Was im Mai geschah

Max

Beitragvon Max » 07.01.2007, 16:34

Was im Mai geschah

Im Garten wuchsen vier Birken. (Der Vater hatte sie gepflanzt.) Eine für den Vater, eine für die Mutter und je eine für die beiden Söhne. Eigentlich waren es nur drei Birken. Die Birke der Eltern teilte sich kurz über der Wurzel.

Im Garten blühten auch zum ersten Mal die frisch gesetzten Blumen. Nachbarskinder (Olaf und Claudia) pflückten sie und schenkten sie der Mutter. Die Mutter stellte die Blumen in einer Vase ins Küchenregal. Sie war traurig.

Im Küchenregal stand auch ein Porzellanbecher. Der zeigte einen Maronenverkäufer und darin war kalter, schwarzer Kaffee. Die Mutter erklärte dem Jungen, dass Maronen Esskastanien sind (der Junge staunte, dass man Kastanien essen kann, sollte sie aber viel später doch einmal essen) und dass man von kaltem, schwarzem Kaffee schön wird.

Einmal kam der Junge in die Küche, und die Mutter sang: „Der Mai ist gekommen!“ Ihr Haar glänzte schwarz. Der Junge war sich sicher: Das kam bestimmt vom Kaffee.

Die Birken trugen erstes Grün und die Mutter starb. Sie fehlte. Vor allem bei der Aufführung, bei welcher der Junge ein Prinz war. Auch der Becher auf dem Kücheregal mit dem Maronenverkäufer und dem Kaffee (kalt und schwarz) fehlte.

Der Vater fällte die Birken. Die für die Mutter, die für den Vater und die für die Kinder. Dann heiratete er eine andere Frau.

Das alles geschah im Mai, in verschiedenen Jahren.


Einige Passagen geändert mit Hilfe von Magic und Annette (siehe deren Beiträge). Die Haare glänzen jetzt auch schwarz statt zu leuchten, dank Pandora. Einige Tippfehler habe ich noch dank Klara, Herby und Niko ausmerzen können. Herby ist auch dafür verantwortlich, dass sich in der letzten Zeile der Punkt in ein Komma verwandelt hat. Danke allen.
Zuletzt geändert von Max am 15.01.2007, 15:28, insgesamt 6-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 07.01.2007, 17:49

Lieber Max,

deine Geschichte berührt mich sehr. Es gibt so viele Passagen, die wunderbare Bilder erzeugen und zugleich metaphorisch sind, z.B. die Birke der Eltern, die sich über der Wurzel teilt und eben ein Baum ist, für die Liebe der beiden steht. Auch die (liebevoll) gesetzten frischen Blumen, die gepflückt (getötet) werden und die Mutter traurig machen. Das kindliche Staunen über die essbaren Kastanien, die "Magie" des Kaffees, die sich durch den Text zieht, das erste Grün, verbunden mit dem Tod der Mutter. Ach, ich könnte eigentlich den ganzen Text zitieren.
Was mir besonders gefällt, dass du über viel Trauer schreibst, jedoch ohne Pathos, sondern aus der Distanz heraus, das berührt umso mehr.
Die Klammern könntest du evtl. weglassen und im Text ganz normal integriert lassen, nur mal als Idee.

Hier:

In dem Küchenregal stand auch ein Porzellanbecher. Der zeigte einen Maronenverkäufer. In ihm war kalter, schwarzer Kaffee.


würde ich umstellen, da man sonst erst den Bezug falsch setzt, dass im Maronenverkäufer kalter schwarzer Kaffee steckt. Klar, man versteht, dass der Becher gemeint ist, aber es wirkt etwas ungelenk.

Ein wunderbarer Ausschnitt aus mehren Mai-Monaten.
Ich habs sehr gerne gelesen!
Saludos
Magic

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annette
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Beitragvon annette » 07.01.2007, 18:19

Lieber Max,

gefällt mir auch sehr: Die einfache Sprache, die so viele Bilder erzeugt.
Ein paar Kleinigkeiten:
Max hat geschrieben:In dem Küchenregal stand auch ein Porzellanbecher.

Ich würde sagen: Im Küchenregal, liest sich für mich besser.
Max hat geschrieben:Der zeigte einen Maronenverkäufer. In ihm war kalter, schwarzer Kaffee.

Den Bezug finde ich klar, aber ich würde sagen: "Darin war kalter, schwarzer Kaffee."
Max hat geschrieben:(der Junge staunte, dass man Kastanien essen kann, sollte sie sie aber viel später doch einmal essen)

> ein sie zuviel.
Max hat geschrieben:Das alles geschah im Mai. Wenn auch in verschiedenen Jahren

Ohne wenn auch fände ich es direkter. So klingt es fast etwas entschuldigend.

Der Text lässt viel Platz für Geschichten im Kopf von Leser/in - schön!

Gruß, annette

Louisa

Beitragvon Louisa » 07.01.2007, 19:05

Hallo Max!

