Seite 1 von 2
Monatsthema Zeit / Psychiatrie
Verfasst: 02.08.2006, 12:30
von Cara
Psychiatrie
Geschlossene Station 2b
______________________
Kahle Flure
Kalte Fluchten
Tür nach Tür
längs - längs
immer weiter längs
ab der verschlossenen Eingangtür
unrund
unwarm
unlebendig
un......
Niemand
der einen anspricht
Wachfigurenpersonal
Patienten
stehen vereinzelt
bewegen sich rückwärts
Zeit
steht
still
Warten
Warten
Verschränkte Arme
Ausgesteckte Arme in
Richtung Herz
Herz erkennt
Herz lässt sich nicht übersehen
Herz will fühlen dürfen
Türen
Türen, die abgeschlossen wurden
Türen , die aufgeschlossen werden müssen
Vertraute entfernen sich
Einsame bleiben zurück
im kargen Raum
Wut?
Wut wird eingekerkert
durch Medikamente
Wut stirbt
Herz
blutet
nicht
mehr
Zeit
steht
still
(c) Cara
Verfasst: 02.08.2006, 12:50
von Paul Ost
Liebe Cara,
ein heftiges Thema. Ich habe eine ganz spezielle Einrichtung vor Augen, in der ich mal eine Bekannte besuchte.
Krankheit und Zeit hängen eng zusammen. Dazu fallen mir gleich tausend Vorbilder ein, angefangen mit dem Zauberberg.
An der Form ist erkennbar, dass Du ansprechende Reime und verharmlosende Bilder und Metaphern vermeidest. Wahrscheinlich ist das bei solch einem Thema eine gute Idee.
Grüße
Paul Ost
Verfasst: 02.08.2006, 13:07
von Cara
Ja, Paul,
ich danke dir für deine Worte.
Es ist so, dass ich bei diesem Text hier länger zögerte, ob ich das als Gedicht schreibe (geschweige denn hier einstelle), denn der Inhalt ist ja von solch menschlicher Brisanz und ich erlebte ihn auch persönlich (wie du bei einem Besuch - früher bei mir auch beruflich) so stark deprimierend, dass ich ihn nicht "ausschlachten" wollte.
Aber rüberbringen möchte ich das dann auch wieder doch.....daher
wagte ich es
LG
Cara
Verfasst: 05.08.2006, 16:21
von moshe.c
Also......, das ist richtig gut erfasst und geschrieben.
Top!
moshe.c
Verfasst: 05.08.2006, 18:05
von Cara
Vielen Dank , Moshe, für deine Rückmeldung.....
kurz und bündig, lächel...
LG
Cara
Verfasst: 05.08.2006, 19:02
von moshe.c
Liebe Cara,
was soll ich denn da noch sagen, wo du es so gut geschrieben hast?
moshe.c
Verfasst: 05.08.2006, 19:15
von Cara
Hei Moshe,
das war doch von mir kein Rüffel, kein versteckter Vorwurf oder so was......
aber ich denke, du scherzt jetzt auch nur....
Ich grüße dich
Cara
Verfasst: 05.08.2006, 19:24
von moshe.c
Keine Sorge!
Ich denke es wird spannend mit dir.
Naja, und die Narrenkappe habe ich immer ein wenig auf dem Kopf, und natürlich.......
moshe.c
Verfasst: 08.08.2006, 12:46
von Lisa
Liebe Cara,
mir gefällt an diesem Gedicht, dass nicht nur die Worte, sondern auch die Form versucht die Stimmung wiederzuspiegeln. Das wirkt beklemmend und ist gut! Insgesamt empfinde ich das Gedicht noch als etwas unfertig...das ist allerdings auch wieder passend zur Stimmung...ich kann das aber auch nur allgemein und nicht konkret an Textstellen fest machen, vielleicht weil die Themen so sprunghaft wechseln (Wut, Herz, zeit Personal)...das könnten natürlich Sprünge in verschiedene personen auf der Station sein oder aber das nervöse Flackern im Inneren wiederspiegeln...
