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Trotzdem - Weimar III

Verfasst: 28.06.2006, 22:53
von Paul Ost
Wir wanderten wohl
bei Vieselbach
allein zu zweit
durch die Natur.

Die Sonne war heiß,
Dein Rock war kurz
und meine Hose
viel zu eng.

In einer Furche
auf einem Feld
fielen wir
übereinander her.

Wir liebten uns
wild und laut
und lang, doch
bekam ich plötzlich
Angst.

"Sind wir hier nicht
am Ettersberg?",
keuchte ich voller
Furcht.

Da schautest Du mich
lüstern an, lachtest
und machtest,
dass ich kam.

Verfasst: 29.06.2006, 00:41
von moshe.c
Um einen in der Ferne wohnenden Leser aufzuklären: Was ist der Ettersberg?

moshe.c

Verfasst: 29.06.2006, 10:49
von Paul Ost
Lieber moshe.c,

der Ettersberg war ein beliebter Ausflugsort der Weimarer Hofgesellschaft. Goethe fand ihn zum Beispiel sehr schön und schrieb einige Gedichte mit direktem Bezug zu diesem Berg.

Anderthalb Jahrhunderte später dachten sich dann meine nationalsozialistischen Vorfahren, es sei eine gute Idee, genau auf diesem Berg das Konzentrationslager Buchenwald zu errichten. Sie hatten ihren Goethe eben gelesen.

In ihrer unvergleichlichen Menschenverachtung errichteten sie das Lager übrigens an der dem Wind und dem Wetter ausgesetzten Nordseite des Berges. Die Häftlinge mussten dann auch im Winter beim Appell in der schneidenden Kälte stehen und stundenlang warten.

Zuletzt war ich im November in der Gedenkstätte. Schon nach einer Stunde war ich völlig durchgefroren. So eine Kälte.

Im Sommer, wenn man durch die Felder streift, könnte man das fast vergessen. Und stell Dir vor, die meisten Deutschen werden mit dem Ettersberg nichts anzufangen wissen...

Es grüßt

Paul Ost

Verfasst: 29.06.2006, 14:06
von pandora
verehrter herr ost,

es gibt (bislang) zwei städte auf dieser erde, in denen ich mich von anfang an seltsam zu hause fühlte/fühle und ohne die üblichen orientierungshilfen auskam/auskomme.(normalerweise schlingere ich geradezu durch fremde ortschaften,selbst mit karte, kompass und navi-system!) eine davon ist WEIMAR.
weimar war mir schon als kind nahe, was vielleicht an der größe des städtchens liegen mag. ich war immer gern dort und habe viele kleinere plätzchen, den ilm-park,die leutraquelle, den jakobsfriedhof etc, als sehr "vertraut" empfunden. (ich habe mühe, dieses gefühl zu beschreiben) eine eigenartige tatsache, die man vielleicht als spinnert abtun kann. ich habe sie für mich akzeptiert.

jedenfalls kann ich gut nachempfinden, wie das LYRICH in ihrem text in das spannungsfeld nationalsozialismus-weimarer klassik gerät. es ist gerade dort so schwer, diese beiden deutschen vergangenheiten zusammen zu bringen.
auf das "lüstern" in der letzten strophe könnte ich verzichten, DIESE information erlese ich aus den letzten versen. :mrgreen:
mein kompliment für den text.

p.

Verfasst: 29.06.2006, 14:58
von moshe.c
Hallo Paul,

zu DDR-Zeiten war ich von West-Berlin aus mit Freunden aus Ost-Berlin auf einer Reise auch in Weimar und Erfurt.
Für den besagten Berg interessierte ich mich nicht, weil ich zu Gedenkstätten/Mahnmalen/Denk-Mählern ein gespaltenes Verhältnis habe. Ich bin mehr an Konsequenzen interessiert.

Zu pandora möchte ich sagen: Es ist nicht nur schwer die weimarer Klassik und den 'Nationalsozialismus' als Spannungsfeld zu ertragen, sondern dann auch noch die eigene Gegenwart darin, wie es Paul hier sehr gut gefasst hat. In meiner Branche wird das gut als Second- and Third-Generation Problem erkannt und in Deutschland für mein Empfinden sehr unterschätzt.

Auf meiner Reise damals fand ich den Nachfoge-Riß (eiserner Vorhang) als ungemein schmerzhaft, da ich die Gegend auf der damaligen anderen Seite sehr gut kenne und etwas Untrennbares getrennt erleben mußte.

Paul, du hast das Unmittelbare sehr gut dargestellt. Deinen Beitrag hätte ich auch gern unter Lyrik und Kultur gesehen, weil es für mich der stärkste Aspekt daran ist.

moshe.c

Verfasst: 29.06.2006, 19:07
von Paul Ost
Lieber moshe.c,

die Frage nach dem Umgang mit der Schuld in der zweiten und dritten Generation habe ich mir oft gestellt. Es ist ein Thema, das mir wichtig ist. Besonders freut es mich, dass es offensichtlich auch von Dir so gelesen wurde.

