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leonie
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Beitragvon leonie » 20.10.2006, 14:30

So gern
hätte ich Deine Stimme
noch gehört und
(ich gebe es zu)
ein Dankeschön,
ein Abschiedswort.

Du schliefst
als ich
zum letzten Mal
Dein Zimmer betrat.

Dich zu berühren
wagte ich nicht,
Du hattest es mir
zu selten gestattet
und meine Haut

brannte noch.

Nur die Geschichte
ließ ich da
-Du hattest mich ja darum gebeten-
von dem Engel,
der die Müden stärkt
und der
(wie vermessen)
ich wohl gerne
gewesen wäre.

Als ich wiederkam,
warst Du schon fort.
Hattest Dich davon gemacht,
ganz leise,
als solle keiner merken,
dass Du den Kampf
trotz des Allmächtigen
an Deiner Seite
verloren hattest.


Erstfassung:

So gern
hätte ich Deine Stimme
noch gehört und
(ich gebe es zu)
ein Dankeschön,
ein Abschiedswort.

Du schliefst
als ich
zum letzten Mal
Dein Zimmer betrat.

Dich zu berühren
wagte ich nicht,
Du hattest es mir
zu selten gestattet

und meine Haut
brannte noch.

Nur die Geschichte
ließ ich da
-Du hattest mich ja darum gebeten-
von dem Engel,
der die Müden stärkt
und der –wie vermessen –
ich wohl gerne
gewesen wäre.

Als ich wiederkam,
warst Du schon fort.
Hattest Dich davon gemacht,
ganz leise,
als solle keiner merken,
dass Du den Kampf
trotz des Allmächtigen
an Deiner Seite
verloren hattest.
Zuletzt geändert von leonie am 22.10.2006, 21:05, insgesamt 1-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 22.10.2006, 18:56

Liebe leonie,

ich glaube dieses Gedicht lehnt sich an deine anderen Vatergedichte an, stimmt das? Mit dem Thema hast du dich ja shcon einige Male auseinander gesetzt und ich mag deine Schilderungen...schmerzhaft aber sanft...

Schon der Klang der ersten Strophe fängt mich...trägt mich in das Thema hinein, dann die Klammer, die trifft mich (ich mag solche Elemente, KLammern haben etwas magisches...etwas, das kein Wort hat...daher mein Vorschlag für hier:





Nur die Geschichte
ließ ich da
-Du hattest mich ja darum gebeten-
von dem Engel,
der die Müden stärkt
und der
(wie vermessen) <---Element von oben aufgegriffen, wenn du das nicht übernimmst, füg noch ein Leerzeichen vor wie ein, da fehlt noch eins)
ich wohl gerne
gewesen wäre.


Im gesamten Verlauf finde ich die Setzung noch etwas ungeordnet, kann aber nicht genau sagen, woran das liegt, ich wollte ansetzen, aber ich konnte nur verschlimmbessern, also habe ich wieder gelöscht...es erscheint mir noch etwas zu unruhig (aber nur die Setzung, nichts anderes).

Ansonsten finde ich die Szene serh sehr ehrlich und sehr sehr sanft, voller Liebe für einen Menschen, dem man verzeiht, ohne dass dieser einen gebeten hätte und obwohl man eben dieses vermisst...

Kennst du Kierkegaard? Ich glaube, seine Auseinandersetzung mit diesem Thema könnte dich serh berühren...(nicht theoretisch...ganz menschlich..."söhnlich"...). Wenn du magst, würde ich dir einen Ausschnitt hier zeigen...

Liebe Grüße und anke, dass ich diese Zeilen lesen durfte,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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leonie
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Beitragvon leonie » 22.10.2006, 21:03

Liebe Lisa,

danke für Deine Rückmeldung zu diesem Gedicht. Es ist entstanden, nachdem ich arams Text gelesen hatte. Er rief diese Erinnerung hervor an einen Menschen (nein, nicht mein Vater), dessen Sterbeprozess ich über fast zwei Jahre begleitet habe und der sich dann, wie mir schien, ohne Abschied „davongemacht“ hat. (Ich habe erst hinterher gemerkt, dass er sich auf eine Weise verabschiedet hat, die ich zunächst gar nicht wahrnehmen konnte.) Ich habe in dieser Zeit viel gelernt und es berührt mich immer noch, an ihn zu denken. Ich könnte ein kleines Buch darüber schreiben...
Ja, das Gedicht ist irgendwie noch nicht „fertig“, nicht „rund“. Ich wollte versuchen, durch so „selbstreflektierende“ Aussagen etwas Distanz zu schaffen. Bin aber nicht richtig zufrieden damit. Aber die Klammern sind eine gute Idee.
Ich kenne Kierkegaard kaum und freue mich, wenn Du mir etwas dazu schreibst!

Liebe Grüße
leonie

maxl

Beitragvon maxl » 22.10.2006, 23:17

Hallo Leonie,

dein gedicht fließt mitten ins herz.

