WORT DER WOCHE ~ Keller ~

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birke
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Beitragvon birke » 19.02.2016, 15:11

WORT DER WOCHE

- jede Woche ein neues Wort als Musenkuss -
Lyrik, Prosa, Polyphones, Spontanes, Fragmente, Schnipsel, Lockeres, Assoziatives, Experimentelles
- alles zu diesem Wort - keine Kommentare - alles in einem Faden - 7 Tage Zeit -


~ Keller ~
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.02.2016, 20:14

Vor Jahren wohnten wir in einem Haus mit 6 Mietern. Schöne Wohnungen, klasse geschnitten. Aber, was mich am meisten beeindruckte, war der Keller vom Parterre-Mieter. Er hatte seinen Keller zu einer Art Wohnzimmer eingerichtet. Penibel standen da Regale, sauber aufgefüllt mit viel Krimskrams. So sorgfältig, wie er die vielen kleinen Gegenstände auf Kante gestellt hatte, fiel es gar nicht auf, dass es Krimskrams war. Eine große, immer gut gefüllte Gefriertruhe, wovon er uns anderen 5 Mietern öfter ein leckeres Mahl servierte und ein großes Weinregal mit feinem Rotspon, welchen er uns ebenfalls großzügig kredenzte, machten ihn zum beliebtesten Mitbewohner im Haus. Aber das Tollste war der riesige Perserteppich, der den gesamten Mittelraum in seinem Keller einnahm. Fehlte nur noch der Kamin und die Zigarre. Und das Schachspiel. Auch Artur, so hieß er, war begeistert von seinem Teppich. Es verging kein Tag, an dem er sich nicht im Keller aufhielt, um dort nach dem Rechten zu sehen.
Bis zum November in jenem Jahr. Da hielten wir uns alle Mann dort auf, um seinen Keller von den Wasserfluten zu befreien. Ob der Teppich überlebt hat, weiß ich nicht mehr.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 25.02.2016, 11:00

Seit ich als Kind vor nahenden Bombergeschwadern Schutz in Luftschutzkellern suchte und fand, liebe ich Keller, würde am liebsten in einem wohnen. In Köln war einer durch Kohlenstaub so schwarz, dass ich ihn kälkte, um ihn wohnlicher zu machen. Auch in einem Fachwerkhäuschen, das mal meins war, liebte ich den Keller über alles, stieg gelegentlich hinab, um in Ruhe nachzudenken und die Weinflaschen zu sortieren. Es schlugen sich Salpetersalze an seinen Wänden nieder und mumifizierten auch die von der Decke hängenden Spinnen. Im Keller hier gab es lange gemauerte Wannen, die aber nicht der Körperpflege von Menschen dienten, sondern dem Ausbluten geschlachteter Schweine. In Kellern bin ich lebend dem Tod näher, das heimelt mich an: "Der Tod ist das Normale, das Leben wird überschätzt." Jules Renard (aus den von Henning Ritter gesammelten Aphorismen des Autors, posthum bei Matthes und Seitz).
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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birke
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Beitragvon birke » 25.02.2016, 13:17

im keller liegen
unsere geschichten
handgeschriebene
seiten in kartons
fein säuberlich geschichtet
hab ich die worte
zwischen den zeilen
ich nehm dich beim wort
wenn du sagst
komm, wir gehen
die tür steht offen
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.02.2016, 16:12

dort unten ruhen sie
und treiben vor sich hin
manche faulen manche blühen
nach einer weile liegen ruhen
klopfen greifen rufen sie
zeit für die ernte

