9. November

maxl

Beitragvon maxl » 03.11.2006, 22:58

Liebes Forum,
ich habe mich zu einer 3. Version entschlossen, es war einfach zu viel Celan drin. Grenzt schon an Plagiat, das geht nicht.

lg
maxl

3. Version

– wir trinken schwarze Milch
in der Frühe –


kristall in 6 millionen
splitternden qualen – dunkel
umfängt uns damals wie

heute opfertod mit aschenem
haar – lachen gefriert
derweil es niemals endet

trophäen werden gezeigt
aber das blut versteckt
die tränen abgewaschen:

man tut nur die pflicht





2. Version

Kristall in 6 Millionen
Splittern – wir trinken schwarze Milch
in der Frühe
und zur Nacht

die dunkel uns umfängt
damals wie heute - unentrinnbar
gefangen in Geschichte klingt

süß die Geige – Lachen gefriert
Sulamith streicht dem Tod
ihr aschenes Haar ins Gesicht


1. Version

Kristall in 6 Millionen
Splittern – wir trinken schwarze Milch
in der Frühe
und nachts

süß die Geige – Lachen gefriert
Sulamith streicht dem Tod
aschenes Haar ins Gesicht


by maxl
Zuletzt geändert von maxl am 05.11.2006, 18:10, insgesamt 4-mal geändert.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 04.11.2006, 14:46

Hallo maxl

Eine interessante Variation von Celanes Todesfuge mit einer Bezugnahme auf die Reichskristallnacht.

"Kristall in 6 Millionen
Splittern"

Die Zahl der jüdischen Opfer mit dieser Nacht in einem Satz in Verbindung gebracht. Finde ich sehr gut. Es erinnert an den menschenverachtenden Zynismus der Nazis, die Nacht ihrer vorbereiteten Aktion so zu nennen.

"Sulamith streicht dem Tod
aschenes Haar ins Gesicht "

Bei diesem Satz fehlt mir noch der Zugang. Sulamith, als Personifizierung der jüdischen KZ-Häftlinge aus der Todesfuge, klingt hier aktiv, sie streicht dem Tod aschenes Haar ins Gesicht. Das klingt nicht nach einem hilflosen Opfer. Da bitte ich Dich um Interpretationshilfe. Natürlich schreibst Du, anders als Celane, nicht aus der Erfahrung eines KZ-Opfers. Dein Blickwinkel ist fraglos ein anderer. Vielleicht könntest Du das noch etwas herausheben, indem du schreibst: "Sulamith streicht dem Tod ihr aschenes Haar ins Gesicht"?

Gerne gelesen - Das Gedicht passt zum Monatsthema und erinnert an den bevorstehenden 9. November gleichermaßen.

MfG

Jürgen

Klara
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Beitragvon Klara » 04.11.2006, 16:20

Hallo,

das dumme ist, dass an 9. Novembern so vieles passierte, die Jahrhunderte hindurch. Mir erschiene deshalb die Klarstellung der Jahreszahl bzw. des Gemeinten besser - ich zumindest denke sonst automatisch zunächst an die von Ost nach West und zurück strömenden Deutschen 1989 - und kriege das dann aucn nicht mehr aus dem Kopf beim Lesen, sondern denke an eine gewollte Kopplung, die mir dann wieder unangemessen (sehr schwaches Wort, ich weiß!) vorkommt.

LG
Klara

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noel
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Beitragvon noel » 04.11.2006, 16:28

eine hommage an celan
ein celan- puzzle
sulamith, die schwarze milch der frühe, das aschfarbene haar...

mir ist zu wenig eigenes im text.

noel
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

maxl

Beitragvon maxl » 04.11.2006, 23:08

Hallo Jürgen, Klara, Noel,

Ich habe das Gedicht erweitert, damit mehr eigener Text dazukommt, Noel.

Klara, ich möchte keine Jahreszahl schreiben, auch wenn dich das Datum an andere Ereignisse erinnert. Mich erinnert es an die Reichskristallnacht.

Die Zahl der jüdischen Opfer mit dieser Nacht in einem Satz in Verbindung gebracht. Finde ich sehr gut. Es erinnert an den menschenverachtenden Zynismus der Nazis, die Nacht ihrer vorbereiteten Aktion so zu nennen.


Es freut mich, dass du meine Gedanken nachvollziehst. Es ist ein Gedichtexperiment, deswegen wollte ich Sulamith als aktives Leid beschreiben. Ich sehe es Jahrzehnte später mit der Wut über das, was geschehen ist.
Deinen Vorschlag nehme ich an, das ist gut. Danke dafür.

lg
maxl

Max

Beitragvon Max » 05.11.2006, 19:12

Lieber Maxl,

ich bin da ein wenig gespalten. Mir gefallen z.B. die 6 Millionen Splitter - das Bild trägt.

