Das Grab des Trommlers

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Oldy

Beitragvon Oldy » 14.07.2011, 15:43

Das Grab des Trommlers

[align=justify]Nur zwei alte, vernarbte Bäume. Die Sonne bricht sich im kahlen Geäst, der Schnee verwehrt den Blick auf die Krume. Doch auch in den Sommermonaten würde ein Spaziergänger hier nichts Ungewöhnliches bemerken und ahnungslos über den kahlen Boden zwischen den Stämmen gehen.

An diesem Novembermorgen ist es empfindlich kühl und ein Nebelschleier liegt über den Wiesen, die Sonne steigt langsam höher. Es ist still, nur gelegentlich hört man Metall auf Metall schlagen. Einige Vögel beobachten misstrauisch die langen Reihen der Uniformierten.
Vor den Soldaten stehen die Offiziere, den Degen auf die Schulter gelegt, die Gesichter erstarrt. Neben ihnen kleine Gestalten, Kinder, keines älter als 14 Jahre. Ein breiter weißer Riemen zieht sich quer über die Brust und hält die Trommel in Position. Die meisten Trommler zeigen denselben maskenhaften Gesichtsausdruck wie die Soldaten hinter ihnen, doch in ihren Augen kann man deutlich die Angst erkennen. Einige sind das erste Mal dabei und können deshalb nur erahnen, was sie erwartet. Andere haben den einen oder anderen Kampf überlebt und ihre Angst ist ungleich größer, denn sie kennen das Grauen, welches ihnen nun bevorsteht.
Auf der linken Seite steht Johann, der Trommler der 2. Kompanie. Er ist noch nicht lange in der Armee und weiß auch nicht so recht, warum er nun hier ist. Seine Eltern sind tot, seine Verwandten in alle Winde verstreut, der Krieg hat ihm nicht viel gelassen. Ein alter Korporal fand ihn allein vor dem Haus eines Dorfes, welches im Verlauf der Kämpfe vollständig zerstört wurde. Dabei sind auch die Eltern des Jungen getötet worden. Er nahm ihn mit und sorgte dafür, dass er in seinem Regiment als Trommler ausgebildet wurde.
Johann lebt sich ein und wird bei den Soldaten schnell beliebt, weil er so schön singen kann. Selbst die alten Haudegen des Regiments können sich dieser Stimme nicht entziehen und sitzen allabendlich am Lagerfeuer, um dem kleinen Trommler zuzuhören.
Kurz nachdem er der 2. Kompanie zugeteilt wird, versuchten zwei Soldaten, sich an dem Jungen zu vergehen. Die Nachtstreife erwischt die beiden und kann den Übergriff verhindern. Sie hätte die beiden Männer eigentlich dem Regiment melden müssen, doch die Streife überlässt die Bestrafung der Kompanie. An anderen Morgen findet man die Zwei übel zugerichtet in der Nähe der Latrine. Lebend, aber für mindestens eine Woche dienstunfähig. Von diesem Tage an wagt es keiner mehr, den Jungen an zufassen.

