Im zweiten Stock
Verfasst: 30.07.2009, 13:25
Im zweiten Stock
Die Familie Spanninger hat im zweiten Stock gewohnt. Vater, Mutter und drei Kinder. Mit denen haben wir gespielt. Im Stiegenhaus. Unsere Familie lebte im dritten Stock eines klassischen Bürgerhauses mitten in Wien. Eigentlich hatte es fünf Stockwerke, offiziell aber nur drei, denn zu Zeiten der Monarchie durften die Häuser nicht mehr Etagen haben. Das wussten die Bauherren zu umgehen, indem sie Mezzanin, Hochparterre und Dachgeschoß titulierten, was in Wahrheit eigene Stöcke waren inklusive Wohnungen. Vier Wohnungen auf jeder Ebene gab es.
Im Stiegenhaus spielten mein Bruder und ich mit den Kindern der Spanningers. Der Vater war bei der SS gewesen; einmal habe ich ein Foto von ihm in schwarzer Uniform auf der Kredenz bei ihnen gesehen. Jetzt führte er die Tabaktrafik unten im Haus. Die Wohnung gehörte vorm Krieg einem jüdischen Ehepaar, das im Vierundvierzigerjahr auf einen Lastwagen verladen wurde. Außer einem Koffer mit dem Nötigsten durften sie nichts mitnehmen. Die zurückgebliebenen Werte gehörten nun den Spanningers. So war das bei uns im Haus. Gestern, kommt mir vor, dabei ist das alles ewig her.
Damals war ich noch gar nicht auf der Welt. Meine Mutter und ihre Schwester spielten zu dieser Zeit im Stiegenhaus. Sie rutschten auf dem Hintern die glatten Steinstufen hinab. Meine Großmutter stellte bei Fliegeralarm den Topf mit den Erbsen unter die Bettdecke, um sie fertig zu garen, wenn das Gas ausging und alle in den Keller liefen, um die Bomben zu überleben.
Weil meine Mutter die Deportierung des Ehepaares vom zweiten Stock mitansah, legte sie ihre Mitgliedschaft beim Bund Deutscher Mädchen zurück. Meine Großmutter traf fast der Schlag vor Angst. Aber es passierte nichts weiter, wahrscheinlich nahm man Kinder damals genauso wenig ernst wie heute.
Die Spanningers aus dem zweiten sind mittlerweile tot. Das jüdische Ehepaar aber noch viel länger …
by ELsa
Die Familie Spanninger hat im zweiten Stock gewohnt. Vater, Mutter und drei Kinder. Mit denen haben wir gespielt. Im Stiegenhaus. Unsere Familie lebte im dritten Stock eines klassischen Bürgerhauses mitten in Wien. Eigentlich hatte es fünf Stockwerke, offiziell aber nur drei, denn zu Zeiten der Monarchie durften die Häuser nicht mehr Etagen haben. Das wussten die Bauherren zu umgehen, indem sie Mezzanin, Hochparterre und Dachgeschoß titulierten, was in Wahrheit eigene Stöcke waren inklusive Wohnungen. Vier Wohnungen auf jeder Ebene gab es.
Im Stiegenhaus spielten mein Bruder und ich mit den Kindern der Spanningers. Der Vater war bei der SS gewesen; einmal habe ich ein Foto von ihm in schwarzer Uniform auf der Kredenz bei ihnen gesehen. Jetzt führte er die Tabaktrafik unten im Haus. Die Wohnung gehörte vorm Krieg einem jüdischen Ehepaar, das im Vierundvierzigerjahr auf einen Lastwagen verladen wurde. Außer einem Koffer mit dem Nötigsten durften sie nichts mitnehmen. Die zurückgebliebenen Werte gehörten nun den Spanningers. So war das bei uns im Haus. Gestern, kommt mir vor, dabei ist das alles ewig her.
Damals war ich noch gar nicht auf der Welt. Meine Mutter und ihre Schwester spielten zu dieser Zeit im Stiegenhaus. Sie rutschten auf dem Hintern die glatten Steinstufen hinab. Meine Großmutter stellte bei Fliegeralarm den Topf mit den Erbsen unter die Bettdecke, um sie fertig zu garen, wenn das Gas ausging und alle in den Keller liefen, um die Bomben zu überleben.
Weil meine Mutter die Deportierung des Ehepaares vom zweiten Stock mitansah, legte sie ihre Mitgliedschaft beim Bund Deutscher Mädchen zurück. Meine Großmutter traf fast der Schlag vor Angst. Aber es passierte nichts weiter, wahrscheinlich nahm man Kinder damals genauso wenig ernst wie heute.
Die Spanningers aus dem zweiten sind mittlerweile tot. Das jüdische Ehepaar aber noch viel länger …
by ELsa