Die Anspielungen an die Todesfuge aber finde ich schwierig - gerade mit Pual Celan-Zitaten im Gedicht entsteht die Gefahr, dass man sich ein wenig überhebt (ist nicht bös gemeint) und dass die stärkesten Phrasen halt von Celan sind ...

Liebe Grüße
max

maxl

Beitragvon maxl » 05.11.2006, 23:51

Lieber Max,

Deswegen habe ich Celan nur mehr als Überschrift drin. Er ist viel stärker als ich, klar.

Vielleicht muss ich es auch weg werfen ....

lg
maxl

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 06.11.2006, 10:26

Lieber maxl,
weißt du, warum ich diese "Kombi" schwierig finde? Celans "Hermetik" ist sicher auch "Legende", Vorurteil, ein zweites, zugespitztes Mozartkind, aber eben nicht nur. Es gibt zwar in vielen Gedichten Celans direkte, historische Verweise, aber die lauten niemals "9. November". Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Celans Gefühl entspräche, so intertextuell zitiert zu werden (was nicht pietistisch gemeint ist, sondern nur emotional).

Zudem ist es für mich schwer zu schlucken, von jemandem, der weniger betroffen als Celan ist (ich unterstelle dir jetzt einfach mal, dass du, gemessen daran, dass Celan mitbekam wie seine Eltern erschossen wurden, ähnlich "harmlos" betroffen bist von dem Thema wie ich) , mithilfe eines stärker betroffenenen über ein Zitat einen text über ein Thema zu lesen -..

Auch kann ich für mich die Todesfuge nicht auseinanderreißen...schon allein, dass sich ein einziger Reim in ihr befindet (blau/genau) fordert für mich den "Rest" immer dabei...

...wenn eine solche Kombination, dann würde ich das Thema "erneuern", das heißt, in unsere Zeit holen...Reichsprogromnächte der heutigen zeit schildern..."...in die Richtung gehen - ?

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max

Beitragvon Max » 06.11.2006, 10:58

Lieber Maxl,

ich würde es nicht wegwerfen - vielleicht lässt sich ja auch Celan durch Maxl ersetzen?

Liebe Grüße
Max

scarlett

Beitragvon scarlett » 06.11.2006, 11:11

Lieber Maxl,

ich habe nun dein Gedicht einige Male gelesen - die einzelnen Versionen mitverfolgt - und muß sagen, daß mich der Text bewegt. Auch halte ich es nicht für "gewagt", so ein "Puzzle" zu schreiben.
Es ist m M nach schon genügend eigenes darin zu finden, vor allem das Bild des Kristall in sechs Millionen ... das ist schon sehr gut, das berührt und wie Max sagte, es "trägt".
Die dritte Version finde ich dabei am gelungensten - und ich kann darin durchaus auch einen Bezug zum Heute finden.
Was mir nicht klar ist, willst du den Titel behalten oder soll die erste Textzeile Titel sein/werden? 9. NOvember fände ich besser.

Was mich allerdings irritiert und das von Anfang an ist die Tatsache, daß das Celan-Zitat so nicht ganz korrekt ist - du hast es aber komplett kursiv gesetzt. Ich war dermaßen verunsichert, daß ich mir jetzt doch noch mal die Todesfuge vorgenommen habe, nur um festzustellen, daß ich mich nicht getäuscht hatte - Da das von dir also Absicht zu sein scheint, frage ich mich nun wieso?

Insgesamt finde ich deine Verwebung allerdings gelungen und habe damit keinerlei Berührungsängste und erstarre auch nicht in Ehrfurcht vor dem großen Celan, warum sollte man das nicht mal machen?

Liebe Grüße,

scarlett

maxl

Beitragvon maxl » 06.11.2006, 13:00

Liebe Lisa,

klar bin ich weniger betroffen als Celan, bewundere aber immer schon seine Bilder.
Danke für deinen Tipp, es noch mehr zu aktualisieren.

Liebe Max,

Hm .... wahrscheinlich eben nur dieScherben behalten, den Rest umarbeiten. Mal sehen ob es klappt.

Liebe Scarlett,

danke für deine Überlegungen. Das Celan-Zitat ist so nicht korrekt, das stimmt. Nachdem es aber ein Versuchsmodell ist, was ich da schrieb, war mir das (noch) nicht wichtig. Ich wollte nur euren Rat, ob ich überhaupt weiter machen soll damit.

9. Vovember soll Titel bleiben. Ich versuche mal was ohne Celan, auch wenn ich dir recht geben, man muss nicht erstarren vor Ehrfurcht.

Bitte um Geduld. Wenn ich nicht weiterkomme, dann werde ich die Firmenleitung ersuchen, den Thread zu löschen.

Vielen Dank!
maxl


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