Fliehende Worte

scarlett

Beitragvon scarlett » 14.07.2006, 21:59

Es fliehen die Worte
sie fliehen vor mir
mich verhöhnend
und spottend
der besessenen Gier
Bedeutung
ihnen abzuringen -

Allein
sie lassen sich nicht
zwingen nicht fassen
nicht halten sie verweigern
die Pflicht -
und zeigen mir stets
nur ihr hohles Gesicht.

Ich zähle die Worte
die mir noch blieben
verblaßt ist jedoch
was einst sie beschrieben
als sie noch wohnten
in ihrem Sinn -

Bedeutungslos heute
inhaltsleer -
ich zähle und
zähle doch
auf sie
längst nicht mehr.

scarlett, 2006
Zuletzt geändert von scarlett am 18.07.2006, 15:04, insgesamt 2-mal geändert.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 17.07.2006, 21:52

Liebe scarlett,

es ist ein blödes Gefühl, wenn man plötzlich unter Sprachkaries leidet und einem die Worte "wie Pilze im Mund zerfallen". Das hast Du meiner Meinung nach sehr schön dargestellt.

In der dritten Strophe könntest Du beim ersten Verb noch das Präsens benutzten: Ich zähle die Worte / die mir noch bleiben.

In der letzten Strophe stört mich das Wort "mittlerweile". Vielleicht würde "längst" ein bisschen dichterischer klingen. Es hängt aber sicher auch davon ab, wie Du das Gedicht beim Lesen betonst.

P.S.: zwischen bessenen und Gier hast Du den Platzhalter vergessen. Das sieht dann besser aus.

Falls es Dich tröstet. Ich glaube es geht den meisten schreibenden Menschen so, dass ihnen die Worte fehlen. Obwohl: Heute war ich bei einer Lesung von Bernhard Schlink. Der erzählte, dass er, wenn er denn schreibt, manchmal sogar am Tag mehr als ein Kapitel schafft. Offensichtlich fliegt es ihm so zu.

Grüße

Paul Ost

scarlett

Beitragvon scarlett » 18.07.2006, 15:12

Lieber Paul,

da bin ich aber froh, daß deine Worte nicht vor meinem Gedicht geflohen sind *g*...
Danke fürs Lesen und deine Hinweise.

Ja, es ist manchmal schon ein echtes Kreuz mit den Worten, je mehr man sie sucht, desto besser verstecken sie sich, je mehr man versucht, sie zu zwingen, desto eher verabschieden sie sich - manchmal auch auf Nimmerwiedersehn.

Den Leerschritt zwischen besessen und Gier hab ich ganz still und heimlich korrigiert... merci.

Das "mittlerweile" ist sicher kein sehr poetisches Wort, wieso mir kein anderes einfiel??? Manchmal muß man eben mit der Nase draufgestoßen werden... Mittlerweile :-) hab ichs auch ersetzt.

Das Präsens muß ich überlegen - sicher ginge es, aber verändert es nicht ein wenig den Sinn?

Liebe Sonnengrüße,

scarlett

Trixie

Beitragvon Trixie » 18.07.2006, 15:54

Oh, das ist schön! Vor dir flohen die Worte anscheinend in dem Moment auch nicht. Das ist wirklich sehr gelungen und flott und ich seh es richtig vor mir, wie einer da sitzt und schreibt und die Worte währenddessen immer wieder von den leeren Seiten fliegen und er sie versucht mit der anderen Hand zu greifen und sie zerplatzen wie Seifenblasen!! Ganz toll!!!

beeindruckte Grüße, Trixie

scarlett

Beitragvon scarlett » 19.07.2006, 08:38

Liebe Trixie,

danke für die verbalen Blumen - :smile:
das Bild, das du gezeichnet hast, entspricht so ziemlich dem, das ich beim Schreiben vor Augen hatte. Allerdings sprangen mir nicht die Worte vom Papier weg, ich sah sie immer nur um mich herum tanzen, hämisch grinsen, und - immer wenn ich eines festhalten wollte, ergriffen sie die Flucht - wie ein Schwarm Insekten, den man verscheucht, der aber u. U. gleich wieder da ist....*ggg* - so ungefähr...
Tja und selbst die Worte, die noch gebannt da waren (von früher), verweigern sich dem lyrIch- d. h. sie sind leer, nur noch Hülle...
Diesen inhaltlichen Gegensatz habe ich ganz bewußt versucht auch sprachlich darzustellen - das Tempo der ersten beiden Strophen bzw. das eher Ruhige, fast schon Melancholisch - Resignative der letzten beiden.

Einen wortreichen Sonnentag wünscht

scarlett


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