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 25.02.2016, 21:39

Notizen aus dem Turm

Vor Jahren, als ich noch Freunde hatte, Familie und einen Kreis von Bekannten, die meine Interessen teilten, war ich einmal mit einer Gruppe Leute in einem Weinkeller. Es war sozusagen ein professioneller Keller, in dem Tausende und Tausende von Flaschen lagerten. Wir wurden herumgeführt, wanderten durch endlose finstere Gänge, betrachteten modrig riechende Nischen mit fleckigen Namensschildern und die darin gestapelten Weinflaschen. Im hinteren Teil des Kellers waren fast alle Flaschen staubbedeckt, mit Spinnweben verkleistert, die Etiketten verblasst oder weggeschimmelt.
Unter den Namen auf den Namensschildern waren wohl einige Berühmtheiten, denn ich hörte die Leute in meiner Gruppe tuscheln und Witze reißen. Schauspieler hatten ihren Weinvorrat hier eingelagert, Opernsänger und Politiker. Ich interessierte mich schon damals nicht besonders für Politik und Showgeschäft und kannte die Namen nicht. In der letzten Nische, die wir passierten, lagen die Weinflaschen bis auf Augenhöhe übereinander unter einer dicken Schimmelschicht. Alle lachten und schüttelten die Köpfe. Der Inhaber der Nische war ein bekannter Tennisspieler, und die allgemeine Meinung war, dass er zu blöd sei, um Wein von Fassbrause zu unterscheiden. („Gebt ihm Rhabarberbowle!“, rief jemand.) Unser Führer erklärte, die Nische sei seit ihrer Einrichtung nicht mehr besucht worden. Der Tennisspieler sei wahrscheinlich kein Weintrinker. (Worauf noch mehr Gelächter folgte.)
Vor der Nische war ein Gitter, aber es reichte nicht bis ganz nach oben, und ich bin eine große Frau. Als die Gruppe, noch immer plaudernd und lachend, den Rückweg antrat, ließ ich sie etwas vorauslaufen. Ich zog vorsichtig eine der oberen Flaschen herunter und steckte sie mitsamt dem daran hängenden Dreck in meinen Umhängebeutel.
Es ging dann zur Weinprobe. In der Gruppe gab es ein paar stramme Trinker (ich war einer davon), die jede Probe hinunterschluckten und bei jeder Gelegenheit nach mehr verlangten, aber die meisten nippten nur und schütteten die Reste aus ihren Probiergläsern weg, wenn die nächste Flasche geöffnet wurde. Für die Reste standen zwei große Krüge bereit. Auch hier fingen einige Witzbolde an zu unken, diese Reste würden bestimmt, sobald wir den Tisch verlassen hätten, wieder auf Flaschen gezogen und als Cuvée verkauft.
Die letzte Flasche, weiß ich noch, enthielt einen zwanzig Jahre alten Muscat und kostete mehrere hundert Euro.
Die geklaute Flasche habe ich zu Hause geputzt und für eine besondere Gelegenheit weggestellt, aber die Gelegenheit ergab sich nie, und zum Schluss nahm ich sie mit in den Turm. Ich machte sie eines Nachts, als ich Dienst hatte, heimlich auf, um sie ganz allein zu trinken; ich wählte extra eine helle Nacht aus, in der das Mondlicht besonders blau auf die Eiswiesen schien, und stellte mich ans Fenster. Der Wein war Essig. Ich trank ihn trotzdem.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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nera
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Beitragvon nera » 26.02.2016, 00:25

ich hatte immer angst, in den keller zu gehen. ich sang dann laut oder dachte an heilige, die mich beschützen könnten. der keller war ein neubaukeller und unsere gefriertruhe stand dort und ein sammelsurium von knöpfen in kisten, aus dem nachlass meiner tante, die ein geschäft für knöpfe und reißverschlüsse hatte. ich mochte die knöpfe und die himbeeren in der gefriertruhe. und singen war ein schutzzauber. später gabs den ersten ölkrieg. rammstein war schon immer in der nähe und die tiefflieger immer da. nur, jetzt flogen immer um 9 abends transportmaschinen. sie klangen anders. und ich sehnte mich nach dem keller, immer nur für diese kurzen minuten abends um 9. ich weiß nicht, warum.


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