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Der Dichter und ich
Verfasst: 08.09.2007, 00:47
von Zefira
Ich war auf Lesereise mit meinem Buch. Es enthielt zwanzig Gedichte, geschrieben in den letzten zwanzig Jahren, für jedes Jahr eines. Wohl hatte ich mir irgendwann vor vielen Jahren vorgestellt, ein dickes Buch zu veröffentlichen mit vielen hundert Seiten, Gedichten und Erzählungen, langen und kurzen. Doch mit den Jahren wurden meine Ansprüche geringer. Meine Lebenszeit reichte nicht aus, mehrere hundert Seiten vollzuschreiben, dafür schrieb ich zu langsam. So hatte ich zwanzig Gedichte ausgesucht und zu einem Verlag getragen, der ein dünnes Buch auf meine Kosten druckte.
Auch die Lesereise finanzierte ich selbst. Die erste Stadt, in der ich mein Buch vorstellte, war klein, grau und freundlich, die Gassen abends erfüllt von feuchtem Nebel, der im Licht der Laternen funkelte. Menschen gingen hin und her. Zu meinem Leseabend kamen zwölf Zuhörer. Meine Gedichte gefielen. Es gelang mir, drei Bücher zu verkaufen.
Am nächsten Tag musste ich schon sehr früh den Zug erreichen, um meine Lesereise fortzusetzen. In guter Stimmung packte ich im Hotelzimmer meinen Koffer und betrachtete die mitgenommenen Bücher, die noch in Folie eingeschweißt waren. Die Reise hatte gut begonnen, ich würde alle Bücher verkaufen können und nach meiner Heimkehr gleich das nächste Buch zu schreiben beginnen.
Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, dass es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich musste mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: "Von mir willst du den Weg erfahren?" "Ja", sagte ich, "da ich ihn selbst nicht finden kann." "Gibs auf, gibs auf", sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.
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Letzter Absatz: Franz Kafka, "Gib's auf!"
Verfasst: 08.09.2007, 08:27
von Sam
Hallo Zefira,
das ist ein wunderbarer kleiner Text, der mir vom ersten Lesen an überaus gefallen hat. Dir gelingt es, in den wenigen Zeilen ein ganz eigene Stimmung zu erzeugen. Und eine Geschichte zu erzählen, für die ein nicht so versierter Erzähler vielleicht viele Seiten gebraucht hätte. In nur einem Absatz werden die großen Erwartungen des Dichters auf realistische Größe gestutzt. Vom großen Gedichtband, zum kleinen selbstfinanzierten Büchlein. Dies aber ganz ohne Resentiment, niemand wird beschuldigt, ein großes Talent unterdrückt zu haben, keine misslichen Umstände werden herangezogen. Nur die Tatsache, dass der Dichter nicht mehr zu schreiben in der Lage war.
Dann die ebenfalls sebstfinanzierte Lesereise. Auch hier die gleiche Bescheidenheit, die in allem das Positive sieht, selbst im Nebel (der nicht etwa kalt ist, sondern funkelt). Zwölf Zuhörer und drei verkaufte Bücher werden als Erfolg verbucht, die Reise kann so weiter gehen, dann werden alle Bücher verkauft sein, und man kann das nächste Büchlein angehen.
Das ist alles so unssagbar sympathisch, ein klein wenig traurig auch, aber vor allem von einer zu Herzen gehenden Ehrlichkeit.
Das Kafka Zitat bildet einen schönen Gegensatz. Denn auf die Rufe "Gibs auf" hört der Dichter in der Geschichte nicht, obwohl er sie bestimmt unzählige Male vernommen hat. Was er uns natürlich verschweigt. Nein, er hat es vielleicht nicht erwähnt, aber er hat es uns trotzdem "erzählt".
Liebe Zefira, das ist eine echte Perle, was du da geschrieben hast!!
Vielen Dank!
Liebe Grüße
Sam
Verfasst: 08.09.2007, 11:15
von Sneaky
Hallo zefira,
da kann ich mich Sam nur anschließen. "Leicht und lässig" verfasst, lässt einen mitfühlen, ohne dass groß vorgeschrieben ist, wie das fühlen aussehen soll.
Dicker Daumen hoch
Gruß
reimerle
Verfasst: 08.09.2007, 11:35
von Gast
Liebe zefira,
ich freue mich sehr, dich hier zu lesen oder sollte ich schreiben, überhaupt einen Text von dir zu lesen?
Mich macht deine kleine Gedichte auf wundersame Weise andächtig und ein bisschen froh darüber, dass deine Erzählerin es schaftt, sich mit bescheidenen Mitteln einzurichten in ihrem Autorendasein.
Da Sam bereits ein ausführliche Würdigung geschieiben hat, blieb mir nicht merh allzu viel was ich dir schreiben konnte.
Sehr fein gesponnen
Liebe Grüße
Gerda
.. und mehr solche Texte, die Kurzprosaecke wartet auf dich
Verfasst: 08.09.2007, 12:28
von Pjotr
Hallo Zefira,
mir gefällt Dein Stück sehr. Es hat so etwas märchenhaftes. Es bringt mit Leichtigkeit mehr als nur eine Sphäre unter: die der Lebensvorgeschichte, und die des darauf folgenden vorläufigen Höhepunktes. Idyllisch verpackt mit Laternen und Gassen, gleichwohl nebelig bizarr, surreal irgendwie. Ich liebe surreales. Die Krönung dann der letzte traumartige Abschnitt, ja, es muss ein Traum sein, denn Schutzmänner verhalten sich nur in surrealen Welten so merkwürdig.
