Die Nymphe Echo
(Sonntagmorgenrumsurferei)Die Nymphe Echo verliebte sich in den Jüngling Narziss. Er strafte sie mit Verachtung - nicht deshalb, weil sie keine eigenen Worte bilden konnte (sie wiederholte immer seine eigenen letzten Worte), sondern weil er alle, die sich ihm in Liebe näherten, mit Verachtung strafte.
Echo zog sich schmerzerfüllt in den Wald zurück:
Aber die Liebe verbleibt und wächst vom Schmerz der Verachtung.
Wachende Sorge verzehrt den kläglich vergehenden Körper;
Siechtum macht einschrumpfen die Haut, und die Säfte des Leibes
Schwinden gesamt in die Luft. Nur Stimme ist übrig und Knochen.
Stimme verbleibt; zu Gestein - so sagen sie - wurden die Knochen.
Seitdem birgt sie der Wald, und nie im Gebirge gesehen,
Wird sie von allen gehört. Als Schall nur lebt sie beständig.
Wenig später verliebte sich Narziss endlich selbst - wie bekannt, in sein eigenes Spiegelbild, das er in einem Teich sah. Da er es nicht fassen konnte, verging auch er vor Schmerz.
Hin ist die blühende Kraft und was eben entzückte das Auge,
Und nicht bleibet der Leib, den früher ersehnete Echo.
Als die aber es sah, obgleich voll Zorn und gedenkend,
Fühlte sie Leid, und so oft der Bejammernswürdige: "Wehe!"
Ausrief, hallte das Wort sie nach und erwiderte: "Wehe!"
Und wenn jener im Schmerz sich schlug mit den Händen die Arme,
Gab auch diese zurück die nämlichen Töne des Schlagens.
Also sprach er zuletzt, im gewohnten Gewässer sich spiegelnd:
"Ach, du Knabe, geliebt umsonst", - gleich viele der Worte
Hallte der Ort - "leb wohl!" "Leb wohl!" auch redete Echo.
Ich habe die Sage bisher so nicht gekannt (im Volksmund wird die Geschichte des Narziss üblicherweise so überliefert, dass er sich in den Teich stürzte und ertrank). Dabei ist Ovids Geschichte für den Leser viel moralischer. Ein zweifacher Liebestod voll poetischer Gerechtigkeit.
Orpheus, der allein und verzweifelt aus der Unterwelt wieder heraufkam, fühlte sich übrigens durch die Gegenwart der Echo getröstet, als er einsam in Thrakien umherirrte und sein Leid klagte. (So steht es allerdings nicht bei Ovid, sondern bei Monteverdi.)
Quelle:
Metamorphosen III (339-510) bei Gottwein