Liebe Frau Pandora,

ein Lob von Eurer Seite ehrt mich zutiefst. Sie kennen ja die Gegend. Was aber das Wort "lüstern" betrifft, so kann ich darauf nicht verzichten. Schließlich gibt es ja noch den Bezug zu Weimar I und Weimar II. Es ist dieselbe Frau. Eine durchaus zauberhaft rücksichtslose und egoistische Person, die immer das bekommt, was sie sich in den Kopf gesetzt hat, auch in der Lust. Dabei geht sie - im übertragenen Sinne - sogar gelegentlich über Leichen, wie zum Beispiel derjenigen von Paul Ost. Deshalb muss ich ja hier schreiben.

In diesem Gedicht geht es also wohl um Leidenschaft, im positiven wie im negativen Sinne.

Grüße

Paul Ost

Verfasst: 29.06.2006, 19:09
von pandora
verehrtester,

ob sie wohl so nett wären und mir verraten, wo ich weimarI und weimarII
finde?

s priwetom
p.

Verfasst: 29.06.2006, 19:17
von Paul Ost
Verehrte, wohlgelittene Kritikerin meiner unbedeutenden Zeilen,

bald werden mir die Epitheta ausgehen! Nun denn, beide Gedichte befinden sich in der Liebeslyrikabteilung, allerdings ein bisschen weiter hinten.

Dazu sollten Sie aber noch kurz mein Selbstporträt lesen (unter Autoren), welches all die Unsinnigkeiten, die ich schreibe, ins rechte Licht rückt. Euch danke ich an dieser Stelle für ein weiteres Gedicht, welches zu kommentieren ich nicht wagte, obwohl es mir sehr gefallen hat. Sie schreiben einfach zu tiefgründig.

Hochachtungsvoll

P. Ost

Verfasst: 29.06.2006, 19:22
von pandora
dearest paul,

ich werde die gedichtvorgänger und ihre selbstdarstellung zu späterer stunde, wenn die sonne untergegangen ist, einer genaueren prüfung unterziehen.
was mein weiteres gedicht anbelangt, so schwanke ich. würzen sie ihre pamphlete mit einer gehörigen portion ironie? oder soll ich das für bare münze nehmen? (that`s NOT: fishing for compliments!!!!!)

yours sincerely

p.

Verfasst: 29.06.2006, 20:28
von leonie
Hallo Paul Ost,
ich habe etwas an der Umsetzung zu kritisieren. Ehrlich gesagt finde ich es etwas unglaubwürdig, dass die beiden es auf dem Feld in einer Furche treiben. Ziemlich matschig oder staubig, je nach Wetterlage. Und wenig geschützt.
Aber das mag es geben.
Zum anderen finde ich das kurze Hintereinander von Angst und Furcht nicht sehr glücklich.
Herzliche Grüße
leonie

Verfasst: 29.06.2006, 22:11
von Paul Ost
Liebe Leonie,

da stimme ich mit Dir überein. Völlig unmöglich das. Und wie sollte ich Dir widersprechen? Wer hätte je von so einem schmuddeligen Vorgang gehört. Staub oder gar Schlamm. Wie die Ferkel! Oh, ich glaube bei dem Thema waren wir schon einmal! Erinnerst Du Dich? Ich werde es wohl stehen lassen müssen. Hier wie dort.

Das kurze Hintereinander von Angst und Furcht erklärt sich daraus, dass ich zwei Worte für ein und dieselbe Sache benutzen wollte, damit ich nicht eines zweimal schreibe. Aber es gibt noch einen weiteren Grund, nämlich die Tragödietheorie von Aristoteles: eleios und phobos. Eine Art Hendiadioin, oder wie man das auch nennen mag.

Grüße

Paul Ost

Verfasst: 29.06.2006, 23:29
von leonie
Lieber Paul Ost,

Mir ging es eigentlich mehr um die Glaubwürdigkeit des Gedichtes als um den Dreck auf Kleidern und Körpern. Gibt es dort keine Büsche, unter denen Du die beiden (das folgende Wort schreibe ich jetzt extra für Dich) ficken lassen könntest?

leonie grüßt

Verfasst: 30.06.2006, 00:10
von moshe.c
Leonie,
brauchst du immer Büsche?

Er kann doch garnichts für den Ort. Du machst Paul für etwas verantwortlich, was eher als Frage an die Dame gehen müsste.

Ansonsten finde ich dich jetzt reichlich ablenkend vom Kern.

moshe.c

Verfasst: 30.06.2006, 10:58
von leonie
Lieber moshe.c,

Gedichte sind meistens keine Tatsachenberichte. Und der Autor hat eine gewisse Macht über das, was er darin geschehen lässt. Deshalb wendete ich mich mit meinem Eindruck der Unglaubwürdigkeit an Paul Ost.
Ich brauche nicht immer Büsche, ich kann mir auch eine Menge anderer Orte und Gelegenheiten vorstellen. Eine Ackerfurche muss es auch in der größten Not nicht unbedingt sein.
Aber das lenkt ab vom Kern, Du hast recht. Andererseits fragtest Du danach.
Mir ging es um die Glaubwürdigkeit und dieser Punkt ist es nun mal, der sie meiner Meinung nach in diesem Gedicht einschränkt. Und da frage ich mich, ob das der Intention zuträglich ist. Natürlich akzeptiere ich, wenn Paul Ost sich entschließt es so zu lassen.

Liebe Grüße

leonie