Für meinen Geschmack: exzellent.
Cheers
Pjotr
Verfasst: 08.09.2007, 12:30
von Zefira
Danke euch allen! Freut mich sehr, dass dieser Winztext, von dem obendrein nur die Hälfte von mir stammt, so gut ankommt.
Haben wir gut gemacht, Franz, gell
Übrigens ist der Text in unserer Rhöner Literaturwerkstatt entstanden. Wir haben uns die Frage vorgelegt, was
vor oder
nach oder
anstatt der Geschichte, die Kafka erzählt, passiert sein könnte.
(Möchte übrigens jemand die 197 Exemplare meines Gedichtbandes haben, die hier noch liegen?
)
Mit gescheiterten Grüßen
Zefira
@ Pjotr: Danke sehr - aber das Lob für den letzten Absatz gebührt schon dem Franz, gell!
Verfasst: 08.09.2007, 12:42
von Pjotr
Ich wusste nicht, dass der letzte Absatz von Kafka ist. Jedenfalls finde ich die Collage originell. Wenn ich ein Kurzfilmproduzent wäre, würde ich dieses Stück auf meine Liste setzen.
Verfasst: 08.09.2007, 14:22
von Mucki
Hallo Zefi,
ich bin sehr angetan von deiner kurzen Story, in der du so Vieles vermittelst. Sehr angenehm geschrieben, liest sich sehr flüssig. Der Leser wird innerlich still und kann sich sehr gut in den Protag versetzen. Da ist kein Satz, kein Wort zuviel. Alles an seinem richtigen Platz.
Ich hab es sehr gern gelesen und freu mich besonders, einen Prosa-Text von dir genießen, mehr davon!
Saludos
Mucki
Verfasst: 08.09.2007, 15:12
von Zefira
Danke, Mucki
Ich habe den Hinweis auf Kafka mal etwas hervorgehoben.
Die Geschichte "funktioniert" wohl auch, wenn man nicht weiß, dass die "Gib's auf"-Parabel von Kafka ist, aber der Titel hätte dann keinen Sinn.
Gruß in die Runde,
Zefira, die nichts aufgibt
Verfasst: 08.09.2007, 15:31
von Elsa
Liebe Zefira,
Ich liebe es ja (und mache es gern bei Lyrik), Zitate aufzugreifen und einzubauen. Es ist dir hier vorzüglich gelungen! Und dein eigener Text so besonders, weil er nicht auftrumpft, sich nicht wichtig macht, sondern schlicht im besten Sinn des Wortes ist.
(Möchte übrigens jemand die 197 Exemplare meines Gedichtbandes haben, die hier noch liegen?
Ich bitte! Aber nur 1x, wenn das geht!
Lieben Gruß
ELsa
Verfasst: 08.09.2007, 16:04
von Pjotr
Ich Schlaftablette. Andere Dichter und ich. Der andere Dichter ist Kafka. Himmel, bin ich langsam. Aber ich schaue auch wirklich nie auf die vielen blauen großen und kleinen Überschriften. Es ist alles so blau hier ...
Verfasst: 08.09.2007, 22:48
von Zefira
Pjotr hat geschrieben:Es ist alles so blau hier ...
Ja, und du vorneweg. Was ist denn mit deinem Avatar passiert? Wo ist mein Tenor hin?
Aber es freut mich schon, dass Du den Übergang nicht bemerkt hast. Dann habe ich also den Kafka-Ton ein wenig erwischen können.
Liebe Elsa, Du kriegst jetzt wie gewünscht 1x die Palette mit den 197 Büchern, hab den Laster schon geordert
Danke,
Zefira
Verfasst: 08.09.2007, 22:51
von Elsa
Zefira hat geschrieben: @Elsa: Klar, Du kriegst jetzt 1x die Palette mit den 197, hab den Laster schon geordert
Elsa, alle Türen verammelnd.
Verfasst: 17.09.2007, 12:53
von Lisa
Liebe Zefi,
ach ja, den Kakfkatext haben wir in der Schule gelesen - danke schon dafür, dass du mich an ihn erinnert hast, ich mochte ihn schon da sehr (diese Manie, die ihn scheitern lässt, nur weil es eine äußere Uhr gibt...(oder nur, weil er eine innere/freie will? ,-)).
Was mir an der Textcollage gefällt, ist, dass die Protagonisten sowohl gleich als auch verschieden wirken - auf der einen Seite scheint sich der Protagonist der Lesereisenebene ja arrangiert zu haben, Kafkas Held dagegen scheint etwas zu Hyperventilieren - und doch ist das eben nicht so, für mich sind die Wünsche gleichhoch in der Wirklichkeit angesiedelt. Keiner ist lebensfähiger als der andere und keiner ist erfolgreicher als der andere. Und beides hat eine feine Stille. Ein Kontrast ohne ~komplementären~ Effekt sozusagen, der dadurch Traurigkeit schafft, aber eben nicht Selbstmitleid.
Hab ich sehr gern gelesen!
Liebe Grüße,
Lisa
Magst du deinen Gedichtband nicht unter Veröffentlichungen vorstellen? Und ich hätte gern ein Exemplar davon. Per Pn vielleicht wir den Austausch gestalten?