Dich zu berühren
wagte ich nicht,
Du hattest es mir
zu selten gestattet

und meine Haut
brannte noch


starkes bild!

wollte ich nur gesagt haben.

lg
maxl

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leonie
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Beitragvon leonie » 23.10.2006, 11:24

Danke, maxl!

Ich freue mich sehr über Deien Rückmeldung!

Liebe Grüße

leonie

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.10.2006, 11:55

Liebe leonie,
nun muss ich aber protestieren, für mich ist das Gedicht rund! Allein die Setzung lässt es noch etwas unruhig erscheinen, die Aussage, das Erzählte, die Bilder, sind einfach treffend (im doppelten Sinne) und auch in sich abgeschlossen!

Für mich ist es gar nicht wichtig, ob es um deinen Vater oder einen anderen geht...die Perspektive ist für mich aber eine Vater-Kind-Perspektive, auch wenn das Verhältnis nicht "wirklich" so ist...die Macht des Du's ist groß und die Liebe (Mühe) des Ich's kämpft. darum nenne ich es Vatergedicht.

Wenn du magst, kannst du ja mal schrieben, an welchen Stellen für dich der text noch nicht rund ist....?

Zu Kiergegaard:

Ich bin nicht getauft. Ich liebe Kierkegaard (= schöne Mischung, deshalb treibe ich es in dieser Gegenüberstellung auf die Spitze) kein anderer Philosoph (außer Hume, aber das auf ganz anderer Empfindungsebene) spricht für mich so wahr...und das hat (ohne das man ihn wegdenken muss & darf!) nicht mal etwas mit dem Kontext Christentum zu tun, wenn es auch elementar ist. Das es sowas überhaupt in der Philosohie gibt ohne dass es falsch ist (im Sinne von Götzentum/Fan sein etc.), das war bisher das chönste in meinem Studium...

Ich habe das vorliegende leider nur als Hördatei, habe da shier also abgetippt, die Interpunktion ist also nur dem Sprechen nach empfunden. Vielleicht ist es müßig, aber vielleicht hörst du, warum für mich diese Zeilen nahe an deinem Gedicht sind. Es ist gar nicht mal, was er sagt, sondern wie er es sagt, der Satzbau ist zerschmetternd! (Zwei Beispiele habe ich dafür mal kursiv gemacht):

Als Kind ward ich strenge und mit Ernst im Christentume erzogen. Menschlich gesprochen, auf wahnsinnige Weise erzogen. Bereits in der frühesten Kindheit hatte ich mich verhoben an den Eindrücken, unter denen der schwermütige alte Mann, der sie auf mich gelegt hatte, selber zusammensank. Ein Kind, auf wahnsinnige Weise dazu verkleidet, ein schwermütiger, alter Mann zu sein. Fürchterlich. Was Wunder denn, dass mir das Christentum vorkam, als die unmenschlichste Grausamkeit, ob ich gleich niemals selbst damals nicht, als ich am weitesten von ihm fort war, die Ehrerbietung für es fahren ließ. Fest entschlossen, zumal, wenn ich es nicht selber wählen würde Christ zu werden, nie jemand in die Schwierigkeiten einzuweihen, die ich erkannte und von denen ich niemals ein Wort hörte oder las.[...]
Mich hatte es aber, menschlich gesprochen, höchst unglücklich gemacht. Das hing zusammen mit dem Verhältnis zu meinem Vater, dem Menschen, den ich am höchsten geliebt.
Nun, was will dies sagen. Dazu gehört, das er der ist, der einen unglücklich gemacht hat, aber aus Liebe. Sein Fehler lag nicht im Mangel an Liebe, sondern darin einen alten Mann und ein Kind zu verwechseln. Den lieben, der einen glücklich macht, ist eine in Richtung auf Reflexion mangelhafte Bestimmung der Liebe. Den lieben, der einen in Bosheit unglücklich gemacht hat, ist Tugend. Aber den lieben, der aus Liebe, also dank eines Missverständnis, jedoch aus Liebe einen unglücklich gemacht hat, das ist die, allerdings, soweit ich weiß, die bisher noch nie beschriebene, jedoch normale Reflexionsformel für das Lieben.

So ging ich hinaus in das Leben. Auf jegliche Weise begünstigt. In Hinsicht auf Geistesgaben und äußere Verhältnisse. Es war und es ward alles getan, meinen Geist so reich wie möglich zu entwickeln. Freien Sinns, doch mit einer entschiedenen Vorliebe und Sympathie für Leiden und für alles, was auf die eine oder andere Weise gedrückt und leidend ist. So kann ich im gewissen Sinne sagen, ging ich hinaus ins Leben. Mit einer nahezu tollkühnen Erhebung. Ich bin auch nie auch nur einen Augenblick in meinem Leben von dem Glauben verlassen gewesen, man kann, was man will, nur eines nicht, alles andere sonst unbedingt, eines aber nicht, nicht die Schwermut beheben, in deren Gewalt ich war.


zitiert nach gültigem Zitierrecht aus Kierkegaard: Über meine Wirksamkeit als Schriftsteller"
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Beitragvon leonie » 23.10.2006, 15:43

Liebe Lisa,

ich habe Dir dazu eine PN geschrieben.

leonie

Eliane

Beitragvon Eliane » 23.10.2006, 16:22

Liebe Leonie,

ich denke, du solltest an dem Gedicht nichts mehr verändern.

