es Schuss vorn Bug oder nenn es Pech oder nenn es Unglück oder
nenn es Quittung, ja, nenn es meinetwegen auch Quittung,
nenn es wie du willst,
aber bitte, tu mir einen Gefallen und nenn es nicht Krebs.
Zuletzt geändert von Teya am 27.02.2011, 21:50, insgesamt 2-mal geändert.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 26.02.2011, 22:20

Es stimmt ja - das Wort Krebs spricht man nicht so gern aus, es ist ein Wort, das Macht hat, und dieser Macht will man sich auf keinen Fall aussetzen.

"Ich hab mir da was eingefangen", sagte mir mal jemand.

Zu dieser - fast mittelalterlich anmutenden - Angst vorm Wort passt das Gebetsmühlenartige "nenn es ...". Im religiösen Bereich werden ja oftmals Begriffe oder Sequenzen wiederholt, und es ist innerhalb Deines Gedichtes ja nicht falsch, assoziativ ins Religionsähnliche "abzudriften". Mir kommt gerade immer der Begriff Bann in den Sinn, ein sehr altmodisches Wort, das so recht keinen Platz in der Gegenwart hat - aber zu Deinem Gedicht passt es!

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 26.02.2011, 22:47

Hallo Teya!

Ich habe immer Bedenken bezüglich langer Aufzählungen in Gedichten - ich habe den Eindruck, dass der Anteil derer, die die Spannung und damit den Leser halten können, deutlich kleiner ist als der Anteil derer, die den Leser an einem bestimmten Punkt verlieren, weil es einfach zu einförmig und damit langweilig wird.

Dein Gedicht hier hat mich jedenfalls auf diese Art verloren - irgendwann, bei Punkt vier oder fünf der Liste, bin ich ausgestiegen und gleich in die letzte Zeile gesprungen.

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 26.02.2011, 23:04

Ich auch, Ferdi - ich gehöre aber nicht zu den Verlorenen! Ich habe nochmal bei null angefangen und der Reihe nach gelesen. Und fands dann gut!

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.02.2011, 00:02

Hallo Teya,

ich finde auch, dass dieses Gebetsmühlenartige hier gut passt, da es die Eindringlichkeit des "Flehens" stärkt.
Nur hier
Teya hat geschrieben:nenn es Schuss vorn Bug oder nenn es Pech oder nenn es Unglück oder nenn es Quittung,
nenn es meinetwegen auch Quittung,

könntest du einmal "nenn es Quittung" streichen, im ersten Satz, der eh so lang ist und deshalb ein bisschen aus der Reihe tanzt.

Saludos
Gabriella

Gerda

Beitragvon Gerda » 27.02.2011, 11:00

Hallo Teya,

hier schließe ich mich ferdi an.
Auch hat der Titel mich verleitet umgehend zur "Lösung" zu springen...
Es nützte dann auch nichts, noch einmal von vorn anzufangen, wie Amanita es konnte.
Die Wirkung deiner Aufzählung vepufft leider bei mir ...
... und das ist ja nicht deine Intention, der ich diesmal nicht folgen kann.

Liebe Grüße
Gerda

Teya

Beitragvon Teya » 27.02.2011, 16:17

Hallo Amanita,

was du beschreibst, trifft ziemlich genau meine Gedanken. Freut mich, dass du bei der zweiten Lektüre fürs Durchhalten belohnt worden bist. Den Begriff "Bann" finde ich sehr passend. Vielleicht wäre er sogar der bessere Titel.

Hallo Ferdi,

ich kann deine Kritik nachvollziehen, mir geht das auch oft so. Hier allerdings braucht es m.E. eine solch lange Aufzählung, um das Phänomen in seiner Art deutlich zu machen. Ob mir die Dramatisierung im Text gelingt und der Leser mitgeht, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Hallo Gabriella,

danke für dein positives Feedback. Ob ich das zweite "Quittung" streichen will, weiß ich nicht, da es ja eine andere Qualität hat als der Rest und deshalb besonders hervorgehoben werden muss. Wird es durch das "meinetwegen auch" zwar ohnehin schon, aber vielleicht noch nicht genug. Außerdem passt es, wenn ich mir das Gedicht gesprochen vorstelle, in seiner Doppelung gut in den Rhythmus. Natürlich macht es die Aufzählung nochmal um ein paar Worte länger. Aber ich denke, wer bis dahin durchgehalten hat, der schafft den Rest auch noch :-)

Hallo Gerda,

wie gesagt, ich kann euer Problem mit Aufzählungen verstehen. Trotzdem Danke, dass du dem Text deine Aufmerksamkeit geschenkt hast, solange es eben ging :-)

Lieben Gruß
Teya

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 27.02.2011, 16:41

Hallo Teya!

