Kindheit

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 11.03.2007, 12:52

Oder der Kleine
von gegenüber
schreit wieder
und läuft
drei Minuten später
auf die Straße.

Die Schultern
so merkwürdig
nach vorn gezogen,
wie einer,
der sich nicht
leiden mag.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 11.03.2007, 15:01

Hallo Paul

Hey, rockiges Avatarfoto. Leider erkenne ich nicht viel von dem Instrument, das Du da spielst.

Der Text spricht mich an. Das "Oder" am Anfang irritiert aber etwas. Du beziehst Dich damit auf den Titel. Es wirkt so als beschreibt das Folgende Kindheit. Wäre hier nicht "Eine Kindheit" passender. Es klingt für mich so, als wären Kinder immer so, wie der Text den Kleinen beschreibt. Oder siehst Du das so und wolltest genau das beschreiben?

Ich frage mich, wie Menschen aussehen, die sich selbst nicht leiden können. Du beschreibst sie als mit nach vorn gezogenen Schultern. Bei entsteht das Bild einer Haltung mit einem krummen Rücken, vielleicht sogar Ansätze eines Buckels. Finde ich sehr passend das Bild. Das "so" vor merkwürdig könnte man vielleicht weglassen.

MfG

Jürgen

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 11.03.2007, 15:11

Lieber Jürgen,

das "oder" bezog sich auf einen Text von Max, der im lyrischen Dialog vorangegangen war.

Ohne diesen Bezug kann man es vielleicht so lesen: Dem idealisierten Bild der Kindheit wird das "Oder" einer unglücklichen Kindheit entgegengehalten.

Ich hatte ein bestimmtes Kind in Gedanken vor Augen. Die nach vorn gezogenen Schultern wirken wie eine Abwehrhaltung gegen das Leben. Sie treten oft auf bei Kindern, die schon früh Opfer von Gewalt werden. Diese wirkt dann sehr negativ auf das kindliche Selbstbild.

Was das "so" angeht, bin ich mir noch nicht sicher...

Grüße

paul

P.S.: Die Gitarre ist eine Patrick Eggle Berlin Pro in weinrot. Sie besteht aus zwei Stückchen Regenwald und dürfte mein Umweltgewissen für die nächsten Jahrzehnte schwerwiegend belasten. Wenn Du auch bei Thomas in Duisburg aufläufst, wirst Du sie aus der Nähe anschauen können.

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annette
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Beitragvon annette » 11.03.2007, 20:14

Lieber Paul,

der Text war mir im Lyrischen Dialog schon aufgefallen. Daher habe ich das "Oder" auch in Deinem Sinne verstanden. Ich bin mir aber nicht sicher, ob man es losgelöst aus dem Entstehungszusammenhang verstehen kann.

Nur eine Überlegung: Du könntest das "Oder" streichen und den Gedanken im Titel unterbringen. Etwa: "Auch eine Kindheit". Das ist erstmal ins Unreine, damit Du weißt, wie ich es meine.

Der Text wirft sehr feinfühlig ein Schlaglicht, das viel Platz zum Weiterdenken und für Geschichten lässt. Das mag ich.

Gruß, annette

cali

Beitragvon cali » 12.03.2007, 21:37

Paul!

Ein trauriger Text....... der in der zweiten Passage das eröffnet, was man/ich sich nicht für das Kind wünscht........ doch So kann/ist es "leider"...... allzu oft. Ob gewollt oder nicht, du hast mich erreicht!

Gruß
cali

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 13.03.2007, 09:33

Lieber Paul,

Ohne diesen Bezug kann man es vielleicht so lesen: Dem idealisierten Bild der Kindheit wird das "Oder" einer unglücklichen Kindheit entgegengehalten.


Ich habe es etwas anders gelesen (vielleicht unvoreingenommener, da ich den lyr. Dialog da nicht gelesen habe): Ich las es als Aufzählung, als tauche man mitten in eine Aufzählung einer Perspektive, die auf der Straße oder von einem Fenster aus, auf verschiedene Personen deutet und in eine dieser Beobachtungen wäre der Leser nun hineingeraten.

Ich mag das schlichte an dem Text, was mir erlaubt mit der "Intention" mitzugehen, ohne Widerwillen zu spüren, wenn mir jemand etwas über Kinder und dann auch noch "unglückliche" erzählen will.

Das "oder" ist für mich dann die Raffinesse des Textes, die seine Wirkung noch einmal steigert. So könnte ich das nie beschreiben, es würde immer zu viel des Guten.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max

Beitragvon Max » 13.03.2007, 10:04

Liebe Lisa,

natürlich solltest Du den lyrischen Dialog lesen :-) ... da befindet sich so manche schöne Idee.

Lieber Paul,

das gefällt mir, dass Du das auch dem Dialog herausgezogen hast - das ist mir schon dort ins Ausge gesprungen, weil es wahr ist, dass man dieses Selbsbefindlichkeit auch am Gang erkennen kann.

Das "oder" könnte meinethalben auch der Auftakt eines Gedichts sein. Man könnte es streichen und nähme der Aussage ein wenig von der Spontaneität ... wenn Du dringend den Bezug brauchst, kannst Du natürlich auch einfach meine paar Zeilen vorwegschreiben. Aber für mich kann das Gedicht auch so für sich ganz leicht bestehen.

Liebe Grüße
Max

Niko

Beitragvon Niko » 13.03.2007, 11:59

hallo paul!
mir gefällt dein text, so wie er da steht. das "oder" als einstieg mag ich besonders. klar - du hast erklärt, das es sich auf den vorigen text bezieht im lyr. dialog. hier bezieht es sich so losgelöst auch auf etwas, was sich der leser vorstellen muss. das "oder" am anfang deutet auf ein anders beispiel hin, was voranging. oder eine aufzählung. oder auch ein einstieg um zu sagen, wie kindheit auch sein kann. also ich finde das gelungen. ein offener anfang hat was. probiere mich zeitweilig auch darin.

lieben gruß: Niko

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 13.03.2007, 16:29

Hallo zusammen,

ich habe mich mit dem Einstieg zu diesem Gedicht ein wenig selbst bestohlen. In einem älteren Gedicht ging es um die Frage: Warum hast gerade sie geliebt? Dann könnte man Gründe aufzählen und käme irgendwann zu diesem "Oder".

http://www.blauersalon.net/online-liter ... highlight=

Grüße

Paul

Klara
Beiträge: 4510
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 13.03.2007, 17:42

Hallo Paul,

warum verrätst du dich selbst? Muss doch keiner wissen, wo du wann und ob etwas geklaut hast, solange es von dir ist.
Zauberer verraten ja auch ihre Tricks nicht...

mir gefällt dein Gedicht, gefiel es schon im Lyrischen Dialog zuvor.

Das Oder stört mich nicht, im Gegenteil, es ist eine von mehreren Möglichkeiten, egal ob rückblickend, gegenwärtig, eine Momentaufnahme oder der ganz große Schmerz.

lg
klara


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