Dass du

"brannte noch"

abgesetzt hast, finde ich gut.

vielleicht könntest du das "ja" weglassen in der Passage

nur das Buch

ließ ich da
-du hattest mich (ja) darum gebeten-

das doppelte lange "a" stört ein klein wenig.

Wenn die Setzung auch etwas unruhig wirkt, so wird dieser Eindruck beim Lesen sofort aufgehoben. Es steht alles an seinem Platz, wie ich finde!

Es würde mich interessieren in welchem zeitlichen Abstand zum Erlebten du dieses gefühlvolle Gedicht geschrieben hast. Nach meiner Erfahrung bedarf es dazu einer gewissen Zeit.

lieben Gruß,
Eliane

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Beitragvon leonie » 23.10.2006, 23:13

Liebe Eliane,

danke für Deine Rückmeldung und die Ermutigung, es so zu lassen. Ich finde es stellenweise ein wenig umständlich, merke aber, dass ich nichts streichen kann. Es ist schon lange her, das Gedicht ist nur eine Momentaufnahme in einem Prozess, der auch sehr viel andere Elemente enthielt. Vielleicht schreibe ich noch mal etwas dazu.
Trotzdem stellt sich mir die Frage nicht, ob ich es eher hätte schreiben können. Ich habe damals noch keine Gedichte geschrieben und jetzt war der Auslöser für die Erinnerung und das Schreiben arams Gedicht (einige fragen zu w.s besagtem ende).
Aber tendenziell gehöre ich auch eher zu denen, die ein wenig Abstand brauchen. Aber ich denke, das muss nicht immer so sein. Tom hat ein Gedicht hier eingestellt, dass er direkt nach dem Tod seiner Mutter geschrieben hat (Ich denke, ich darf das schreiben, weil er es damals selbst erwähnt hat...)

Liebe Grüße
leonie

Herby

Beitragvon Herby » 24.10.2006, 12:33

Liebe Leonie,

nach vergleichendem Lesen muss ich sagen, dass die letzte Textvariante durch die Überarbeitung deutlich an Tiefe und Dichte gewonnen hat, obwohl es ja nur wenige Änderungen waren, die Du vorgenommen hast. Ich wüsste auch nicht zu sagen, was Du noch ändern könntest.

Für mich ist Dir da ein äußerst berührender und in sich runder Text gelungen. Danke dafür!

Liebe Grüße
Herby

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 24.10.2006, 14:45

Liebe Leonie,

ein schönes, sentimentalistisches Gedicht. Allerdings wundere ich mich ein wenig über die letzte Strophe. Wenn ein Sterbender Gott an seiner Seite weiß, dann kann er / sie den Tod doch nicht mehr als Kampf sehen, der verloren geht, oder? Mir fallen da eher Euphemismen wie "Heimkehr" oder "entschlafen" ein.

Fragt

Paul Ost

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Beitragvon leonie » 24.10.2006, 18:33

Lieber Paul Ost,

was genau meinst Du mit sentimentalistisch, das klingt für mich so negativ, obwohl Du doch sagst, dass Du es schön findest (rätsel,...)?

Bei diesem Menschen war es so, dass er trotz schon früher sehr schlechter Prognose der festen Überzeugung war, Gott würde ihn heilen. Und das bis zum Schluss. Dass er sterben könnte, war (scheinbar, nach dem, was man von außen erkennen konnte und was er auch sagte), nicht in seinem Bewusstsein. Das hat er allenfalls auf „Metaebenen“ mitgeteilt, die sehr schwer zu entschlüsseln waren (Der Engeltext war übrigens eine davon, aber das habe ich erst später begriffen). Es war eine sehr bewegende Erfahrung, in vielerlei Hinsicht...

Liebe Grüße

leonie

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 24.10.2006, 20:36

Liebe Leonie,

das klingt jetzt auf liebenswerte Weise naiv. Aber zumindest verstehe ich nun, dass der Glaube dem lyrischen Du angehört und nicht notwendigerweise dem lyrischen Ich.

Grüße

Paul Ost

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Beitragvon leonie » 24.10.2006, 20:56

Lieber Paul Ost,

ja, es geht um den Glauben des Lyr Du. Meinst Du den, wenn Du schreibst, "auf liebenswerte Weise naiv". Ich war mir nicht klar darüber, worauf Du das beziehst.
Und wenn es geht, hätte ich gern noch eine kurze Erläuterung zu "sentimentalistisch"...

leonie


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