WORT DER WOCHE ~ beinahe ~

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 04.12.2015, 22:34

WORT DER WOCHE

- jede Woche ein neues Wort als Musenkuss -
Lyrik, Prosa, Polyphones, Spontanes, Fragmente, Schnipsel, Lockeres, Assoziatives, Experimentelles
- alles zu diesem Wort - keine Kommentare - alles in einem Faden - 7 Tage Zeit -


~ beinahe ~
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

FawzZalum

Beitragvon FawzZalum » 04.12.2015, 23:32

Beinahe
hätt ich dich schon überfallen
auf der Treppe
nachts
ferne nur
das Laufen des Kühlschranks
und ein Katzenschrei
oder war ich es, die schrie?
ich weiß es nicht ...

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birke
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Beitragvon birke » 04.12.2015, 23:59

beinahe
bist du mir
zu nahe gekommen
beinahe
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

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Eule
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Beitragvon Eule » 05.12.2015, 00:42

Ganz nahe
bei mir höre
ich Dich -

und was daraus
werden könnte.
Ein Klang zum Sprachspiel.

FawzZalum

Beitragvon FawzZalum » 08.12.2015, 22:47

Ich sehe dich, ganz nah bei mir, akkadische Monumentalschrift studieren und denke mir: Beinahe hätten wir uns nicht gefunden; beinahe hätten wir einander vollkommen fremd bleiben können .... Aber auch: Beinahe hätte ich dich schon viel eher geküsst ... nämlich, bevor du mich an der Tür überfielst ... beim Abschied, der Jahrhunderte dauerte. Da, in diesem Moment, war das beinahe verflogen, und es manifestierte sich das, was nun ist: wir.

OscarTheFish
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Beitragvon OscarTheFish » 12.12.2015, 10:13

(Für die einfachen Gemüter:)

Komm bei!
Nahe.
Ein paar ausgewählte Werke zur Stillung weiterer Neugier:
AKUTES ABDOMEN, OBWOHL WIR BLIND SIND, SCHMUSEREI, MUCH ADO ABOUT FUJI.
Gedichte von: Der beste Dichter der Welt und XRayFusion.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 16.12.2015, 00:38

Notizen aus dem Turm

Ich bin einmal, in meinem früheren Leben, am Strand entlang gegangen, es war gegen zehn Uhr abends und noch hell. Ich ging gut eine halbe Stunde durch ein weißlich bekiestes Niemandsland, unter jedem Schritt knirschten Steine und ich achtete nicht darauf, man kann an einem Strand nicht fehlgehen. Ich hielt Ausschau nach Delfinen. Es soll hier manchmal welche geben, und ein- oder zweimal glaubte ich, im silbernen Flimmern des abendlichen Meeres kleine weiße Kronen zu sehen und die fröhlich gebogenen Rückenflossen. Dann lief ich in den Strandbereich eines dieser Küstenresorts hinein, der Strand war plötzlich mit Liegestühlen vollgestellt, auf denen hier und da noch Leute saßen, die Gesichter hinter Sonnenbrillen verschanzt, obwohl es Abend war, die Augen ausgelöscht, und sich aus eisgefüllten Sektkübeln bedienten. Ich wollte nicht mitten hindurchlaufen und richtete mich ein wenig strandaufwärts aus, ging an einem niedrigen Mäuerchen entlang, hörte wummernde Musik und als nächstes kam eine Stranddisco mitten in einem Swimmingpool. So etwas hatte ich nie zuvor gesehen. Es war noch nicht voll. Der Discjockey stand auf einer kleinen Bühne hinter einem Paar Turntables, die nackten Füße im Wasser, und vor ihm saßen an der Bar drei Männer; sie saßen ein gutes Stück tiefer auf Barhockern, die im Poolwasser versunken waren. Ich glaube, ich bin stehengeblieben und habe eine ganze Weile zugeschaut, bis hinter mir ein Keller mit einem Tablett voll Gläsern unmutig zu schnalzen anfing. Die Bässe dröhnten. Drei Leute in Badehosen an der Bar, jeder mit einer Margarita vor sich, mit Schirmchen oben auf den Gläsern. Das schwappende Poolwasser benetzte gerade eben ihre Arschbacken.

Ich bin dann weitergelaufen, noch gut einen Kilometer weiter, bis in den nächsten Ort hinein. Habe eine Runde um den Jachthafen gedreht und mir die kleinen Läden angesehen. In einem dieser Läden fand ich ein Paar Ohrringe mit kleinen Fischen aus Silber und bunter Emaille, die Flossen waren lose angehängt und klickerten, wenn man sie bewegte. Ich war begeistert und hätte sie auf der Stelle gekauft, auch für das Dreifache des Kaufpreises, den man mir nannte. Doch ich hatte kein Geld dabei. Ich hatte eigentlich nur spazieren gehen wollen. Die Ladeninhaberin, eine lustige junge Frau um die Sechzig, die ein buntes Tuch um den Kopf gebunden hatte, vertröstete mich. Ich könne ja morgen wiederkommen. Morgen sei Markt, es werde eine riesige Fischpfanne am Hafen geben für alle Besucher, Wein und Musik; sie habe bis elf geöffnet und werde die Ohrringe für mich aufheben.

Es ist nie etwas daraus geworden. Am nächsten Tag war Sturm, der Markt war abgesagt, und in dem kleinen Camp, in dem ich wohnte, wurden mehrere Wohnwagen umgerissen. Meine Wäscheleine gab nach, und ich musste die Wäsche in den umliegenden Parzellen zusammensuchen – ein blaues Handtuch mit kleinen weißen Fischen, das ich besonders mochte, fand ich nicht wieder, vielleicht war es aufs Meer hinausgeflogen. Ich erinnere mich, wie ich den Rest der Wäscheleine von dem Baum abknüpfte, an dem ich sie festgebunden hatte. Der Baumstamm klebte von Harz, das sich nicht abwaschen ließ. Mir war zumute, als sei die ganze Welt gegen mich.

Heute trage ich keinen Schmuck mehr, schon lange nicht mehr, aber ich stelle mir gern vor, dass an diesem Tag alles hätte anders werden können. Wenn ich ein wenig Geld dabei gehabt hätte, mir diese Ohrringe zu kaufen, wenn ich nur diese Ohrringe hätte tragen können. Dann wäre auch der Sturm nicht eingetreten. Ich hätte tags darauf das Camp verlassen, wäre hinauf zum Pass gefahren, hätte die einmalige Landschaft aus der Ferne betrachtet, das Goldene Horn, zlatni rat, und wäre weitergefahren, einer glücklichen Zukunft entgegen. Ich bin tatsächlich hinaufgefahren, am Tage nach dem Sturm. Habe hinuntergeschaut, da war das Horn, und an meinen Händen klebten noch immer Harzreste.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)


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