von jahren und menschen
Verfasst: 30.06.2011, 15:39
spurlos sind sie über deine schatten gesprungen
du sahst sie im licht – das schienen die glücklichen
Das "scheinen" Wortspiel ist erst recht spät in diesen Vers hineingerutscht. Wenn das als Hauptmotiv erscheint, ist es auf jeden Fall zu laut geworden. Der Anstoßgedanke war die schlichte Beobachtung bei einem Spaziergang, dass sich mein Schatten in den letzten zwanzig Jahren nicht verändert hat. Daraus wurde eine Spielerei mit der Redewendung "über den eigenen Schatten springen", den üblichen "Schattenseiten-assoziationen", dem Licht und dem Scheinen, den unterschiedlichen Zuschreibungen (Jahre, Menschen) je nachdem, auf was man das einzelne bezieht ... Hat mir wahrscheinlich mehr Freude gemacht, als die Zeilen dann letztlich aus dem Leser herauskitzeln können.Nur am Inhalt habe ich etwas auszusetzen. Ich glaube ihn wenigstens zu verstehen - eine Umdrehung, Verdrehung, umgekehrte Auslötung von schein - sie scheinen im besten Doppelsinn des Wortes. Qber mir will das trotzdem nicht als ausreichend inhaltsvoll scheinen.. Hat das lyrische Ich - in seiner gewiss notwendigen Zurückhaltung und Minimalisierungs(pflicht) nichts Individuelleres Mitzuteilen?
Das ist wirklich interessant, ich vermute, dass die Optik und Zeilenlänge eine Rolle spielt und diese Erwartungshaltung weckt? Ähnlich ging es mir bei Räubers "Würm".ich lese es auch sofort mit einer Art Versmaß - oder Rhythmus, wie Du willst.
Das würde aber meinen Leserhythmus sehr verändern und auf mich gleich zu beginn einen gehetzten Eindruck machen und dem "Spurlos" seine nötige Gewichtung und Ruhe nehmen?Ich fürchte nur, das Umstellen von lauter gleichen Einheiten ändert das Muster nicht – Sie sind spurlos über deine Schatten gesprungen ist dasselbe...
Auch hier geht mir das "Spurlos" zu sehr unter und der Einstieg ist mir zu huschelfuschelich. :o) Die Betonung auf das "Über" zu setzen widerstrebt mir, weil ich das nicht wirklich als sinnstiftend empfinde.Über die Schatten hinweg, die du warfst, sind sie spurlos gesprungen
Bei dieser Variante hätte ich dann fünf unbetonte Einheiten hintereinander und dadurch eine starke Gewichtung zum "werfen" hin, oder die Betonung auf "über" und "dir", was mir beides nicht behagt. Beim "dir" vor allem deshalb nicht, weil der Tonfall für mich dadurch ins Vorwurfsvolle kippen würde.über von dir geworfene Schatten sind sie spurlos gesprungen
Es wäre schön, wenn das dem Leser im Rahmen seiner Betonungssuche als eine Möglichkeit erscheinen würde, weil es für mich eine Erweiterung der Leseweisen wäre, es soll aber nicht eingrenzend so vorgegeben werden. Ich finde es manchmal ganz spannend, wenn Verse unterschiedliche Betonungen und damit auch Stimmungen, inhaltliche Verschiebungen zulassen. Also jein. :o)die Frage ist ja nicht, ob das für mein Ohr abwegig ist, sondern ob du Wert darauf legst, dass deine Leser mit ihrem inneren Ohr - oder dem äußeren - dieselbe Versbewegung hören wie du (was etwa dann wichtig ist, wenn da inhaltliche Entscheidungen dranhängen).
Ich vermute das ist genau der Punkt, warum ich Verse oft nicht in der von dir angegebenen Betonung lesen würde oder kann. Gerade solche "kleinen Worte" haben für mich keine Natur-Gewichtung, sondern sind erstmal ganz neutral. Für mich erschließt sich die Betonung (vermutlich?) hauptsächlich über den Inhalt.Wenn du mit "ja" antwortest, habe ich den unschönen Verdacht, es geht so nicht - die Silben haben ja eine bestimmte "Natur-Gewichtung", auch und gerade im Vergleich untereinander, und z.B. die Vorgabe, das "sie" stärker zu betonen als das "ü-", ist aus dem Vers einfach nicht ableitbar?! Auch das "sind" ist als Hilfsverb eigentlich etwas kräftiger als das Pronomen "sie", soll heißen: Ich denke, deine Hörvorstellung arbeitet hier gegen die Sprache...
Flora hat geschrieben:von jahren und menschen
spurlos sind sie über deine schatten gesprungen
du sahst sie im licht – das schienen die glücklichen