Diese Zeile würde ich streichen:
Herz will fühlen dürfen
weil sie in meinen Augen die Wirkung der beiden vorherigen stärkeren abschwächt, weil sie noch einmal deutlich erklärt, ws doch diese Zeilen auch erklären?
PS: In der ersten zeile Tür statt Tur?
Liebe Grüße,
Lisa
Verfasst: 08.08.2006, 16:42
von Jürer trans Brauklin
Liebe Cara,
die Situation ist bedrückend, beklemmend und nüchtern beschrieben.
Am besten gefällt mir der Schluß:
"Wut wird eingekerkert
durch Medikamente
Wut stirbt
Herz
blutet
nicht
mehr
Zeit
steht
still"
Ich würde die Stelle "Herz will fühlen dürfen" nicht streichen, weil sie zeigt wie wichtig Emotionen,
Gefühle und Mitgefühl in dieser Lage wären.
Die Psychiatrie ist ein beschämender Skandal.
Alles Liebe und Gute
jürer
Verfasst: 09.08.2006, 12:42
von Cara
Hallo Lisa und Jürer,
ich danke euch beiden für eure Kommentare....
die "Tur" werde ich schnell ändern, Lisa,
das Unfertige, dass du, Lisa, bemerktst, finde ich für mich als etwas, was ich ruhig so stehen lassen möchte.....das "Gedicht" spiegelt einen aufgewühlten Eindruck wieder, den ich hatte, das kann ruhig so "unausgefeilt" rüberkommen.
Daher möchte ich auch den Satz "Herz will fühlen dürfen" (auch wenn er inhaltlich ein wenig redundant ist.....formal ohnehin) stehen lassen. Es war mir wichtig, damit ins Bewusstsein zu rücken, dass das Fühlen selber in der Psychiatrie durch die Psychopharmake eben ausgelöscht oder massiv gedämpft wird. Daher stimme ich in diesem Falle Jürer zu. Ich meinte allerdings hier nicht den Besucher, dessen Mitgefühl so wichtig ist, wie Jürer das anspricht, sondern den Patienten selber.
Nochmals Danke
und Liebe Grüße
Cara
Verfasst: 09.08.2006, 16:05
von Jürer trans Brauklin
Hallo Cara,
ich habe hier weniger an das Mitgefühl der Besucher,
sondern an das des Pflegepersonals vor allem der Ärzte gedacht,
denn ich finde Einfühlungsvermögen und Mitgefühl wären angebrachter,
als nur mit Psychopharmaka vollpumpen und ruhigstellen.
Liebe Grüße
jürer
Verfasst: 10.08.2006, 07:01
von steyk
liebe cara, ich fühlte mich beim lesen in die zeit zurückversetzt,
da ich während meiner drogenzeit für drei monate
per gerichtsbeschluß in die psychiatrie mußte.
dazu werde ich bestimmt einmal etwas schreiben.
ich verbrachte die zeit dort mit wenigen fixern, mehr
zwangsentziehenden alkoholikern und noch mehr
psysisch kranken. ich kann mich deshalb so gut an diese
bilder erinnern, da ich keine medikamente nehmen mußte.
jede deiner zeilen stimmt...
gruß stefan
ps. der wachraum war wohl das schlimmste.
Verfasst: 10.08.2006, 16:37
von Cara
Hallo Stefan,
danke für deine Rückmeldung aus der Sicht eines ehemals Betroffenen, der sich, wie du schreibst, deshalb so gut daran erinnert, weil er damals keine einschlägigen Medikamente bekam.....(das ist wahrscheinlich sehr selten so).
Ich freue mich, dass du inzwischen schon so weit genesen bist, dass du hier im Salon wieder ziemlich "poesie-kräftig" einsteigen kannst. Das ist wirklich toll!!!
Viele liebe Grüße
auch an deine Frau
Cara