Jetzt hat Annette schon alle kleinen, winzigen, kaum erkennbaren Fehlerchen aufgelistet! Dann kann ich mich ja ganz dem Lob für dieses kleine Stimmungsbild hingeben!

Es ist bewundernswert, dass Du soviel an Beziehungen, Gefühlen, Bildern und Schicksalsschlägen in so wenige Zeilen verpacken kannst. Das ist ganz toll, finde ich!

Besonders das Bild mit den Birken, aber auch die Schönheit dieser Frau, die kleinen, liebevollen Bilder der Vergangenheit (Kafffeedose, das schwarze Haar, die Maronen)-

Das alles ist wunderschön erzählt und gerade diese kleinen Dinge beschreiben den Menschen und das Leben, sodass man wirklich mitempfindet, was Du schreibst.

Also: Das ist eine tiefsinnige, berührende Geschichte, die mir sehr gefällt! Man könnte vielleicht noch mehr davon erzählen (das nächste Mal, meine ich)-

Liebe Grüße + :blumen: !
l

Max

Beitragvon Max » 07.01.2007, 19:17

Liebe Magic,

danke für die liebe Rückmeldung. Wenn Du schreibst

Die Klammern könntest du evtl. weglassen und im Text ganz normal integriert lassen, nur mal als Idee.


so habe ich gerade gedacht, die Klammern seien gag (ich meine natürlich Stilmittel) um eine weitere Ebene in den Text einzuziehen, aber ich denke mal über sie nach.

Mit dem Bezug

Hier:


Zitat:In dem Küchenregal stand auch ein Porzellanbecher. Der zeigte einen Maronenverkäufer. In ihm war kalter, schwarzer Kaffee.


würde ich umstellen, da man sonst erst den Bezug falsch setzt, dass im Maronenverkäufer kalter schwarzer Kaffee steckt. Klar, man versteht, dass der Becher gemeint ist, aber es wirkt etwas ungelenk.


hast Du recht - ebenso wie Annette, die da schon einen sehr guten Verbesserungsvorschlag gemacht hat.
danke!

Liebe Annette,

danke für das liebevolle und genaue Lesen. Ich denke, ich werde Deine Korrekturvorschläge alle übernehmen(allein an dem "wenn auch" möchte ich noch überlegen, da bin ich noch nicht sicher, was ich möchte).

Liebe Grüße
max

Max

Beitragvon Max » 07.01.2007, 19:23

Liebe Louisa,

danke auch für deine Kommentar - ich war gar nicht sicher, ob und wie die kleine Geschichte wirkt. es ist übrigens keine Kaffeedose, sondern Du musst Dir einen Becher mit kaltem Kaffee vorstellen
:-).

Mit

Man könnte vielleicht noch mehr davon erzählen (das nächste Mal, meine ich)-


hast Du recht - mir fiel beim Schreiben auf, dass da Raum für alles zwischen 1 und 100 seiten ist (naja, ich will hier niemand verschrecken ;-) ).

Liebe Grüße
Max

Louisa

Beitragvon Louisa » 07.01.2007, 19:30

(Stimmt! Es war ein "Porzellanbecher"! Pardon! Oh, das tut mir leid! Ich habe mich schon gewundert wieso man aus einer Dose trinkt!)

(Ich freue mich über 100 Seiten davon!!!)

Gast

Beitragvon Gast » 07.01.2007, 19:55

Lieber Max,
wie schön und berührend. Ich kann kaum mehr sagen, weil ich das Gefühl habe, zu viele Worte, auch die des Lobes, würden den zarten Text erdrücken.
Auf mich wirkt er sehr innig.

Wenn du Umstellungen, bei manchen Formulierungen vornimmst, überdenke diese auch noch einmal:

Die Mutter stellte die Blumen in einer Vase ins Küchenregal
Vielleicht.
Die Mutter stellte die Vase mit den Blumen..., dann hast du nicht 2 x in.

Liebe Grüße
Gerda :smile:

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Beitragvon leonie » 07.01.2007, 21:20

Lieber Max,

das ist wirklich , ich mag nicht sagen schön, aber gelungen ist auch zu wenig. Sehr berührend. Und dann mit so wenigen Worten so tiefgehend. So etwas mag ich richtig gern.

Eine Kleinigkeit als Vorschlag, weil der Relativsatz ein wenig umständlich klingt:

Vor allem bei der Aufführung: Der Junge war ein Prinz.