Johann schaut verstohlen zu seinem Offizier hoch, doch der steht nur steif da und schaut über die Wiese zur anderen Seite. Dort stehen ebenfalls lange Reihen von Soldaten mit Offizieren davor. Daneben kleine Gestalten, Trommler wie er.
Johann fragt sich, ob sie Angst haben. Bestimmt geben sie sich äußerlich unbewegt, doch auch in ihnen wird die Furcht nagen. Sein Blick verliert sich für einen Moment, und er denkt an seine Eltern. Sie sind erst seit einem halben Jahr tot und doch fällt es ihm schwer, sich an sie zu erinnern. Er schaut zu den zwei alten Bäumen auf dem Hügel links von ihm und wünscht sich dorthin, weg von den Soldaten und dem, was nun folgen wird. Das ist alles nicht richtig, er sollte jetzt nicht hier sein. Keiner sollte das.
Johann bemerkt, dass der Offizier neben ihm unruhig wird. Die Soldaten auf der anderen Seite haben sich in Bewegung gesetzt, und der Klang von Trommelwirbeln klingt herüber. Von hinten ertönt nun ein Hornsignal, die Offiziere heben ihre Degen über ihre Köpfe. Es wird unruhig hinter ihm. Die Reihen lösen sich in Blöcke auf, dazwischen bleiben Lücken, in denen einzelne berittene Offiziere erscheinen. Johann hebt die Trommelstöcke und wartet auf das Zeichen des Offiziers.
Sein Herz schlägt bis zum Hals und trotz der Kühle des Morgens steht Schweiß auf seiner Stirn. Die Angst droht ihn zu überwältigen.
Ein zweites Hornsignal ertönt und der Degen wird zweimal ruckartig nach oben gestoßen. Johann schlägt die Trommel im Taktschritt seines Offiziers und marschiert neben ihm her, den Soldaten auf der anderen Seite entgegen. Er kann in ihnen nicht den Feind sehen, es sind für ihn nur Soldaten, dessen Uniformen eine andere Farbe haben. In besseren Zeiten wäre er mit den Trommlern dort auf der anderen Seite über die Felder getobt und auf die Bäume geklettert. Fernab vom Krieg, nur Kind sein. Doch er ist hier.

Mittlerweile haben sich die beiden Parteien so weit genähert, dass man die Gesichter der anderen erkennen kann. Kanonenkugeln explodieren zwischen den Männern und halten grausame Ernte. Offiziere brüllen Befehle, die Blöcke kommen zum Stillstand und die Soldaten heben ihre Gewehre.
Johann nimmt seine Position zwischen den Blöcken ein, seine Trommel schweigt.
Ein scharfer Befehl, eine Gewehrsalve kracht. Die Soldaten auf der anderen Seite haben zuerst geschossen und viele Kameraden der vordersten Reihe stürzen getroffen zu Boden, Männer schreien und Johann sieht manchen guten Freund fallen. Er weint still, verspürt kaum noch Angst, nur noch Trauer um seine Freunde und Wut über jene, die dafür verantwortlich sind.
Er hat völlig vergessen, dass auch er jederzeit getroffen werden kann. Salve auf Salve kracht. Immer wieder explodieren Kanonenkugeln zwischen den Soldaten, reißen große Lücken in die Reihen. Dichter Pulverqualm lässt Johann kaum noch etwas sehen, nur am grellem Mündungsfeuer kann er die Positionen der anderen Soldaten erahnen.
Er weint jetzt hemmungslos. Das war alles nicht richtig, er sollte nicht hier sein. Johann will nur noch weg. Fort von diesem Grauen, dass hier ist nicht sein Kampf. Dessen wird er sich in diesem kurzen Augenblick voll bewusst.
Ein schwerer Schlag trifft seine Brust, doch er verspürt keinen Schmerz. Verwundert schaut er hinunter. Seine weiße Feldbluse färbt sich rot und er fühlt die Wärme des Blutes auf seiner Haut. Er will um Hilfe rufen, doch kann keinen Ton herausbringen. Seine Knie versagen, die Trommelstöcke gleiten aus seinen Händen. Er fällt vorne über, kommt auf dem Bauch zu liegen, hebt noch einmal den Kopf, doch keiner bemerkt ihn. Dann umfängt ihn Dunkelheit.