Obwohl mir die Quittung eigentlich auch nicht gefällt, finde ich sie doch sehr gekonnt eingesetzt! Diejenigen hier, die sich mit Psychologie besser auskennen als ich, können es hoffentlich bestätigen und untermauern: Im Zusammenhang mit unangenehmen Dingen will man sich gern selbst gleichsam rausreden: Der da, der ist ja selbst schuld! Hätte er nicht geraucht, hätte er jetzt keinen Krebs! Zum Glück hab ichs mir vor fünf Jahren abgewöhnt (und bin - hoffentlich - gleichsam immun durch meine kluge asketische Entscheidung).
Auch das ist irgendwie mittelalterlich, ich denke da an das Vorführen von Menschen mit Schandmasken o. ä. - "ohne" fühlt man sich natürlich im aktuellen Moment besser.
Also - Quittung lassen, bitte!

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.02.2011, 17:05

Hallo Teya,
Teya hat geschrieben:Ob ich das zweite "Quittung" streichen will, weiß ich nicht, da es ja eine andere Qualität hat als der Rest und deshalb besonders hervorgehoben werden muss. Wird es durch das "meinetwegen auch" zwar ohnehin schon, aber vielleicht noch nicht genug.

stimmt, hast Recht. Ich hab überlegt, ob man sogar, um es noch mehr hervorzuheben ein "ja" mit Komma davorsetzen könnte, also so:

nenn es Schuss vorn Bug oder nenn es Pech oder nenn es Unglück oder nenn es Quittung,
ja, nenn es meinetwegen auch Quittung,


Was meinst du?

Saludos
Gabriella

Teya

Beitragvon Teya » 27.02.2011, 18:21

Find ich gut. Werd ich gleich mal ausprobieren.

Lieben Gruß
Teya

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Beitragvon fenestra » 27.02.2011, 18:25

Hallo, Teya,

ein starkes Gedicht! Ich habe bis zum Schluss im Dunkeln getappt, etwas Harmloses vermutet und mich an den fantasievollen Bezeichnungen (Wulst, Hubbel, Abfuck) geweidet, mir verschiedene Lösungsmöglichkeiten vorgestellt - bis dann das dicke Ende kam! Sehr wirkungsvoll gemacht. Ja, manche Wörter scheinen so böse zu sein, wie das, was sie bezeichnen, daher vermeidet man sie auf fast abergläubische Weise. Die Dopplung von Quittung fand ich zunächst auch ungeschickt, sogar kam sie mir unabsichtlich fehlerhaft vor. Aber ich kann mir die Betonung, die du beim Vortrag im Sinn hast, vorstellen. Dennoch stört mich die eine sehr lange Zeile, die man nicht mehr überblicken kann und die auf einer Buchseite ohnehin umgebrochen werden müsste. Ich würde es daher vielleicht so umbrechen:

nenn es Schuss vorn Bug oder nenn es Pech oder nenn es Unglück oder
nenn es Quittung, ja, nenn es meinetwegen auch Quittung

Viele Grüße
fenestra

Teya

Beitragvon Teya » 27.02.2011, 21:48

Danke, fenestra, für das Lob und für den Verbesserungsvorschlag. Ich denke auch, dass es sich dabei um eine Art Aberglaube handelt. Vielleicht auch die Furcht davor, dass all die Bilder, die an so einem "bösen" Wort kleben, noch schärfer vors innere Auge treten, wenn man es erst einmal ausgesprochen hat.

Lieben Gruß
Teya

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Beitragvon Lisa » 02.03.2011, 22:29

Hallo Teya,

es gab zwar bei mir auch aufgrund der wiederholenden Struktur, wie ferdi sie beschreibt, für einen kurzen Moment die Gefahr, dass ich aussteige, aber irgendwie war es doch so gut gemacht, dass ich nach einem Zögern durchgekommen bin.
Mein Problem mit "solchen" Texten ist dann eher, dass das Ende so bombastisiert wird: da steht dann quasi durch allen Aufwand vorher in Schriftgröße XL das letzte Wort, auf das es hinausläuft. Und hier würde ich nun sagen, dass es Wörter gibt, die sowas nutzen können (wenige), und Worte, die dadurch nicht mehr ganz ernst genommen werden können (deutlich mehr). "Krebs" ist da leider für mich denkbar ungeeignet, bei mir steigt dann eher - grob gesagt - sowas auf wie "Kann ich nicht mehr hören", Krebs ist irgendwie die Schicksalsschlagmetapher schlechthin in Deutschland.
Als ich dann aber den Text, nachdem ich das Ende kannte, nochmal mit Bezug auf "Krebs" las, fand ich die Formulierungen erstaunlich gut: sprachlich offen, aber nicht willkürlich, nicht flach arrangiert oder klischeehaft, aussagekräftig, treffend, auch auf das Wort"Krebs bezogen selbst, nicht nur auf die Krankheit. Und danach fand ich dann auch das Ende nur noch kaum zu "dick".
Schwierig da ein abschließendes Urteil zu geben, was das nun für den Text heißt...

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 03.03.2011, 09:57

Hallo, Teya,
Dein Text ließe sich fortführen mit:

Nenn es Tumor,
nenn es C A,
nenn's Miom, Lymphom, Melanom, Myelom, Sarkom!
Nenn's Leukämie oder Morbus Hodgkin,
aber nenn es nicht Krebs!

Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.


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