Liebe Grüße

leonie

aram
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Beitragvon aram » 08.01.2007, 02:57

lieber max!

inhaltlich und konzeptionell gefällt mir "was im mai geschah" sehr.

einzig mit dem stil kann ich mich nicht anfreunden - es stehen so viele kurze sätze hintereinander, dass für mich kein fluss ensteht - durch die vielen satzenden klingt jeder einzelne satz extra betont, feststellend - dadurch lese ich den text, als stünde das "feststellende", dokumentarische daran im vordergrund (im gegensatz zum "erzählten", berührenden)

das stilmittel der kurzen sätze erinnert mich auch an "kindliches" erzählen, ebenso die satzanfänge "einmal" und "dann", die 'erklärende' bemerkung "sie war traurig." und formulierungen wie "kurz über der wurzel" (als 'erwachsener' sagte ich eher "über der wurzel" oder "nahe der wurzel") - das passt jedoch nicht, da der text rückblickend, also wohl aus erwachsener perspektive geschrieben ist (zumindest kann ich keine anhaltspunkte für eine 'zwischenzeitliche' perspektive - z.b. eines etwa 12 jährigen - finden - die bezeichnung "junge" schließt das auch aus.)

stil und perspektive mischen sich also zu etwas, das mir insgesamt 'emotional unklar' wird - z.b. auch an der stelle:
"Die Birken trugen erstes Grün und die Mutter starb. Sie fehlte. Vor allem bei der Aufführung (...)" - ist das die perspektive des jungen, oder die des erwachsenen erzählers? ("und" die mutter starb)

- der text wirkt, als würde sich der erwachsene erzähler während des erzählens in die rolle des jungen zurückversetzen - das geht für mich nicht auf. davon abgesehen habe ich den text sehr gern gelesen.

liebe grüße
aram
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Max

Beitragvon Max » 08.01.2007, 10:53

Lieber Aram,

danke für Deine Rückmeldung. Was mich daran sehr interessiert sind die Sätze

durch die vielen satzenden klingt jeder einzelne satz extra betont, fests


und

der text wirkt, als würde sich der erwachsene erzähler während des erzählens in die rolle des jungen zurückversetzen


Ja das stimmt, so sollte es sein. Dann ist zumindest diese Idee transportiert. Es soll die Perspektive eines Erwachsenen sein, der natürlich nicht all das vergessen kann, was er im Erzählaugenblick weiß, der aber diese Momente aus dem Auge eines Kindes erinnert. Nun schreibst Du, dass das nicht aufgeht (was schade wäre), z.B. hier

"Die Birken trugen erstes Grün und die Mutter starb. Sie fehlte. Vor allem bei der Aufführung (...)"


Ich dachte, dass sich diese Stelle nicht von den anderen genannten unterscheidet oder täusche ich mich?

Liebe Grüße
max

aram
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Beitragvon aram » 08.01.2007, 14:55

lieber max!

interessant, dass du diese perspektive beabsichtigst - der erzähler erzählt sich selbst mit - ich fand im text keinen hinweis darauf, dass es 'absicht' ist, und wie gesagt überwiegen für mich die daraus resultierenden 'unklarheiten' - es ist ein ansatz, der sich nach meinem gefühl so noch nicht 'durchführen' lässt (er wird in der 'mischung' widersprüchlich / nicht mehr zuordenbar) - ich frage mich, warum du dich in in diesem fall gegen einen icherzähler entscheidest?

- weiß nicht, ob das 'persönlicher geschmack' ist, dass diese perspektivmischung nicht aufgeht für mich, und hoffe, du erhältst auch feedback von anderen zu dieser frage.

liebe grüße
aram


p.s. an der stelle vom tod der mutter wird es besonders deutlich - sie ist lakonisch verkürzend ("und die mutter starb") und zugleich kindlich 'verbrämt' - auf mich wirkt das nicht 'authentisch', beide perspektiven mischen und verschleiern sich gegenseitig
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Beitragvon annette » 08.01.2007, 15:23

aram hat geschrieben:es ist ein ansatz, der sich nach meinem gefühl so noch nicht 'durchführen' lässt (er wird in der 'mischung' widersprüchlich / nicht mehr zuordenbar) - ich frage mich, warum du dich in in diesem fall gegen einen icherzähler entscheidest?

Ich kann das mit der "Mischung" zwar nachvollziehen, aber es stört mich nicht. Erzähltechnisch kommt es meiner Meinung der erlebten Rede eines allwissenden Erzählers nah. Das ist ja nicht so ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist dieses Stilmittel allerdings in einem so kurzen Text - zugegeben.

Mir gefällts.

Lieber Gruß, annette

Max

Beitragvon Max » 08.01.2007, 17:48

Lieber Aram,

Du schreibst:

ich frage mich, warum du dich in in diesem fall gegen einen icherzähler entscheidest?


weil der Icherzähler zu nahe dran ist für meinen Geschmack. Der Icherzähler pathetisiert Dinge, die ich nur so erzählen kann. Ein Icherzähler müsste ja auch notgedrungen auf den Tod der Mutter, der hier nur als ein Ereignis unter einigen, die im Mai geschahen, erzählt werden soll, genauer eingehen, etc. Die Perspektive kann ich nicht einnehmen ...

Die Erzähöperspektive soll dazu auch das längst Gewesene ausdrücken, etwas was war, was berührt, aber eben so lange her ist, dass es nicht mehr schmerzt.

Liebe Annette,

dake auch für Deine Rückmeldung ... solange es "nur" ein ungewöhnliches Stilmittel ist, würde ich es geren zunächste beibehalten.

Liebe Grüße
max


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