Das Schießen hat aufgehört, einzig das Stöhnen und Jammern der Verwundeten ist zu hören. Soldaten irren über das Schlachtfeld. Überall liegen Tote und Verwundete, dazwischen Waffen, Uniformteile und Ausrüstungsgegenstände. Die Sonne steht schon tief und wirft lange Schatten. Eine Gruppe Soldaten sucht den Boden ab, unter ihnen ist der alte Korporal der 2. Kompanie, jener Soldat, der Johann mitgenommen hatte. Er hat einen blutigen Kopfverband, aber er hat überlebt.
Vor ihm liegt eine Trommel, vollkommen unversehrt. Johanns Trommel. Er erkennt sein Zeichen auf dem Schutzbezug. Direkt daneben liegt eine kleine Gestalt, das Gesicht auf der Erde, die Beine lang ausgestreckt.
Der Korporal lässt sich auf die Knie fallen und dreht die Gestalt langsam um.
Johanns Augen sind geöffnet und sein Gesicht zeigt immer noch Erstaunen. Verwundert sehen die anderen Soldaten, dass der Alte weint. Jener Mann, der selbst im blutigsten Kampf nie eine Regung zeigt, weint nun um einen kleinen Trommler. Mit einer fast zärtlichen Bewegung schließt er dem Jungen die Augen. Er hat sich wieder gefangen und hebt ihn hoch. Er schaut über das Schlachtfeld und seine Augen verweilen auf den beiden alten Bäumen auf dem Hügel. Mit schnellen Schritten geht er darauf zu. Die anderen Soldaten nehmen die Trommel und die Stöcke auf und folgen ihm. Sie ahnen, was er vorhat.
Oben angekommen legt der Korporal Johann vorsichtig auf den Boden, nimmt aus seinem Marschgepäck den kurzen Spaten und fängt an,zwischen den beiden Bäumen zu graben. Die anderen Männer zögern nicht und tun es ihm gleich.
Kurze Zeit später haben sie ein tiefes Grab ausgehoben. Der Korporal wirft den Spaten zur Seite und breitet eine Decke aus dem Gepäck des Jungen auf dem Boden aus und legt ihn darauf. Die Soldaten nehmen die vier Ecken der Decke und lassen Johanns Körper langsam in das Grab hinab. Die Decke ist groß genug, um ihn damit zu zudecken. Trommel und Stöcke legt man ihm auf seine Beine.
Der Korporal stellt sich vor das Grab und faltet die Hände. Er spricht ein kurzes Gebet und bedeutet seinen Kameraden, das Grab zu schließen. Der Alte ritzt derweil Johanns Namen in die Rinde des linken Baumes, den rechten Baum versieht er mit dem Todesjahr des Jungen. Es gibt keinen Grabhügel und kein Kreuz. Johann soll für immer zwischen diesen Bäumen ruhen. Ungestört. Die Soldaten verweilen noch einen Moment und gehen dann den Hügel wieder hinunter.

Die Wurzeln der beiden Bäume haben längst Johanns Gebeine umschlossen und der Erdboden über dem Grab verrät nichts von seiner Existenz. Auch der eingeritzte Name und die Jahreszahl sind nur noch mit viel Mühe zu erkennen. Doch an den kühlen Novembertagen, wenn die Sonne langsam höher steigt, kann man zwischen den beiden alten Bäumen den leisen Schlag des Trommlers vernehmen.[/align]

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 16.07.2011, 02:18

Hallo,
die Geschichte hat mich bekehrt: ich bin ab jetzt auch gegen Krieg und Kindervergewaltigung, ich werde alte Korporäle ehren und die Grabesruhe achten, besonders wenn die Begrabenen Johann heißen.
Das Geschichchen scheint mir Material für die Lesefibel der Kriegsgräberfürsorge, ich würde vorschlagen, sie in gedruckter Form (Sütterlin) den Spendern nach deren Hinscheiden auf die Beine zu legen, den Totengräbern zu bedeuten, das Grab zu schließen, während die Augen auf geeigneten Bäumen verweilen.
Diktion, Rührseligkeit und Stil erinnern mich stark an Karl May (in seiner Hedwig Courts-Mahler-Phase), ich hoffe, lieber Oldy, das war eine Jugendsünde und / oder soll ein Scherz sein!
Grüße
Franz

Oldy

Beitragvon Oldy » 16.07.2011, 06:42

gelöscht von Uwe
Zuletzt geändert von Oldy am 16.07.2011, 09:01, insgesamt 1-mal geändert.

Sam

Beitragvon Sam » 16.07.2011, 07:56

Dass der Tod eigentlich eine romantische Angelegenheit sei, haben wir Deutschen ja lange genug geglaubt. Blutige Raserei haben uns allerdings eines Besseren belehrt. Was natürlich nicht heißt, dass damit der Wunsch, dem Tod durch Ästhetisierung seinen Stachel zu nehmen, verschwunden ist. Glücklicherweise gehen dem heutzutage nur noch wenige auf den Leim. Im Gegenteil, es erzeugt einen schalen Geschmack. Reaktionen, wie die von Franz, sind da nicht verwunderlich. Man mag soetwas nicht ernst nehmen und traut auch eigentlich keinem Autor zu, es wirklich ernst zu meinen.

Das Kind in den Mühlen sozialer Verwerfungen, von Politik und Krieg ist ein jahrhundert-, ja sogar jahrtausende altes Thema in der Literatur. Und es ist bezeichnend für den Zustand unserer Weltgesellschaft, dass es immer noch Kinder sind, die am meisten zu leiden haben, über deren Wohl die Politik in ihrer grausamen Selbstgefälligkeit bedenkenlos hinweg geht. Das sollte, ja das muss natürlich immer wieder von der Literatur aufgegriffen werden. Aber bitte nicht so wie hier!
Nicht nur, dass der Text mit lauter Versatzstücken aus unzähligen Kriegsgeschichten und Filmen arbeitet, mit Klischees, die auch in Hollywood so gerne bemüht werden und deren einziger Sinn darin besteht, den Zuschauer emotional zu kitzeln, ohne dass er seinen Wohlfühlcocon verlassen muss. Der tatsächliche Wahrheitsgehalt ist da nur von zweit- oder gar drittrangiger Bedeutung. Da nützt es auch nichts, wenn man dem Kind aufklärerische und antikriegerische Gedanken in den Kopf legt, die ein Kind in solcher Zeit und unter solchen Umständen mit aller Wahrscheinlichkeit nie so gehabt hätte. Auch die sind nur Teil einer zusammengeklaubten Requisite. Zu der auch ein Spaten gehört, da der Junge ja beerdigt werden muss unter den beiden Bäumen. Auch wenn Spaten zu der beschrieben Zeit noch nicht zur Ausrüstung der Soldaten gehörten, da man sich damals noch nicht verschanzte, sondern in geschlossenen Reihen auf den Feind zuging.
Aber der junge Trommler muss ja beeredigt werden, unter den Bäumen (wo zu sein er sich vor der Schlacht gewünscht hat) anstatt, wie es damals üblich war, einfach mit ins Massengrab geworfen zu werden. Dort kann er nun auf Ewigkeiten trommlen. Was natürlich heute noch, wenn die Sonne langsam höher steigt, leise zu hören ist.

Für mich ist der Text Kriegskitsch weit jenseits der Mittelmäßigkeit.

Oldy

Beitragvon Oldy » 16.07.2011, 08:14

gelöscht von Uwe
Zuletzt geändert von Oldy am 16.07.2011, 09:02, insgesamt 1-mal geändert.

Niko

Beitragvon Niko » 16.07.2011, 08:57

aus den FAQ:

Kann ich als Autor auf die Kritiken reagieren?
Nein. Das ist der Reiz dieser Rubrik. Du bist dir deines Textes sicher. Und nun beobachtest du, was der Leser/Kritiker mit deinem Kunstwerk anzufangen weiß.

Oldy

Beitragvon Oldy » 16.07.2011, 09:01

Niko hat geschrieben:aus den FAQ:

Kann ich als Autor auf die Kritiken reagieren?
Nein. Das ist der Reiz dieser Rubrik. Du bist dir deines Textes sicher. Und nun beobachtest du, was der Leser/Kritiker mit deinem Kunstwerk anzufangen weiß.

Oh verdammt.
Ich bitte um Entschuldigung, hier sollte der Text gar nicht hin, da ich etwas bestimmtes bezweckte. Ich lösche meine Re-Kommentare und werde an anderer Stelle jene Diskussion eröffnen, die ich mir erhoffte.

tschuldigung
Uwe


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